Samstag, 30. November 2013

RPS-Blogs Karneval [Nov2013] Was in aller Welt ... ist Dallol?

Dieser Beitrag von Was in aller Welt ... erscheint im Rahmen des RSP-Blogs Karnevals November 2013 zum Thema "Über Stock und über Stein und die Wildnis".
Informationen zum Thema und Platz für Kommentare und Kritik finden sich hier. Ein Eröffnungsbeitrag des Organisators Teilzeithelden ist hier zu finden. Und eine Beschreibung des RSP-Blogs Karnevals kann hier nachgelesen werden.


Wenn Rollenspieler an Wildnis denken, dann denken sie meist an einen gemütlichen Spaziergang durch Wald und Wiesen, gelegentlich auch durch Wüsten oder über Berge. Das viele Regionen ohne Erschließung dabei quasi unpassierbar sind, ist dem deutschen Wanderer dabei weniger bewusst. Dementsprechend abwechslungsarm gestalten sich dann auch die sogenannten Wildnisabenteuer.
Dabei gibt es sogar Regionen und Phänomene auf unserer Erde, die nicht so recht auf unsere blaue Kugel zu passen scheinen und die man eher in Science-Fiction und Fantasy Filmen erwarten würde. Genügend Material, um die "Wildnis" seiner Spielwelt aufzupeppen, ohne die Glaubwürdigkeit zu verlieren.




Dallol

Räumlich: [ca. 4 km²]
Vorkommen: In vulkanisch aktiven Regionen mit evaporitischen Ablagerungen
Gefahrenpotential: [minder gefährlich]
Zeitskala: [~ Miozän bis rezent]
Klima: [Wüste (arid)]

Was ist Dallol?

Q: http://atlasobscura.herokuapp.com/ (creative commons)
Nein, Dallol ist ausnahmsweise kein Netzjargon, sondern je nach Definition eine geothermisch aktive Region oder ein Vulkan in Äthiopien; am heißesten Ort der Erde. In einer mehrere Quadratkilometer umfassenden Senke, welche sich ca. 50 m unterhalb der Meereshöhe in der Danakil-Depression befindet, bildeten sich in flachen Tümpeln und Seen bizarre Kristallstrukturen in grellen Farbtönen in lebensfeindlichen Bedingungen.


Wie entstand Dallol?
(nicht Simulationisten können das auch überspringen)

Die Danakil-Depression befindet sich am nördlichen Ausläufer des Ostafrikanischen Grabens. Das im Untergrund aufsteigende Magma wird dort in wenigen Millionen Jahren die afrikanische Platte in Ost-West-Richtung auseinanderschieben. Das Grundwasser kann aufgrund der Aufweitung (welches einer Gründe für die Absenkung des Grabens ist) in die entstehenden Spalten und Klüfte eindringen und kommt dabei in Kontakt mit dem heißen Umgebungsgestein des Magmas. Das nun gasförmige, heiße und leichte Volatil dringt dann wieder an die Oberfläche. Dies kann in Form von Fumarolen, Geysiren, heißen Quellen oder einer sogenannten, phreatischen Eruption geschehen, wenn schlagartig große Mengen Wasser verdampfen. Die dadurch enstehenden Krater kennt man auch als Maar (z.B. in der Eifel). Eben jene Explosion geschah zuletzt auch in Dallol 1926 und erzeugte mit lediglich 30 m Durchmesser den jüngsten Maar in der Region.

kleiner Geysir (Q: Tom Pfeiffer)

Um die Oberflächenstrukturen zu erklären und warum wir diese nicht in der heimischen Eifel finden, muss man einen Blick auf das Gestein werfen. Im Untergrund befinden sich über 1000 m mächtige, evaporitische Ablagerungen, das sind überwiegend Kalkstein, Gips, Anhydrite und Halit (Salz). Dies sind Überbleibsel des damals noch jungen, roten Meeres, welches die Region in den letzten Millionen Jahren wiederholt flutete, durch die andauernden und extremen Temperaturen wieder austrocknete und die gelösten Stoffe in unzähligen feinen Schichten ablagerte. 

30 Meter hohe Salzcanyons nahe Dallol mit deutlicher Stratigraphie (Q: photovolcanica.com)

Diese Evaporite (und zum Teil auch weiteres Umgebungsgestein), ebenso wie die flüchtigen Bestandteile des Magmas, werden durch die aufsteigenden, heißen Wässer gelöst. Durch die extremen Temperaturen an der Oberfläche (mit einer Durchschnittsjahrestemperatur von über 30° C !), aber auch durch Druckverlust, verdunsten die Wässer innerhalb kurzer Zeit in die Atmosphäre, wobei die gelösten Stoffe erneut auskristallisieren. Die grellen Gelb-, Grün- und Rottöne entstehen dabei unter Anderem durch Schwefel- und Erdalkalisalze, deren Bausteine aus dem Gestein gelöst wurden und je nach Temperatur und Konzentration ein Potpourri unterschiedlichster Formen annehmen kann Die Kristallisation wird dabei durch das ruhige, strömungslose Wasser in den flachen Tümpeln begünstigt.


 Eigenschaften (und Gefahren) des Dallol-Gebietes

Lässt man die absolut lebensfeindliche Wüstenregion außen vor, so zeichnet sich das Dallolgebiet durch eigene, extreme Bedingungen aus. Die Austrittstemperatur des Wassers liegt bei ca. 70° C und läd damit nicht unbedingt zum Baden ein. Durch die hohen Salzgehalte weist das Grundwasser außerdem pH-Werte um 0 bis 1 auf und ist damit eine starke Säure, eignet sich also genausowenig zum Auffrischen der Wasserrationen.
Durch die zusätzlich austretenden, vulkanischen Gase und durch die Temperaturen bedingte, sehr hohe Verdunstungsrate, ist die Luft nur schwer atembar und lebensgefährdend und greift durch die Schwefeldämpfe Haut und Material an.
Da die Salzschichten im Untergrund durch das Auswaschen sehr porös sind, kollabiert das Gelände und bildet die charakteristischen Kraterstrukturen. Der Untergrund ist nicht standfest und ein Einbrechen in gelöste Hohlräume und ein Bad in der Säure oder Verletzungen an scharfen Kristallgraten sind schnell geschehen.

http://www.messagetoeagle.com/images/alienlandscapedv5.jpg
instabile Salzplattform (Q: Tom Pfeiffer)

http://www.xflo.net/wp-content/gallery/20100329_Ethiopia/5S3J4613_Dallol.jpg
verfärbtes Wasser mit Salzschollen (Q: Florian Wizorek)

Nicht zuletzt können sich phreatische Explosionen wie im Jahre 1926 unvermittelt und jederzeit wiederholen, beschränkt sich zurzeit aber auf eine Vielzahl von heißen Quellen und Geysiren. Eine Vorhersage ist allenfalls innerhalb einer nur sehr kurzen Zeitspanne möglich.



