Ich habe mich in letzter Zeit oft
darüber geärgert, dass im Bereich Rollenspielentwicklung nichts
nennenswertes mehr passiert. Zu beschäftigt sind die Verlage, ihre
bunten Boxen zu "promoten", zu beschäftigt die
Konsumenten, sie auszupacken und zu bestaunen.
Was mich in diesem speziellen Fall
frustrierte, war die Vermutung, dass es keinen "Regelansatz
zur Verhandlung und Konsensfindung bei der Bewertung von
Spielsituationen" gibt.
Ich schrieb, dass gescheiterte Verhandlungen der Grund für eine gescheiterte Spielrunde sind. Was mir jedoch fehlte, war ein
Ansatzpunkt, nämlich der eigentliche Gegenstand der Verhandlung.
Und fast im Verborgenen hat bei den
deutschen RPG Bloggern nun m.E. eine wichtige Diskussion über
Rollenspielentwicklung gezündet. Eine Diskussion, die mindestens
implizit seit dem Scheitern (?) von D&D 4 und dem
Entwicklungsstart von D&D Next als Taktgeber der globalen
Rollenspielcommunity mitschwingt, sei man nun ein Spieler derselben
oder nicht. Nämlich die Diskussion, wie Spielinhalte ihren Weg in das Rollenspiel finden. Und mit der Diskussion werden Fragen aufgeworfen, die
darüber hinausgehen, ob eine +4 Modifikation nun gestalterisch
sinnvoller ist, als ein Nachwürfeln, oder ob das Würfeln von 3W20
gegenüber 1W20 nicht vielleicht doch eher "komplizierter"
anstatt "einfacher" ist.
Andreas von RPGnosis hat hier mit einer wundervollen, perspektivischen Verschiebung einen großen
Teil alter Zöpfe abgeschnitten und Inspiration für neue Ansätze
geschaffen. Im Wesentlichen ist die Grundlage, dass der sogenannte
"Gemeinsame Vorstellungsraum" (http://ptgptb.org/0026/theory101-01.html) nicht existiert und
für das Rollenspieldesign auch gar nicht benötigt wird. Stattdessen
ist der Rollenspielprozess abhängig von den individuellen Gedanken
eines jeden Mitspielers. So weit, so einleuchtend. So gesehen gibt es am Spieltisch nicht "das
Rollenspiel", sondern jeder spielt dementsprechend sein eigenes Rollenspiel und
versucht dieses seinen Mitspielern zu vermitteln und deren Rollenspielversionen aufzunehmen (soweit ihm das
durch unwillkürliche Annahmen in seinen Vorstellungen überhaupt
möglich ist). Daraus können diverse Unstimmigkeiten und
Missverständnisse erwachsen, die das gemeinsame Spielen stören oder
unmöglich machen können. Craulabesh merkt hier außerdem an,
dass diese Störungen der kreative Motor des Rollenspieles ist (der Beitrag ist überhaupt ein guter Einstiegspunkt für die Leser, um wieder in das Thema zu kommen).
Warum ist das nun wichtig?
Das eine
Spielrunde gemeinsame Absprachen treffen muss oder die Inhalte so
überschaubar wie möglich halten soll (K.I.S.S. = keep it straight
and simple) oder im Zweifelsfall "der Meister immer Recht" hat,
ist keine neue Erkenntnis und ergibt sich quasi als Notwendigkeit
daraus, dass am Spieltisch nichts handfestes geschieht, wie z.B. bei
einem Brettspiel oder Computerspiel.
Es ist wichtig, weil dieses "Absprechen" im
Rollenspieldesign häufig nicht verankert wird, sondern vielmehr diese Absprachen als Maßnahme gegen das Regelsystem genutzt
werden müssen, welches die Spielrunde meist einschränkt oder ausbremst.
Bei einem klassischen Regeldesign
stehen die Regeln als Steuerung des gemeinsamen Konsens im
Vordergrund. Mit anderen Worten: Die Spielregeln geben vor, wie sich
die Mitspieler bestimmte Situationen vorzustellen haben. Es gibt
komplexere Systeme und abstraktere Systeme, aber meist haben sie den
Anspruch, alles oder "alles Wichtige" vorweg zu verregeln
(also bevor es überhaupt im Spiel auftritt). Diese Systeme lassen
sich abermals unterteilen in solche, welche die Funktionen der
Spielwelt und solche am Spieltisch zwischen den Mitspielern regeln. Und natürlich alles
dazwischen.
Entgegen der irrigen Annahme, ist
Rollenspiel allerdings kein "Spiel" (im Sinne von "Game"), sondern Verhandlungssache und das bemerkt man ziemlich schnell in der Praxis. Unter dieser
Annahme stößt man erfahrungsgemäß nämlich sehr schnell an die Grenzen des "Spiels", da zum Einen die Vorstellungen eines
Spielers (gar nicht zu reden von gleichzeitigen, unterschiedlichen
Vorstellungen mehrerer Spieler!) um einiges vielfältiger und
detaillierter sein können, als jeder Regelkatalog vorgibt. Sich an vorgegebene Regeln zu halten, ist also
immer eine Einschränkung der Optionen. Zum Anderen berücksichtigen diese Spielregeln selten (insbesondere
solche des Spieltisches selbst, Erzählrechte und Player Empowerment,
ich schaue auf euch), dass kein Spieler eine Regelung akzeptiert, nur
weil sie da ist. Auch hier mit anderen Worten: Man muss nicht alles
hinnehmen, was in einer Spielrunde gesagt wird, nur weil in einem
Moment ein Spieler ein "Erzählrecht", "immer Recht" oder ähnliches hat. Man muss seine Mitspieler überzeugen.
