Nun, die Buchläden heissen jetzt Amazon, Verfügbarkeit ist eine Selbstverständlichkeit und die Stimmung für Soloabenteuer liegt wieder in der Luft. Also genau der richtige Zeitpunkt, um mal einen Blick auf Joe Devers berühmte Einsamer Wolf Spielbücher zu werfen. Diese Abenteuerspielbücher aus den 80igern wurden von Mongoose Publishing 2007 neu aufgelegt und überarbeitet und vom Mantikore Verlag übersetzt. Der erste Band, “Flucht aus dem Dunkel”, liegt mir jetzt vor, das Rezensionsexemplar hat mir gegen Bezahlung ein freundlicher Bahnhofsbuchverkäufer über die Theke gereicht.
Doch war es eine gute Idee, die schlummernden Kindheitserinnerungen wieder auszugraben?
Für die Unbedarften: Ein Abenteuerspielbuch ist prinzipiell eine Geschichte, die jedoch vom Leser mitgestaltet werden kann. Die Abschnitte der Geschichte sind mit Zahlen versehen, die Querverweise darstellen. Bietet die Geschichte dem Leser eine Entscheidung, muss er sich für eine Zahl entscheiden, die den nächsten Abschnitt betitelt, an dem die Geschichte auf die gewünschte Weise fortgeführt wird. Um die Spannung zu erhöhen gibt es Rätsel, Zufallselemente und Spielregeln, die entscheiden, wie gut der Hauptcharakter abschneidet.
Das Buch
Einsamer Wolf ist ein Initiand eines Elite-Kriegerordens, der miterleben muss, wie seine Abtei bei einem hinterhältigen Angriff niedergebrannt wird. Als einziger Überlebender fortan auf der Flucht, muss er die Hauptstadt erreichen, um den König vor den einfallenden Horden des Dunklen Meisters Zagarna zu warnen. So weit, so klassisch. Aber die Geschichte ist ohnehin nur der Aufhänger für zahllose Entscheidungen und Herausforderungen, denen sich der Leser selber stellen muss.
“Einsamer Wolf - Flucht aus dem Dunkel” ist ein richtig schwerer Brocken im übergroßen Taschenbuchformat, mit 464 Seiten und über 500 Textabschnitten. Das Cover ziert eine sehr hochwertige, auf die Geschichte abgestimmte Zeichnung, die Einsamer Wolf im Duell mit einem “Giak” auf der Turmspitze seiner Abtei darstellt. Im Inneren finden sich zahlreiche, stimmungsvolle und altmodisch wirkende Schwarzweiss/Tuschezeichnungen, die Szenen des Buches in vielen Fällen genau widergeben. Zur Auflockerung finden sich wiederholt Zierbilder zwischen den Zahlenabschnitten. Die ersten Seiten sind für eine hochwertige und stabile, farbige Karte reserviert, die einen Ausschnitt der Buchwelt Magnamund darstellen und essentiell für die Orientierung des Lesers ist und zudem eine Entscheidungshilfe darstellt. Am Anfang des Buches findet sich ein übersichtliches Charakterblatt, das leicht herauskopiert werden kann. Aufgrund der wenigen Variablen ist es aber auch möglich einen einfachen Zettel für die eigenen Notizen zu verwenden. Die Qualität des Buches entspricht dem, was man von deutschen Taschenbüchern heutzutage erwartet.
Die Spielregeln
Nach kurzem Einstand werden dem Leser auf 9 Seiten die Spielregeln nahegebracht. Die wenigen Regeln und Erläuterungen zum Funktionsprinzip sind sehr eingängig und verständlich geschrieben. Die Spielregeln beschränken sich auf ein einfaches Kampfsystem und grundlegende Verhaltensregeln im Umgang mit Ausrüstung, z.B. ist es nur erlaubt 8 Gegenstände und 50 Goldstücke mit sich herum zu tragen. Einsamer Wolf besitzt den Wert Kampfstärke und Ausdauer. Waffen können den Kampfwert erhöhen. Kommt es zu einer Auseinandersetzung mit dem Feind, so wird einfach die Differenz aus Kampfstärke des Einsamen Wolfes und des Feines gebildet. Dieser “Kampfquotient” (der eigentlich gar kein Quotient ist) definiert eine Spalte auf einer Tabelle, die festlegt, wieviel Ausdauer Einsamer Wolf und sein Feind bei der Ermittlung einer Zufallsfall verlieren. Die Auswirkungen sind so festgelegt, daß Einsamer Wolf in den meisten Fällen die Überhand hat.
Des Weiteren gibt es immer mal wieder Abweichungen von den Standardregeln, die im jeweiligen Abschnitt erläutert werden. So können die Kampfwerte in bestimmten Situationen variieren oder bestimmte Gegner gegen Effekte immun sein.
