Die RPC 2011 ist vorbei und es wurden wieder viele neue, neu aufgelegte und bislang unbekannte, hochinteressante Rollenspiele gefeiert. Und ich beglückwünsche alle Autoren, deren Rollenspiele Preise eingeheimst haben, ausverkauft wurden oder neue Rollenspieler gewinnen konnten.
Und ich möchte die Feierstimmung auch nicht unnötig trüben, aber als gewohnheitsmäßiger Muffel und Skeptiker fällt es mir schwer mich über gute Dinge unhinterfragt einfach mal nur zu freuen und schaue auch auf die Schattenseiten.
Diese unzähligen Rollenspieleintagsfliegen, Fließbandrollenspiele und Trittbrettfahrer der letzten Jahre machen mich noch fertig!
Mittlerweile sprießen neue Rollenspiele wie Pilze aus dem Boden. DungeonSlayers, Barbarians of Lemuria, Labyrinth Lord, Aborea, Dragon Age, Nova, Malmsturm, Lamentations of the Flaming Princess, Dresden Files, Justifieres und was weiss ich nicht noch alles. Dazu all die Neuauflagen von bereits mumifizierten Altsystemen, die kaum noch jemand spielt. Und alle haben sie dasselbe Problem:
Alle machen sie einen verdammt guten Eindruck. Jeder Freizeitdesigner kann heutzutage mit Photoshop und MS Office akzeptable bis gut aussehende Ergebnisse produzieren, so daß ein Rollenspiel toller wirkt, als das Andere. Und die meisten erfüllen sicher auch ihr Designziel, das war vor einigen Jahren anders, in denen vor allem Designmüll und Experimente produziert wurden. Ich würde sagen, gefühlt hat die Durchschnittsqualität der Rollenspiele insgesamt zugenommen. Und die Veröffentlichung ist heute so unproblematisch, daß es kein finanzieller Aufwand mehr ist, eigene Rollenspiele vielen Spielern zugänglich zu machen. Das sind Erfolge, für die man früher eine riesige Logistik in Gang bringen musste. Und, nicht zuletzt, alle Rollenspiele sagen sie auf sehr effektive Weise: SPIEL mich, KAUF mich!
Das ist nicht nur ein Segen, sondern auch ein Fluch. Ich bin sehr anfällig für diese Rollenspiel Marketinghypes, so daß ich im Moment nichts lieber tun würde, als sofort eine neue Kampange mit einem der neuen Systeme anzufangen.
Und stattdessen schaue ich zurück und sehe die Rollenspiele, die ich so zur Verfügung habe, D&D, Savage Worlds, DSA, Earthdawn, Unisystem, GURPS, Arcane Codex, Midgard usw. ....*gääähn* und ich werde schon wieder unzufrieden, weil ich nicht in die neue, schöne, glitzernde Rollenspielwelt eintauchen kann. Aber von dort schaue ich dann wieder nach vorne und überlege, welchen Eindruck denn DIESE alten Rollenspiele gemacht haben. Arcane Codex hatte damals auch ganz laut geschriehen "kauf mich, spiel mich!". Und ich habe darauf gehört, und es hat sich im Grunde nichts geändert. Warum sollte es also diesmal anders sein, wieder alles über Bord werfen und anfangen z.B. DungeonSlayers zu spielen?
Natürlich wird sich nichts ändern, weil kein System fehlerlos ist und der Spielspass größtenteils von der Rundenabsprache abhängt.
Die Rollenspielschwemme erreicht in erster Linie diese Dinge bzw. sie zielen darauf ab:
1 sie schüren die Unzufriedenheit über das eigene System. Die einzige Chance für neue Rollenspiele am Markt ist es, uns Rollenspieler davon zu überzeugen, daß sie gebraucht werden. Eine Antwort auf eine Frage, die niemand gestellt hat. Das ist auch logisch, denn man kann ja nur ein Rollenspiel zur gleichen Zeit spielen. Man muss den neuen Spieler überzeugen, warum ausgerechnet dieses neue Rollenspiel nun besser ist (ein paar Blicke in die Argumente und Berichte der entsprechenden Designblogs und Foren genügt für diesen Eindruck schon).