 Einsatz im Rollenspiel

Um eine Reisegruppe an die Grenzen ihrer Belastbarkeit zu bringen und das mit wenig Aussicht auf Wiederkehr (daraus leitet sich auch der Name Dallol her), ist ein durch und durch lebensfeindliches Gebiet mehr als ausreichend. Im Falle von Dallol hält sich die unmittelbare Gefahr glücklicherweise in Grenzen, da sich das Gebiet auf wenige Quadratkilometer beschränkt. Jedoch ist die Natur in Größenordnungen nicht wählerisch, so dass es denkbar ist, dass wesentlich größere Landstriche sich in diese oder ähnlich bizarre Landschaften verwandeln.
Nicht zuletzt ist die Region auch ein wirtschaftlicher Faktor der Salzgewinnung und mit zunehmender Industrialisierung auch weiterer Chemikalien. In der Tat ist die Menge an verfügbaren Salzen dort so groß, dass zum Teil sogar Häuser aus Salzblöcken gebaut wurden.

Hausruine, erbaut aus Salzblöcken (Q: photovolcanica.com)

Anmerkung: 
Die Galerie-Links unten solltet ihr euch nicht entgehen lassen.




Quellen:

Mehr Bilder
http://www.photovolcanica.com/VolcanoInfo/Dallol/Dallol.html

noch  mehr Bilder!
http://www.messagetoeagle.com/alienlandspacedallolvolcano.php

Smithonian Institution, Global Volcanism Program (GVP) 
http://www.volcano.si.edu/volcano.cfm?vnum=0201-041

Geologischer Hintergrund
http://geology.com/stories/13/dallol/

Ein Reisebericht
http://www.xflo.net/2010/04/15/dallol-acid-volcano/



Sonntag, 17. November 2013

Schildwacht Rollenspiel: Versionsupdate beta 0.9.7

Was lange währt...

... wird nun ein klein wenig besser. 

Bis Ende letzten Jahres habe ich das klassische Explorationsrollenspiel SchildWacht regelmäßig mit Aktualisierungen versorgt. Das dem dieses Jahr nicht so war, liegt nicht daran, dass unseren beiden Testrunden die Puste ausgegangen ist oder nichts zuende gebracht, was angefangen wird, oder wir vor anderen, gehypten Rollenspielen den Hut gezogen hätten, sondern

- weil die Menge an Regeländerungen erfreulicherweise konstant nachlässt, sich regelmäßige Updates daher nicht mehr lohnen und die langwierige Phase des "Wertebalancings" begonnen hat
- weil mich unsere Rollenspielrunde und RL zu sehr eingebunden haben
- weil das Jahr einfach verdammt schnell herum ging. Gestern war doch noch Weihnachten!

Nichtsdestotrotz ist in einem Jahr einiges an Regeländerungen und Verfeinerungen – dazu gehört auch das Entfernen von Regeln! - zusammengekommen. Die Vereinfachung und Entschlackung ist eines der vorrangisten Ziele. Und die will ich natürlich in der Hoffnung auf konstruktive Kritik mit allen anderen teilen. SchildWacht ist immer noch beta, d.h. alles ist noch möglich und Nichts ist in Stein gemeißelt.

Der Dank für das Hochladen der Datei geht wie immer an den Malspöler. Für das Testspielen selbstredend an die Mitspieler.
mehr Informationen zu Schildwacht findet ihr hier:

entgegen der vorherigen Ankündigung habe ich doch beschlossen, die Version aufgrund der Größe auf die Version 0.0.7 anzuheben. 

Konkrete Fragen kann ich im Kommentarbereich beantworten.


V b0.9.7 (231 Seiten)

-> Link

Allgemein
- der Index wurde erweitert
- Rechtschreibfehler korrigiert
- die Menge der Lebenspunkte (LP) wurde (und die Tödlichkeit damit erhöht)
- LP Regeneration ist nun konstant und nicht mehr zufällig
- "Magischer Wundschaden" als Regelbegriff eingeführt (ignoriert grundsätzlich Rüstung)
- der Fallschaden wurde gesenkt
- Angaben für Hitze (natürliche Gefahren) wurden überarbeitet
- für die Charaktergeschwindigkeit ist der Effektwert 0/1 nun immer 0
- Zahlose Werte über das gesamte Dokument geändert / balanciert
- Schicksalsregeln (kritische Ergebnisse) sind erheblich vereinfacht worden und nicht mehr von der Fertigkeitshöhe abhängig

Fertigkeiten
- eine neue Beispieltabelle mit Modifikationen für die Option Verkleiden (Ausrüstung, Schminke...).
- Für die Fertigkeit Geschick gibt es eine neue Option: Beutezug 
- die Fertigkeit Zwei-waffen-kampf muss nun spzialisiert werden
- Waffen sind ohne Fertigkeit skill nur noch über "improvisierte Waffe" nutzbar (siehe unten)

Steigerung
- Generierungskapitel wurde umgeschrieben und erweitert
- Erfahrungsbelohnung pro Abend auf 10 - 30 ERF pro Abend gesetzt
- Kniffe umlernen möglich
- der Kniff Medium ist klarer verregelt
- der Kniff "zäh wie leder" ist überarbeitet
- der Kniff "gewandt" ist ersatzlos gestrichen
- der Kniff "Blutmagie" bringt jetzt ZK im Verhältnis 1LP:3ZK
- der Kniff "Vventriloquist" wurde abgeschwächt
- neuer Kniff: Rüstungstraining