Damit jemand diesen "Regel
überschreibt Vorstellungswelt"-Ansatz überhaupt für Voll
nimmt, hat man sich viele argumentative Strohmänner erarbeitet, wie
den "guten und schlechten Rollenspieler", die "goldene
Regel" (ignoriere Regeln, die dir nicht gefallen) oder "Spaß
ist wichtiger als Regeln" (ich weiß immer noch nicht, was das
eine mit dem anderen zu tun hat). Diese Tricks implizieren bereits
den eigentlichen Vorgang, den Andreas nun übersichtlich dargestellt
hat:
Nämlich das Verhandeln und das
verständlich Machen des Spielinhalts. Das die Vorstellungen der
Spieler der Kern des ganzen Rollenspieles ist und nicht
andersherum ihre Vorstellungen anderen Spielaspekten (wie Regeln) untergeordnet sind. Es geht im Regeldesign nicht darum, Probleme bei unterschiedlichen
Spielervorstellungen zu vermeiden, sondern sie möglichst effektiv zu lösen. Das ist das, was wir alle im RPG tun, was uns die meisten
Regelsysteme aber nicht tun lassen.
Spielregeln und Hilfsmittel
(Spielfiguren, Skizzen, Hintergrundbücher) können hierbei eine
Sprache sein, aber kein eigenständiger Spielmechanismus. Eine
Spielregel wie "Stromschnellen erschweren das Schwimmen um X"
benötigt vor der Anwendung eine Beurteilung darüber, wann man
überhaupt von Stromschnellen spricht. Die Vorstellung steht also an
erster Stelle und dann kommt erst die Regel. Regeln und Hilfsmittel können die
Spielrundenkommunikation nicht starr steuern, sie sind ein Teil
oder Werkzeug derselben. Zum Beispiel garantiert kein Hintergrundbuch einer Spielwelt, dass
die Spieler alles darin auch gleichartig in ihre Vorstellungen
einbauen. Aber sie können sich darauf als Vokabular berufen ("aber
auf Seite X. steht doch...").
Das ist ein eklatanter
Perspektivwechsel bei der Gestaltung von Spielregeln und -inhalten
und was sie zu leisten haben. Wichtig ist nun nicht mehr, dass ein
Rollenspiel z.B. mit seinen 235 Kampfmanövern thematisch alles
abdeckt, was existiert, sondern aus welchen Bausteinen (auch
begrifflichen!) diese bestehen, damit sich die Spieler möglichst
eindeutig verständlich machen können. Auch ist nicht wichtig, wie
die einzelnen Regeln miteinander in Zusammenhang stehen, sondern dass
sie leicht und übersichtlich in Zusammenhang gebracht werden können.
Ist mit einem Regelsystem und den
Hilfsmitteln einmal ein Vokabular geschaffen, so können diese zur
Verhandlung eingesetzt werden, also dem eigentlichen Rollenspielprozess. Eine Verhandlung setzt voraus, dass alle
Verhandlungsseiten gegensätzliche Interessen haben und diese durchsetzen wollen. Als
Ergebnis kann ein Regelmechanismus entstehen oder auch eine
Abstimmung und vieles andere. Old-School Spiele gehen so schon seit
Langem (halbherzig) vor.
Doch zunächst ist zu klären, was die
Interessen in der Verhandlung eines jeden einzelnen sind. Auf Seiten der Spieler sehe ich hier
zum Beispiel ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
- situative Spannung
- gestalterische Gewalt
- Eskapismus / Entspannung
- seine Mitspieler zu unterhalten
Und auf der Spielleiterseite (SL)?
Beim Hofrat las ich vor Urzeiten einmal, dass ein SL keine
Interessen haben darf. Er muss absolut unparteiisch sein (zwischen
Spielwelt und Spielern). Eine Spielwelt hat aber keine Interessen. Ohne gegensätzliche Interessen aber gibt es keinen
Verhandlungsgrund und demnach kann auch die Verhandlung der
Spielvorstellungen nicht in Gang gesetzt werden. Offensichtlich passiert dies aber. Welches Interesse also hat der Spielleiter? Das offensichtlichste Interesse wäre
eine Art Wettbewerbsposition, in der der SL tatsächlich der Gegner
der Spieler ist. Das schließt sich allerdings dadurch aus, dass die
gestalterische Gewalt zu einem großen Teil in seinen Händen liegt und er sämtliche Inhalte beurteilt und bewertet. Ist Unparteilichkeit ein Interesse, aber welche Parteilichkeit, wenn es dann doch nur noch die Partei der Spieler gibt?
Ich denke, dass die Diskussion über
das Thema erst am Anfang steht und schlage daher vor, zunächst
einmal zu klären, warum der Spielinhalt überhaupt untereinander ausgehandelt werden muss und welche Rolle dabei die
Position der Mitspieler einnimmt (Spieler/Spielleiter).
Befeuert die Diskussion, so lange sie heiß ist. Am Besten an einem gut überschaubarem Ort, wie dem RSP-Blogs-Forum.
http://forum.rsp-blogs.de/diskussion-und-kommentare/httphochistgut-blogspot-de201409i-reject-your-reality-and-substitute-my-ht/msg13806/#msg13806
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