2. viele bauen auf Oberflächlichkeit auf. Was zählt, ist nicht mehr das Langzeitpotenzial, sondern wie schnell man mit möglichst wenig Aufwand möglichst schnellen Spass daraus zieht, damit es sich möglichst schnell, beim möglichst ersten Testversuch möglichst weit verbreiten kann. Ein Rollenspielautor kann nicht mehr damit rechnen, daß eine nennenswerte Anzahl von Spielern auf sein Rollenspiel aufmerksam wird, also muss man in die Vollen gehen, gutes Artwork, unmittelbarer Spielspass, irgendwie herausstechen. Die Arbeit, die man in Synergien und Struktur steckt, die wird dem Testspieler nicht unmittelbar bewusst und ist somit keine Hilfe.
"Hast du gehört, da gibt es dieses neue Rollenspiel?" – "Wie ist es denn?" - "Das weiss ich nicht, aber es kommt in einer Box und hat eine geile Karte" – "Na, das muss ich haben!".
3. sie werden u.A. herausgebracht, um sich selber zu feiern und die Konkurrenz zu beeindrucken. Die Verlagsszene ist so klein, daß sie sich ständig in einem freundschaftlichen Worlds-Next-Top-RPG-Contest mit sich selbst befindet. Es zählt nur, wie gut die RPGs produziert sind. Das ist auch legitim und verständlich, jeder will zeigen was er kann und Web2.0 ermöglicht dies; aber wer spielt das denn noch alles, und wer interessiert sich WIRKLICH dafür, ausser die Autoren und kleine, eingeschworene Gemeinden? Geht es hier wirklich noch um die Spieler oder entsteht hier eine Rollenspieldesigner-Subsubkultur? Würde sich jemand für all die durchaus guten Rollenspiele ernsthaft interessieren, gäbe es viel mehr Fanmaterial und Fanseiten. Rollenspiele wie DSA sind durch den Fanbeitrag erst groß geworden. Diese Kultur ist heute aber beinahe ausgestorben. Cyric beobachtet ähnliches und kritisiert hier das Aussterben eines der detailliertesten Rollenspielwelten überhaupt, das neu aufgezogen und zu Gunsten der "Einsteigerfreundlichkeit" nur noch oberflächlich weitergeführt wurde. Ähnliches wiederfuhr der Shadowrunspielwelt oder der World of Darkness. Natürlich, es lohnt sich ja auch nicht mehr Schweiss und Blut in ein vorhandenes Rollenspiel zu stecken, wenn man weiss, daß ein Großteil der Spieler zum nächsten großen Rollenspielevent abwandern wird.
Was übrig bleibt ist eine Sammelkultur, was aber nicht daran liegt, daß niemand mehr selber schreibt, sondern, weil statt Fanmaterial nun die selbsterstellten Spiele heute alle ihre 15 Minuten Ruhm erhalten. Es ist nicht mehr notwendig für andere Rollenspiele zu schreiben. Was früher "Heartbreaker" war, und sich aufgrund hässlicher Präsentationen und abgekupferter Mechanismen niemand mit dem Hinterteil angesehen hat, ist heute "Retro-" oder "indie" und sieht dabei toll aus, sonst hat sich nix geändert.
4. viele werben mit einfachen Lösungen für komplexe Probleme. Es gibt buchstäblich unzählige Aspekte, von dem das Wohl und Wehe einer Spielrunde abhängt. Die einzige Möglichkeit, als Konkurrenzprodukt hier auf Kundenfang zu gehen ist, den Rollenspieler davon zu überzeugen, daß alles gut wird, wenn er denn nur zu diesem neuen, einfacheren/ flexibleren/ schnelleren/ eingängigeren/ usf. Rollenspiel wechseln würde. Und wie in jedem Anfang, wohnt auch dem Systemwechsel ein Zauber inne, der erstmal alle Probleme vergessen lässt. Wenn aber dieselben Rundenprobleme, oder auch mal neue, nach gewisser Zeit wieder auftauchen, hat man nichts erreicht, sucht die Ursache wieder im Rollenspiel selbst und versucht die Probleme mit dem nächsten Wechsel zu beheben.