 Kampf
- Fertigkeitsbonus als Bonusschaden wurde ersatzlos gestrichen!
- Fernkampf: Entfernungsschwierigkeit nun x 2 für Entfernung/Geschwindigkeit
- Fernkampf erzeugr bei einem Fehlschuss keine "Bedrängnis" mehr
- auch Verbündete behindern sich gegenseitig im Handgemenge
- die Option Beinarbeit ist ersatzlose gestrichen
- die Option Ansturm erzeugt keine Widrigkeit mehr
- die Option Klammern ist nun auch mit Akrobatik vermeidbar und genauer verregelt
- die Option Zielen heisst nun Konzentrieren und ist auch im Nahkampf möglich
- die Optionen Anvisieren verlängert nun die Zieldauer
- die Option Umwerfen ist jetzt ein Wettstreit
- Überraschungsangriff (Zwei-Waffen-Kampf) wurde an die übrigen Regeln angepasst (und abgeschwächt)
- kritische Treffer/Fehlschläge sind massiv überarbeitet worden
- neue Kampfoption: Improvisierte Waffen

Magie
- alle Zauberschäden gesenkt aufgrund geringerer LP-Werte
- Berührungszauber sind nicht mehr mit Nahkampfangriff kombinierbar
- fast alle Zaubersprüche teilw. geändert (beachtet Baumgeist!)
- diverse Zauberspruchtexte überarbeitet
- diverse Zauber können nun mit ZK "geboostet" werden
- neuer Zauber: große magische Falle, Mal der Ernte, Verzerrung
Alchemie
- Magatit als Element eingeführt
- zahlreiche Rezepte überarbeitet

Bestiarium
- große Monster haben nun zusätzliche Angriffe
- diverse Monsterwerte geändert
- neue Monster: Schattenkatze, Erdkrake
- die Geschwindigkeit der Monster ist überarbeitet (und Basiswert wurde ergänzt)

Ausrüstung
- Tarnkleidung ist nun leichter
- vereinzelte Waffen haben nun einen VP-Bonus oder angepasste Werte
- der Stachelhandschuh hat nun auch die Kategorie Wucht
- Waffen sind nur noch 1 x aufwertbar
- alle Rüstungswerte wurden gesenkt.
- neuere Ausrüstung ist nun auch in Herstellungs- und Kaufliste eingetragen worden
- ein neues Relikt: Arcanometer


Sonntag, 3. November 2013

SchildWacht - Der Ruf aus der Vergangenheit

Kürzlich las ich eine konstruktive Kritik des Users mutralisk auf RPGnosis zum klassischen Explorationsrollenspiel SchildWacht (SchW), danke dafür. Und nun fühle ich mich ein wenig missverstanden. Daher an dieser Stelle ein wenig zu den Ideen und Konzepten von SchW. Dafür nutze ich die Passagen des Vorwortes.


 Aus dem Vorwort: Schildwacht ist ein Ruf aus der Vergangenheit!

Ich schrieb SchW mit der Unterstützung zweier Spielrunden nicht als modernes, zeitgemäßes Rollenspiel, wie es vielleicht Triakonta des geschätzen Blognachbarn RPGnosis sein wird. SchW ist reines Retro, Feldstudie und vielmehr als ein Rollenspiel geschrieben, dass ich mir so in den 90igern gewünscht hätte, als ich es brauchte. Ein Rollenspiel, was es zu jener Zeit meines Erachtens schon hätte geben können - wonach ich gesucht habe. Denn vielen Rollenspielen bis heute fehlte etwas, nämlich

1. eine nutzbare Skalierbarkeit der Zahlenwerte, das Fundament, um eine Spielweltrealität abbilden zu können.
2. damals, und leider Gottes auch noch in vielen RPGs heute, fehlte zudem eine klare, widerspruchsfreie Regelsprache, wie man sie von D&D3 gewohnt ist.
3. zudem eine Gleichwertigkeit der Charakterkonzepte. Die Fertigkeiten in SchW sind so ausgelegt, dass viele Charakterkonzepte sich gleichermaßen am Fortgang des Abenteuers beteiligen können. Mit jeder Fertigkeit kann man etwas spielmechanisch Sinnvolles anstellen. Kampf wird nicht mehr in diesem Maße bevorzugt (auch, wenn es noch traditionell eine große Rolle spielt).

Das sind auch die drei Eckpfeiler von Schildwacht.

Es sähe ganz anders aus, wenn es nach heutigen Bedürfnissen geschrieben worden wäre und muss demnach mit den Rollenspielen, mit denen es sich messen will, verglichen werden. Selbst als Spielleiter einer der beiden Testrunden habe ich heutzutage so meine Probleme mit der Komplexität und Langsamkeit, für die mir eigentlich die Zeit fehlt. Eigentlich müsste ich heutzutage etwas ganz Anderes spielen.
SchW nutzt zwar moderne Regelversatzstücke, die sich im Laufe der letzten Jahre eingebürgert haben, aber genauso Elemente, die man schon vor 30 Jahren kannte und sich bewährten. Ausgewählt sind diese nicht (nur) nach persönlichem Geschmack ( wie der W12, der W10 wäre objektiv sicher besser gewesen) sondern vor allem im Hinblick darauf, ob sie eine glaubwürdige Spielwelt wiedergeben können, die bodenständige Fantasy-Mittelalter sein will, in der Spielercharaktere erst einmal nur Personen wie jede Anderen sind. 

Aus dem Vorwort: "Erfahrene Rollenspieler werden wenig Neues darin finden"

SchW ist als umfängliches Nachschlagewerk konzipiert und ist kein selbstständiges Spiel, dass der Spielrunde zum Beispiel sagt "geht in den Dungeon und haut Monster um" oder in irgendeiner Weise geplante Ergebnisse produziert. Die Spielrunde soll ihren Weg finden, ihre Spielwelt frei entdecken und bei offenen Entscheidungen in die Regeln schauen können, um eine Lösung zu finden, die die angetroffene Spielweltsituation darstellen kann. Allerdings ist SchW für das, was es leistet und sein will, in keiner Weise schwergewichtig (gerade einmal 100 DinA4 Seiten, inkl. Tabellen und Zeichnungen).
SchW ist kein sogenanntes universelles Rollenspiel. Es kann "nur" dieses oben genannte, bodenständige Fantasy-Genre wiedergeben und ist ferner nur bedingt modular, versucht aber dementsprechend vollständig für den angestrebten Spielstil zu sein. Wenn es so wirkt, dass etwas "fehlt" (z.b. Massenkampfregeln), dann haben wir das damals auch nicht gebraucht oder gespielt. 
Zu diesem Zwecke ist es aber von immenser Bedeutung, dass man als Spielrunde bereits weiß, was man tut, um sich darin nicht zu verlieren. Einem Rollenspielanfänger kann man SchildWacht meines Erachtens ohne Einführung nicht an die Hand geben (trotz eines Kapitels zum Thema Spielrundenabsprachen).