Zufallszahlen werden auf einer Tabelle am Ende des Buches ermittelt. Die Werten reichen von 0-9 auf einer 10*10 Tabelle. Angedacht ist, daß man mit geschlossenen Augen mit dem Stift eine "Zufallszahl" ermittelt. Das diese Praxis nicht funktionieren kann, erschliesst sich relativ schnell. Mit dem ersten (unwillkürlichen) Blick erkennt man bereits, welche Bereiche der zufällig verteilten Zahlen man besser meiden sollte oder ausnutzen kann. Sich hier “fair” zu verhalten ist selbst bei gutem Willen nicht möglich, da man schliesslich auch die schlechten Zahlen dann bewusst wählen muss. Und mit jedem Treffer lernt man die Tabelle ein wenig besser kennen. Entgegen mancher Vorschläge kann man die Tabelle eigentlich nicht durch einen zehnseitigen Würfel ersetzen, da manche Ziffern, wie die Null, 9 mal, andere dagegen 11 mal vorkommen. Inwiefern dies überhaupt das Auswählen der Zahlen beeinflusst, ist fraglich. Im Spiel habe ich mich dann für einen W10 entschieden, da er zumindest zufällige Zahlen erzeugt. Diese sehr zufällig ermittelten Zahlen haben einen großen Einfluss auf das Spiel, nicht nur im Kampf, sondern auch in anderen dramatischen Situationen und entscheiden über einen Großteil des Spielverlaufes, ohne, daß der Leser Einfluss darauf nehmen kann.
Der Kampf selbst bietet keinerlei taktische Optionen. In einigen wenigen Fällen bieten die Disziplinen dem Spieler Vorteile, auf die er jedoch hingewiesen wird. Das Verfahren selbst kann vom Spieler nicht beeinflusst werden. Man trifft auf einen oder mehrere Gegner und ermittelt so lange Zufallszahlen, bis entweder Einsamer Wolf oder die Widersacher das Zeitliche segnen. Das Schicksal des Protagonisten ist in Kämpfen schlussendlich dem Zufall überlassen. Das Spielerlebnis in den Kämpfen ist dementsprechend relativ unbefriedigend und frickelig, während man mit Stift, Zettel und dem Buch an mehreren geöffneten Stellen hantiert, um die Zahlenreihen festzuhalten. Die meisten Kämpfe sind jedoch nach wenigen Durchgängen beendet, da der Ausdauerverlust recht hoch ausfällt.
Textstruktur
Eine ähnliche Zufälligkeit zeigt sich bei der ganzen Struktur der Textabschnitte. Der Leser kann zwar regelmäßig Entscheidungen treffen, die die Geschichte in Schlenkern beeinflussen können, die dann in Flaschenhälsen wieder aufeinander treffen, jedoch werden ihm häufig nicht genug Informationen an die Hand gegeben, um eine valide Entscheidung treffen zu können. Dies ist insofern fatal, als das der Abenteuerverlauf durchaus recht schwer ist. Es gibt zum Teil sehr schwere Kämpfe zu bewältigen oder sogar Sackgassen, die das Ende von Einsamer Wolf bedeuten, wenn er zuvor falsch abgebogen ist oder man zufällig zu Beginn des Spieles nicht die richtige Disziplin gewählt hat oder einen schlechten Charakterwert ermittelt hat. Es ist sehr frustrierend in einer Szene ohne Ausweg sein Ende zu finden, wenn man zuvor nur vor die Wahl gestellt wurde, an einer Kreuzung “Links, Rechts oder Geradeaus” gehen zu können.
An einer Stelle der Geschichte warnte mich der “Sechste Sinn”, den ich wählte, davor, daß eine Abzweigung eine “Sackgasse” sei (wozu ein sechster Sinn nicht alles gut ist). Was aber wohl wirklich gemeint war, war eine Sackgasse in der Geschichte mit tragischem Ende! Ich habe den Eindruck, es handelt sich dabei um einen Übersetzungsfehler (Dead end. Deadly ending?).
Auch ist nicht geklärt, wie das Problem des Herausforderungsgrades gelöst ist, da die Bücher auch für sich allein spielbar sein sollen. Ein Held, der mehrere Bücher durchgespielt hat, hat selbstverständlich eine bessere Ausrüstung als ein neuer Charakter.
Demgegenüber erhält man an manchen Stellen zu viele Informationen, die Einsamer Wolf gar nicht besitzen dürfte und man weiss bereits, was vor sich geht, bevor man weiterliest. In einer bestimmten Szene darf der Leser z.B. entscheiden, sich vor befreundeten, königlichen Soldaten zu verstecken, die man auf einer Lichtung entdeckt. Wieso man sich dafür entscheiden sollte, geht aus der Geschichte nicht hervor, zudem man sich bereits schon mal Königssoldaten gezeigt hatte, die keinesfalls feindlich gesinnt waren. In diesen Fällen wird der Geschichte etwas vorweggenommen.
Die Trennung der Absätze in die unterschiedlichen Zahlen sind nicht immer nachzuvollziehen. Manche Absätze ohne Entscheidung gehen konsequent über drei Seiten, wohingegen andere willkürlich aufgetrennt werden, ohne, daß es auf dem nächsten Abschnitt inhaltlich einen Grund gäbe, daß dieser Folgetext durch eine vorherige Entscheidung angesteuert werden könnte. Ein wirkliches Hindernis beim Lesen stellt dies allerdings nicht dar und kann als Kuriosum abgelegt werden.