Aus dem Vorwort: "Wie die Spielwelt, so können die Mitspieler auch die Spielregeln erst nach und nach entdecken." 

Dieser gemächlichere Spielablauf ("wieviel Abenteuer schafft man in gegebener Zeit?") ist absolut gewollt. SchW ist ein gemütliches Rollenspiel zum Abtauchen und Reinfuchsen, nicht für One-Shots und Kurzkampagnen geeignet und spiegelt damit die Spielweise wieder, mit der ich in den 90igern eingestiegen bin. Die Spielrunde wird vielmehr mit dem Spielsystem verwachsen und eine Virtuosität und Langzeitmotivation entwickeln, die in schnelllebigeren Rollenspielen unzeitgemäß wirkt. Dementsprechend ist der Spielstil natürlich sehr persönlich und sicher nicht massentauglich. Meinem Eindruck nach versuchten sich allerdings viele Spielrunden, die mit den komplexen Regelwerken eingestiegen sind, in einer vergleichbaren Spielweise, die keinen Platz ließ für Zweitsysteme.  

 Aus dem Vorwort: "Der fiktive Held ist fur den Spieler Auge, Ohr und Arm."

SchW ist in keiner Weise "drama-" oder "geschichtenorientiert". Die Spielrunde hat keine Garantie, dass sie bei reiner Ausführung einen spannenden Spielabend vorgesetzt bekommt. Es geht um Eigenverantwortung. Die SchW-Regeln versuchen nur wiederzugeben, was die Spielweltsituation vorgibt, nicht andersherum. Die Spielwelt mit all ihren Konflikten wirkt somit in ihrer Eigendynamik und ihrem Widerstand unabhängig, unkontrollierbar und damit lebendig. Dementsprechend kann der Spieler ausschließlich über seinen Spielcharakter darauf einwirken, aber mit ihr nur wechselwirken und sie nicht bezwingen. Seine Spielentscheidungen sind entgültiger und bedeutsamer, da er sich die gewünschten Effekte nicht einfach "herbeierzählen" kann. Der Spieler kann über die Regeln daher keine Gegenstände oder Plotelemente erfinden oder anderweitig Entscheidungen rückgängig machen.
Er kann dies zusammen mit dem nächsten Spieltermin, der nächsten Pizzabestellung und anderen Ideen freilich in jedem persönlichen Dialog mit seinen Mitspielern aushandeln – und er benötigt dafür nicht einmal Schicksalspunkte!

Wie auch mutralisk bemerkte, spielt also "Simulation" - im Sinne der Darstellung einer Spielwelt durch Regeln - eine sehr große Rolle, es geht um das Erleben einer Spielwelt, nicht um das Steuern einer Geschichte. Allerdings ist die Annahme "je mehr, desto besser" falsch. Denn viele Dinge lassen sich implizit durch Spielregeln darstellen, ohne sie konkret mit einem Mechanismus zu versehen, in manchen Fällen bringt sogar der Verzicht auf eine Verregelung einen Gewinn an Simulation. So wird man keine Kampfregel für sogenannte Trefferzonen finden oder solche, welche die Blickrichtung der Spielfigur im Nahkampf festhält, da SchW den Kampf als einen dynamischen Schlagabtausch versteht, der sich nicht in einem rundenhaften Hin-und-Her darstellen lässt. Aus diesem Grunde ist es auch möglich, selbst als Verteidiger den Angreifer unter Druck zu setzen.

Vieles in SchildWacht ist noch nicht optimal gelöst, viele Dinge gehen noch nicht flüssig von der Hand. Das Probensystem ist in manchen Situationen noch ein Graus. Monster- und Zauberlisten sind noch nicht vollständig, viele Einzelwerte werden noch ausbalanciert, aber auch dies werden wir in den Griff bekommen. Das aktuelle Update ist seit längerem aufgrund von Real-Life in Arbeit und ich hoffe, die Version 1.0 (und damit den Abschluss der vorläufigen Entwicklung) bis zum Frühjahr 2014 über die Bühne zu bringen.

Ich bin immer gründlich und hartnäckig und mit diesem Rollenspiel werde ich die Aufholjagd gewinnen, die Mitte der Neunziger begann, die mich durch Abgründe vieler anderer, komplexer Regelsysteme geführt hat, ebenso wie durch jene mit gänzlich anderen Spielansätzen. Ich wünschte, ich hätte mir die Arbeit ersparen können, aber ich kann das Kapitel "Klassisches Rollenspiel" mit SchildWacht auch abschließen und kann mich auf einen Evolutionsprung freuen, welcher auch das Genre des klassischen Rollenspiels trotz goldener Regeln, ewiggestriger Handwedler oder schwammiger Erzählonkel und liebloser Editionsfortsetzungen unumgänglich in die Gegenwart holen wird.
SchW ist hierbei nicht der Endpunkt, sondern ein Anfang, den es nie gegeben hat.

So viel aus dem Nähkästchen der SchildWacht-Entwicklung. Sofern noch Fragen offen sind, können sie gerne an diesem Ort gestellt werden. In jedem Falle empfehle ich zuvor mal einen Blick in das Vorwort sowie Kapitel 1. "Vorbereitung" zu werfen.

Das Update 0.9.6.5 wird in den nächsten 2 Wochen Online gehen.

Donnerstag, 24. Oktober 2013

(Was kann Rollenspiel?) Wer Wind sät...

... erntet manchmal nur heisse Luft.

Eine gewisse Ironie ist nicht von der Hand zu weisen, wenn ich mir die Berechenbarkeit der Forengemeinschaft gegenüber des freiheitlichen Anspruches, der für das Rollenspiel in Anspruch genommen wird, vor Augen halte.

Diverse, gestreute... Auslöser regten kürzlich in der RPG - Internetgemeinschaft an, sich endlich mal wieder Gedanken über den Zustand, die Definition, die Funktionen und die Grenzen des Rollenspieles zu machen. (nämlich unter Anderem hier, hier, hier, hier, hier und hier)
Und das ist gut so. Es geht wie immer um die Gretchenfragen: 
Was ist Rollenspiel eigentlich und was ist dessen Stärke?

Man scheint sich einig zu sein, dass es die Stärke und das definierende Merkmal des Rollenspieles ist, Ereignisse in der fiktiven Spielwelt darstellen zu können, die zuvor noch niemand eingeplant hat, um eben sich und andere zu überraschen. Spielfreiheit nennt sich das dann (vielleicht auch nach dem Prinzip: je größer das Kasperletheater, desto freier bin ich).

Diese ungeplanten Ereignisse und Auswirkungen können dann mit Hilfe der rundeninternen Vereinbarungen, Überredungskünste, "gesunden Menschenverstande", Selbstbewusstsein, Lautstärke, soziale Drücke, Einschüchterungen, Mobbing ... die Möglichkeiten sind derer vielfältig ... untereinander kommuniziert und entschieden werden. Und das sei eben etwas, was kein anderes "Spiel" könne.

Schlussfolgerungen daraus bleiben bislang aus, vielleicht übersehe ich sie auch, allerdings scheint man sich ja auch darüber einig zu sein, dass das alles ganz gut so ist, wie es ist und ganz formidabel funktioniere. Nur so ist es ja überhaupt nur möglich, mit jedem Regelwerk jedweder Qualität Rollenspiel spielen zu können und vor anderen zu rechtfertigen. It's not a bug, it's a feature.

Das ist so, als sage man, Fußball funktioniere erst dann, wenn nicht klar ist, ob gerade ein Tor gefallen ist und die Entscheidung dann einer Person, zum Beispiel dem Schiedsrichter, zu überlassen.
Ich will hier (zumindest jetzt) nicht darüber streiten, ob dies überhaupt Teil des Rollenspieles ist oder nicht vielmehr ganz gewöhnliches, gesellschaftliches Verhalten darstellt - also sicher alles andere als exklusiv ist.
Aber nehmen wir das ruhig einmal als Stärke hin. Ich möchte lieber herausstellen, dass diese exklusive Fähigkeit des Rollenspieles per Definition etwas ist, was ausserhalb der geschriebenen Regeln steht.

Und die eigentliche Frage, die sich dann für den Rollenspielentwickler stellt ist: Wenn man diese Arbitrarität des Rollenspieles akzeptiert, wie geht man dann damit um? Wie plant man etwas Ungeplantes? Kann ein Rollenspielentwickler überhaupt Einfluss darauf nehmen? Und wenn nicht, welche Konsequenz hat das?

Man kann noch so viele Spieltipps-Kapitel schreiben oder Erzählrechte- und Vetoregeln erfinden wie man will, schlussendlich sagen sie alle nur das Eine aus: "seid nett zueinander und werdet euch einig". Und dies kann man mal mit mehr oder weniger Worten in sein Rollenspiel schreiben, es spielt im Grunde keine Rolle, denn diese Richtlinie gilt sowieso immer. Der spielmechanische Einfluss solcher Hinweise tendiert gegen Null, denn es hängt sowieso davon ab, ob die Spielrunde von sich aus auf einander eingestellt ist.
Im Umkehrschluss muss man sich als Entwickler aber auch keine Gedanken mehr über die Anwendbarkeit und Funktionalität oder nur Handhabbarkeit seines Rollenspieles machen, denn die Spielrunde wird es schon richten. Das ist ohne Widerspruch ein nicht von der Hand zu weisender Vorteil des Rollenspieles auf dem sich viele RPG-Produkte seit Jahrzehnten stützen und der zumindest aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten lohnend ist, denn Qualitätskontrolle kostet Zeit und Geld.

Was der Rollenspielentwickler aber tun kann, ist, mit Hilfe der Regeln die willkürlichen Entscheidungen zumindest so zu lenken, dass sie für Außenstehende nachvollziehbar werden und das RPG damit allgemein zugänglicher zu machen. Bietet man zur Bewertung eines ungeplanten Zufallsereignisses zum Beispiel eine Wertespanne von 1 bis 100 an, dann kann es eine Vielzahl an Missverständnissen bis hin zum Streit darüber geben, ob nun eher 56 oder 57 das bessere Ergebnis sei. Beträgt die Wertespanne aber nur noch 1 bis 5, ist auch die Anzahl der möglichen Missverständnisse um das Zwanzigfache reduziert und gleichzeitig steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich die willkürliche Entscheidung in zwei sich gleichenden Ereignissen wiederholt. Nachvollziehbarkeit.
Der Nachteil an dieser Lenkung ist, dass feine, situative Unterschiede verloren gehen und damit wiederum Spielfreiheit. Und mit Spielfreiheit meine ich nun nicht die oben verdrehte Rampensau-Definition, sondern dass invidiuelle Entscheidungen individuelle Konsequenzen nach sich ziehen. Habe ich keine Möglichkeit diese Unterschiede über grobe Regeln darzustellen, dann geht die Relevanz der Entscheidung verloren und damit die Spielfreiheit (mit anderen Worten: Es ist dann egal, was man tut).

Diesen Zwiespalt zwischen Spielfreiheit (Darstellen von Unterschieden) und Nachvollziehbarkeit (Warum entscheided sich jemand so, wie er es tut?) ist der Wunde Punkt, auf den der Rollenspielentwickler sein Augenmerk legen sollte, wenn er die Unvorhersagbarkeit des Rollenspieles als naturgegeben hinnimmt. Gleichzeitig gewinnen auch Nicht-Rollenspieler schnell Einblick in die Funktionen des Spieles, die nicht zu vergleichen sind mit den Entscheidungen einer seit 10 Jahren dahinsiechenden und sich selbst sozialisierenden Rollenspielrunde, deren unausgesprochene Vereinbarungen für andere nicht mehr nachzuvollziehen sind.