Schreibstil
Zum Text selbst. Die Geschichte wird aus der Perspektive des Einsamen Wolfes erzählt. Der Leser wird dabei direkt per Du angesprochen, da er die Rolle des Protagonisten übernimmt. Der Text selbst ist sehr einfach geschrieben. Ein Großteil der Textabschnitte stellen naturgemäß Beschreibungen von Umgebungen dar. Dies stellt sich recht bald als ermüdend heraus, da sich die Floskeln recht schnell wiederholen. “Du siehst, du hörst, du spürst...” - “Links von dir, Rechts von dir, oben, unten...” - es ist eben nur begrenzt möglich, Szenerien mit immer neuen Wortkombinationen zu beschreiben. Einige wenige Szenerien sind recht naiv und undurchdacht. So trifft man auf einen Kampfplatz, an dem eine Partei das Vordringen des Feindes verhindern will, die man jedoch ohne Gegenwehr umgehen kann, weil die Wehrgänge nicht besetzt sind. Wieso die Feinde nicht selbst auf die Idee kommen, die Wehrgänge zu benutzen, um die Blockade zu umgehen, erschliesst sich nicht. In einem anderen Fall kann man ein Zahlenschloss knacken, indem man die Anzahl der Gegner errät, die man auf dem Weg zur Tür erschlagen hat. Eine sehr vorrausschauende Bauplanung, muss ich sagen. Die überwiegenden Begegnungen sind jedoch sehr abwechslungsreich und schlüssig, wenn auch nicht übermäßig kreativ oder eigenständig.
Direkte Rede gibt es nur selten, meist beschränkt sich diese auf die Anfangssätze der Personen, die man antrifft. Der Rest der Gespräche wird nacherzählt, wohl auch, um Text zu sparen.Unangenehm sind mir zudem die relativ häufigen Rechtschreibfehler aufgefallen. Des Öfteren fehlen Wörter im Text und es findet sich eine leicht überdurchschnittliche Zahl von Deppenbindestrichen, was man bereits im Einbandtext bewundern kann. Es stellt sich die Frage, wohin der doch recht stolze Preis des Buches geflossen ist. Aus anderen Quellen ist mir bekannt, daß übergroße Taschenbuchformate von Verlagen gerne gewählt werden, da man hierfür einen höheren Preis verlangen kann. Man muss allerdings auch sagen, daß dieses Format doch eine Menge Blätterei erspart.
Fazit
Es fällt mir schwer, diese Reihe zu bewerten. Die Geschichte an sich ist nicht sehr motivierend, da sie relativ schnörkellos und vorhersehbar ist. Im Verlauf der Geschichte bin ich dreimal gestorben, und Rollenspieler, der ich bin, habe ich selbstredend brav einen neuen Charakter erstellt und von vorn begonnen (denn ansonsten wären die Regeln nicht nötig). Das wäre grundsätzlich kein Problem, jedoch habe ich mich in keinem der Fälle verantwortlich gefühlt. Ich habe nichts "falsch" gemacht. Einmal ist mein Einsamer Wolf gestorben, weil ich in einem sehr schweren Kampf (den man nicht umgehen kann) schlecht gewürfelt habe. In den anderen Fällen bin ich einfach falsch abgebogen und hatte nicht die richtigen Disziplinen zur Hand. Ich hege den Verdacht, daß das halbbewusste Wählen der Zufallszahlen auf der “Zufallstabelle” bewusst so angelegt ist, daß man das Ergebnis beeinflussen kann (schlussendlich wählt man immer noch mit geschlossenen Augen). Es wäre ein Mehrwert gewesen, bei dieser Intention darauf hinzuweisen, doch bei einer Vermutung kann ich es nicht als Vorteil werten. Von einem zehnseitigen Würfel als Ersatz rate ich jedoch nachdrücklich ab.
Zurück bleibt im Grunde nur ein Frusterlebnis eines im Großen und Ganzen zufälligen Ratespieles, in dem die eigenen Entscheidungen nur in wenigen Situationen eine Rolle spielen. In Kombination mit der schlichten Schreibe und dem mehrmaligen Wiederholen ein recht mühseliges Erlebnis. Wirklich gefordert fühlte ich mich in nur wenigen Momenten und aufgrund des Schreibstils kann ich diesen ersten Band hauptsächlich jüngeren Lesern empfehlen, die vielleicht wie ich damals ihren Einstieg in die Welt der Rollenspiele wagen wollen. Meine Rückkehr nach Magnamund sieht zur Zeit jedenfalls eher ungewiss aus.
Kein Spiel für alte Säcke, die sich zweimal überlegen sollten, diese Zeitkapsel aus Kindheitstagen auszugraben.Einsamer Wolf – Flucht aus dem Dunkel
464 Seiten2. Auflage Mantikore Verlag 2010
Mongoose Publishing 2007
Sprache deutsch
ISBN-13: 978-3981281279
14,95 Euro
p.S:
Die ursprünglichen Versionen von Lone Wolf sind übrigens als Fansprojekt mit offizieller Genehmigung von Joe Dever in Englisch als Onlineversion oder zum Download gratis auf folgender Adresse verfügbar.