Das ist nun wirklich eine Mammutaufgabe, aber zumindest ein Feld, auf dem es noch viel zu bestellen gibt und auf dem sich noch nicht alles um sich selbst dreht und sich gegenseitig auf die Schulter klopft.

zur Diskussion ins RSP-Blogs-Forum
http://forum.rsp-blogs.de/diskussion-und-kommentare/was-kann-rollenspiel/msg11243/#msg11243

Mittwoch, 9. Oktober 2013

Mit Battlemap auf Abwegen

Der September-Karneval der RSP-Blogs zum Thema "Battlemap-Alternativen für Battlemap-Muffel" ist vorüber und ich habe gespannt zugeschaut ... und zugelesen ... und ein wenig zugehört, ohne selbst etwas beizutragen. Da all mein Tun im Hobby und in diesem Blog schlussendlich darauf abzielen wird, sich in Zukunft von einer Kartennutzung (Battlemap, Skizzen, Zonen, "Range Bands") zu trennen und das Rollenspiel in den Bereich zu hieven, in den er hingehört - nämlich in die Köpfe der Mitspieler – will ich mich naträglich noch dazu äußern.

Das Karnevalsthema forderte explizit Alternativen für eine Battlemap ein. Das bedeutet: einen gleichwertigen Ersatz. Ich sage selten, dass etwas unmöglich ist, aber nach jahrelangem Suchen, Recherchieren, Basteln, Entwickeln und Diskutieren sehe ich zurzeit keinerlei Möglichkeiten, das zu bewerkstelligen. Dementsprechend unergiebig war dann auch die Ausbeute des Karnevals. Vielleicht sehe ich den Begriff "Alternative" aber auch zu eng.
Der Nutzen einer Battlemap ist offenkundig und sie stellt das optimale Werkzeug dar in dem, was sie erreichen will, nämlich die möglichst genaue Verortung von Objekten.

Ich gestehe, dass ich Out-time-Kartendarstellungen (also auf Spielerbene) nie sonderlich mochte (aber ich LIEBE In-time Karten). Sie können das Spiel bis hin zum Stillstand verlangsamen, sie verleiten Mitspieler zu Charakter übergeordneten Überlegungen, z.B. das Einbeziehen von Widersachern, die sich hinter einer Häuserecke befinden. Es gehen Spielweltdetails verloren, wie Blogger Andreas(SG) hier erläutert. Sie können eine dramatische Situation zunichte machen, weil einem zwei Zentimeter Bewegungsreichweite fehlen und vieles mehr.
Hier stelle ich die Frage, warum es Spieler gibt, die all das einer Battlemapnutzung unterordnen:

Was will man mit dieser Verortung eigentlich erreichen? 

Da sehe ich folgende Gründe:

- Man will Missverständnisse im Spiel unterbinden. Das ist meines Erachtens das vorrangige Ziel einer Battlemap. Verbal lassen sich nur eine begrenzte Anzahl an räumlichen Details kommunizieren und abspeichern. Schnell passiert es, dass ein Spieler alles spiegelverkehrt sieht oder die falsche Anzahl von Widersachern im Kopf hat und Ähnliches. Das kann zu langen Diskussionen und einem frustrierenden Spielabend führen. Eine Battlemap räumt hier mit vielen Missverständnissen (aber nicht allen, z.B. in der dritten Dimension) auf.

- Man will das Spielerlebnis realitätsnaher darstellen im Sinne der Spielweltrealität. Es ist selbstredend erst einmal "realistischer", wenn ich eine Spielfigur auf einen Meter genau (oder Zentimter, oder Millimeter?...) plazieren kann, als wenn er in einem hypothetischen Teilchennebel schwebt, der sich erst durch das "Hinschauen" beim Beschreiben manifestiert und sich danach sofort wieder verflüchtigt. Es ist nichts anderes als eine Modellierung, ein gradueller Vorgang, an dessen Ende die vollständige Nachbildung der Spielwelt steht. Die Battlemap transportiert hier eine Art primitiver Vorstufe dieses Erlebnisses.

- Man will bindende Konsequenzen der Spielerentscheidungen. Dieser Punkt ist nicht zu unterschätzen, da er am Fundament des Rollenspieles gräbt: Der Selbstbestimmung des Spielers über seinen Charakter. Lässt sich die räumliche Darstellung nicht mehr bindend festlegen, so sind auch ALLE anderen, taktischen Entscheidungen, die der Spieler auf dieser Grundlage trifft (zu welchem Ort bewege ich meinen Charakter mit welcher Motivation, um was zu tun?) auch nicht mehr bindend für alle anderen Mitspieler oder einem selbst. Ist ein verletzter Kamerad noch rechtzeitig erreichbar? Dann rede ich einfach lange genug auf meinen Spielleiter ein, bis er mir erlaubt, dort anzukommen. War der Notausgang links? Ist doch egal, wenn ich es gerade brauche, dann setze ich ihn einfach neben meinen Charakter, vielleicht merkt es ja keiner.
Die Battlemap verschafft dem Rollenspiel hier in gewisser Weise also zu seiner Bestimmung.

Und letzteres ist mein vorrangiger Grund, warum ich mich genötigt sehe, eine Karte in irgendeiner Form zu benutzen. Weil ansonsten die Gefahr besteht, dass man das aus den Augen verliert, was Rollenspiel eigentlich ausmacht, nämlich Entscheidungen und Konsequenzen. Könnte ich es durch etwas ersetzen, was mich nicht nötigt, unzählige Figuren und Skizzen auf dem (viel zu kleinen) Spieltisch auszubreiten, was meine Mitspieler nicht für 1, 2, 3 Stunden am Stück grübelnd gebeugt über der Tischplatte hängen lässt, ohne auch nur einen Zentimeter (no pun intended) im Abenteuer vorwärts zu kommen - ich würde es sofort tun.

Diskutiert mit uns darüber im RSP-Blogs Forum
http://forum.rsp-blogs.de/diskussion-und-kommentare/(hoch-ist-gut)-mit-battlemap-auf-abwegen/

Donnerstag, 3. Oktober 2013

RSP-Blogs Karneval [Okt2013] - Nur ein Tipp.


Was kann man zum Thema Spielertipps schreiben, was nicht schon irgendwo gesagt wurde? Viele gute Tipps wurden auch schon im Rahmen des aktuellen RSP-Blogs Karneval wiederholt. Das Thema dieses Karnevals ist eben "Rollenspieltipps" und wird, wie jeden Monat, von RSP-Blogs an dieser Stelle organisiert und erklärt: 

Den ganzen Unterbau jedes Rollenspieltipps hatte ich vor einiger Zeit einmal hier vorgestellt:

Ich fasse es trotzdem noch einmal für den Karneval etwas übersichtlicher zusammen. Der für mich wichtigste Tipp als Spieler lässt sich in vielen Sätzen, je nach Empfindsamkeit, weitergeben:

Kein Rollenspiel löste deine Spielerprobleme.
Von Nichts kommt Nichts.
Mach' dir keine Illusionen.
Nur die Harten kommen in' Garten.
Beweg deinen Hintern.

Das sind meine Top 5. Rollenspiel ist kein Facebook-Minigame, jedenfalls nicht in dem Zustand, den wir gegenwärtig im Hobby vorliegen haben. Aus jeder Rollenspielrunde kann man auf lange Sicht immer nur so viel herausholen, wie man hineinsteckt. Das weiß jeder Spielleiter aber das gilt mindestens im gleichen Maße für die einzelnen Spieler. 
Und das wissen leider nicht alle. 
Der Leistungsdruck an einen Spielleiter, dauerhaft zu begeistern, immer neues Material und Ideen zu liefern und das Ganze unter Zeitdruck ist sehr hoch, im Grunde nicht stemmbar. Aber darauf kommt es auch gar nicht an. Worauf es ankommt ist, dass man als Mitspieler dieselbe Faszination für die Spielkampagne entwickelt. Das man in der Lage ist, sich selbst zu motivieren. Erwarte nicht, dass dies andere für dich tun. Ohne dies lässt man den Spielleiter ins Leere laufen, so dass auch dieser den Sinn nach Zweck verliert. Die Spielwelt (und auch die Regeln) gehören jedem in der Spielrunde, also trägt auch jeder Verantwortung für das Gelingen der Kampagne. 

Das jeder die Bedingungen der Spielkampagne akzeptiert, ist selberverständlich, aber selbst dann wird einem in einer Rollenspielkampagne nicht alles gefallen. Suche dir die Dinge, die dir gefallen und baue sie aus. Liefere dem Spielleiter Ideen. Denke dir Geschichten und Personen aus, zeichne Karten oder Bilder, schreibe meinetwegen auch 20 Seiten Charakterhintergrund. Es kommt nicht darauf an, ob dies wirklich im Spiel Verwendung findet. Lerne die Regeln. Hab' Gefallen an deinem Charakter oder an bestimmten Spielweltcharakteren oder besser noch an denen deiner Mitspieler. Das aktuelle Abenteuer ist langweilig für dich? Dann lass' es krachen, dein Charakter ist immer mit dabei. Zeige deinen Mitspielern, dass du selbst Spass produzieren und nicht nur aufnehmen kannst. Denn auch sie spielen ist erster Linie für sich und nicht für dich.
Tue alles dafür, dass die Spielrunde ein Gemeinschaftsprojekt wird und nicht nur eine Veranstaltung, bei der du dabei ist. Seid ein A-Team, kein C-Team.

Das alles steckt in einem einzigen Tipp.
Ich weiss, trivial. 
Dann macht's doch so.


Montag, 30. September 2013

Spielfreiheit - wider die Spielbarkeit (Teil 2)

Eines der meistbemühten, sogenannten Grundpfeiler und Verbreitungsmaschine schlechthin von Rollenspiel ist die Spielfreiheit. Versprochen wird uns, alles sein zu können und alles tun zu können, meist untermauert, das Versprechen durch das gerade präsentierte Regelsystem einlösen zu können. 
Spielfreiheit hat nicht nur einen guten Klang, sondern enthebt den Rollenspielentwickler auch zweckdienlich davon, allzuviel Arbeit aufwenden zu müssen oder für irgendeines der Resultate seines Werkes mitverantwortlich zu sein. Denn es wird ja nichts vorgegeben. Dankbarerweise sieht das der Teil der Spielerschaft genauso, der die strapazierten Regeln sowieso auf Anhieb über Bord wirft, sobald diese der "Spielfreiheit" im Wege stehen und bestätigt dieses Vorgehen dadurch. 
Das uns in diesem Klima Rollenspiele wie Eintagsfliegen um dem Kopf schwirren, und ebenso nahrhaft sind, die keine Fragen beantworten, keine Hilfestellung geben können und wollen, verwundert da nicht. Denn sie könnten ja die Spielfreiheit einschränken. 
Das man von Rollenspielen keine Spielhilfen mehr an die Hand bekommt wie man leitet, Dramatik aufbaut, beschreibt, taktisch und strategisch vorgeht, wie man Spieler einbindet, wie man sich selbst einbindet, was Rollenspiel IST, darüber wundere ich mich schon lange nicht mehr. Denn dies würde die Möglichkeit implizieren etwas falsch machen zu können, würde eine Wertung in die Nutzung des Rollenspiels bringen und das passt nicht in unsere alles tolerierende Gegenwart. 

Lasst sie reden und machen. 
Ganz unromantisch betrachtet bedeutet Spielfreiheit in erster Linie eines: Mehraufwand für die Spielrunde. 
Meist muss die Runde nicht nur entscheiden, welche Konflikte und Persönlichkeiten in ihrer Spielwelt (so vorhanden !) auflodern und wüten, sie muss sich auch die Details, die eine Spielwelt erst lebendig machen, aus den Fingern saugen. Regeln muss sie entweder brechen oder mühselig mit Hausregeln ergänzen oder im Zweifelsfall einfach eine Münze werfen und Spielfigureigenschaften und Entscheidungen damit im Endeffekt aushebeln. Und manchmal muss sie die Regeln auch gleich noch vollständig konvertieren, um sie überhaupt benutzen zu können. Obendrein muss sie untereinander die Spielercharaktere in Bezug auf Persönlichkeit, Aufgabengebiet und Stärke abstimmen, muss sich über die Stimmung des Spieles (lustig/ernst ... ) klar werden und muss entscheiden, welche Rechte und Pflichten jeder Teilnehmer hat, so sie sich denn überhaupt bewusst ist, was das alles bedeutet und welchen Einfluss es auf das Spiel haben wird. Auch sind die meisten von uns weder Dramatiker noch Mathematiker oder Regeleentwickler um die anderen Probleme eigenständig lösen zu können (zu unserem Leidwesen: Die meisten Rollenspielautoren auch nicht). 

Freiheit kann man einem zwar lassen, aber nicht geben.
- F. Schiller 

Und gerade dieser Mehraufwand sollte insbesondere bei älteren Semestern ein Thema sein, bei denen Motivation und Freizeit natürlich ein großes Problem ist. Gerade heute, in der Freizeit neben Smartphone und AppleStore auch für jünge Leute ein immer wichtigeres Gut wird, ist es nicht verkehrt, die Spielfreiheit hinter die Spielbarkeit zu stellen.
Ich kann nicht behaupten, in den letzten Jahren eine gute Runde gehabt zu haben, die "Spielfreiheit" auf die Fahne geschrieben hatte oder in irgendeiner Weise als Nebenaktivität spielbar gewesen wäre. Zu groß sind die Lücken im eigenen Erfahrungshorizont, zu kleinteilig die Absprachen, zu breit die Wissensgebiete und zu kryptisch die Spielregeln, als das eine Spielrunde etwas halbwegs wachhaltendes auf die Beine stellen könnte. Die interessanten Abende waren immer diejenigen mit klaren Vorgaben und klaren Zielen. 

Wie immer ist das kein neuer Ansatz und führt uns zu den Ursprüngen zurück. Schon D&D führte z.B. Klassen, Gesinnungen und Umgebungen ein (der Dungeon). Jedem war klar: Ich spiele diesen Spezialisten, der jenes kann, dort hingeht und die Welt auf diese oder jene weise sieht und sich entsprechend verhält. Gerade letzteres (die Gesinnungen) allein stellen schon eine immens solide Basis als Entscheidungshilfe für einnehmendes, konsequentes Charakterspiel dar ohne auch nur ein Wort über Spieler-/Charakterwissen, Player Enpowerment, Kickers, Bangs usw. zu verlieren. 
Nur um alles davon irgendwann auf dem Altar der Spielfreiheit zu opfern. 

Wenn ich gegenwärtig ein Abenteuer erleben will, in dem ich atmosphärisch aufgehen kann, dann setze ich mich eher zu einer Runde thematischer Brettspiele wie Prophecy, einer Partie Resistance, Konvoi, Junta oder Space Infantry. In gewissem Sinne kann ich sogar Strategiespielen wie Rune Wars, Core Worlds, Dungeon Lords, Richard III. oder Warrior Knights mehr Spielweltatmosphäre abgewinnen, als mich in ein völlig unbeschriebenes Blatt von Spielwelt und Spielrunde mühsam und ohne Erfolgsgarantie einarbeiten zu müssen. Gerade Gesellschaftsspiele haben sich immens weiterentwickelt, sind nicht mehr selten "wie Rollenspiele, aber ohne den langweiligen Teil". 

Wenn ich in einer Kartenpartie Netrunner mehr Cyberpunkatmosphäre atme, als in einer Kampagne Shadowrun, dann liegt das meines Erachtens daran, dass erstes in Sachen Spielmechanik um Lichtjahre durchdachter und weiter ist, als die Krücken, mit denen wir überwiegend seit Jahrzehnten versuchen, zuverlässig Abenteuererlebnisse zu produzieren. 

Rollenspiel gewinnt für mich nicht an Mehrwert, nur weil ich mehr machen kann. Mit der Spielfreiheit bin nach Jahren des Herumexperimentierens, Diskutierens und Recherchierens deshalb auf Erstes durch.
Ich würde mir wünschen, dass Rollenspiele noch klarere Vorgaben, noch bessere Hilfestellungen machen und mutiger sind, den Spielern auch einmal zu sagen: Du kannst DAS nicht, du BRAUCHST das jetzt aber auch NICHT.
Rollenspiel in kontrollierter Umgebung um bestimmte Spielerfahrungen zu erzeugen, gerade für Leute, die keine Erfahrung mit und auch kein Interesse an Theaterkursen, Literatur-Workshops oder Statistikseminare haben. Ich rede dabei nicht von schwammigen, thematischen Indie-Rollenspielen, sondern durchaus umfänglichen Rollenspielen, die fachkundig geschrieben sind und die Spielrunde als Ratgeber führen und in denen sich die Thematik aus den Regelmechanismen ganz natürlich ergibt - in denen unterschiedliche Runden dennoch vergleichbare Ergebnisse erspielen.

Das man dabei dennoch nicht kreativ eingeschränkt sein muss, zeigen Rollen-/Brettspielhybriden wie Battlestations. Doch so etwas ist nur ein kleiner Ausblick, in welche zeitgemäße Richtung sich Rollenspiel in der sehr schnellen Welt entwicklen kann. Ob dies mit den antiquierten Riten und Ansichten durchführbar ist, die all' die Bierdeckelsettings, Charakter-Punktekaufsysteme,  Sandboxen, Simulationsmonster und Erzählregeln hevorgebracht haben, die Rollenspiele auch nach mehreren Wellen der Aufklärung weiter fest in ihrem Griff haben, steht noch aus. Wir können natürlich warten.
Aber ich bin lieber aktiv.


Was ist euer Für und Wider? Diskutiert es im RSP-Blogs Forum:
http://forum.rsp-blogs.de/diskussion-und-kommentare/(hoch-ist-gut)-spielfreiheit-wider-die-spielbarkeit/msg10414/#msg10414

p. S:
Dieser Beitrag ist die Fortsetzung des Beitrags:
Über den Tellerrand: Was wir von Brettspielen lernen können Teil 1
http://hochistgut.blogspot.de/2012/06/uber-den-tellerrand-was-wir-von.html