Nun gut, was habe ich nun von den vielen Neuveröffentlichungen? Was bringt es mir als Midgard-, Arcane Codex-, Iron Kingdoms-, GURPS- , D&D- und Savage Worlds Spieler jedes halbe Jahr ein neues Rollenspiel zu bekommen? Effektiv gar nichts. Einen funktionierenden, reibungslosen Spielbetrieb aufzubauen kann Jahre dauern und sollte nicht unüberlegt aufgegeben werden. Diese Rollenspielschwemme richtet sich also nur zum Teil an Altrollenspieler. Deswegen spricht man auch vermehrt von Einsteigerrollenspielen, eine Art Unwort des Jahres, das sich meistens nur über die Seitenzahl definiert. Warum soll nur wenig Inhalt etwas für Einsteiger sein? Wir haben damals ohne Rollenspielguru mit DSA angefangen, weil es komplex war und wir hatten früher auch Computerspiele als Alternative. Regelleichte Einsteigerrollenspiele zeigen nur eine Seite des Rollenspiels und vermitteln damit ein unvollständiges Bild. Ich habe den Eindruck, anstatt Neulingen die ganze Welt des Rollenspiels zu zeigen, möchte man sie von Start weg an den unkomplizierten, schnellen Spass mit möglichst wenig Regeln heranführen, der zur Zeit im Trend liegt. Nicht, daß ich etwas gegen regelleichte Rollenspiele hätte, aber was hier fehlt, ist der Blick für das Ganze. Diese Spiele sollen zudem eine geringe Einstiegshürde besitzen, jedoch ist eine Einstiegshürde etwas anderes, als ein regelleichtes Rollenspiel. Man kann auch komplexe Regelwerke mit niedriger Einstiegshürde schreiben, jedoch erfordert dies mehr Aufwand und mehr Verständnis, es wundert also nicht, daß sie in der Welt der schnellen Erfolge nicht sehr verbreitet sind.
Was nützt Einsteigern ohnehin die zweite, dritte, vierte Inkarnation von D&D? Ist das wirklich ein Marktvorteil, wenn es alle tun? Und kann man nicht davon ausgehen, daß der Markt irgendwann gesättigt ist? Es scheint mir eher so, als gräbt man sich hier gegenseitig das Wasser ab und Einsteigerrollenspiel ist nur ein modernes Werbewort, bei dem dasjenige mit dem größten Neonschild gewinnt. Und was ist aus den anderen, eingängigen Spielen geworden, Funky Colts, MouseGuard, Wushu, FengShui, Microlite20, Unisystem, Liquid uvm. Was ist mit der D&D3.5 Einsteigerbox? Wo sind die Zurufe für diese Systeme geblieben? Sind die nicht mehr gut genug? Es scheint, als sei das Communitygedächtnis manchmal recht kurz.
Mich würde es wesentlich mehr freuen, und es wäre wesentlich verwertbarer, wenn es wirkliche Innovationen und Bewegungen in den Rollenspielen gäbe, die schon existieren. Die Leute, die sich wirklich für das Rollenspiel anstatt für persönliche Erfolge interessieren, haben genügend Möglichkeiten wirklich sinnvolle Dinge zu tun, z.B. das Schreiben von Alternativen Regelmodulen. Wenn ein Regelaspekt eines Rollenspiels fehlerhaft oder nicht beliebt ist, wieso schreibt man dann ein eigenes System, wenn es mit einem alternativen Regelteil doch wesentlich effektiver gelöst wird wie damals das QVAT Kampfsystem für DSA3?
Es gibt diese löblichen Projekte auch heute noch, wie das wilde Aventurien oder Rakshazar für das Schwarze Auge auf Savage Worlds.
Talentierte Autoren schreiben und beteiligen sich heute häufig, so hat es den Anschein, an den Projekten, die schnellen Erfolg versprechen und in denen sie sich und ihre Ideen stärker einbringen können. Es ist eben viel motivierender eine eigene Vision zu veröffentlichen, als ein Modul für ein 20 Jahre altes, behäbiges Ungetüm zu schreiben.
Gerade einfache, schnörkellose Systeme sind sehr erfolgreich, aber mal Hand aufs Herz: Jeder, der ein paar Jahre Rollenspiel spielt und sich mit den großen Systemen auskennt, kann sich ein Attribut+Fertigkeit gegen Mindeswert-System aus der Nase ziehen (und das hat früher ja auch jeder getan). Für mich sind das Wegwerfsysteme, in die man massiv eigenen Aufwand investieren muss, um langfristig (4 Jahre aufwärts) spielen zu können. In erster Linie sind sie gut geeignet als Ideengeber für eigene Hausregelumsetzungen. Ich nutze sie genauso, wie damals die Heartbreaker, was sie schlussendlich auch sind.
Und deswegen konzentriere ich mich jetzt auch verbissen auf die Rollenspiele, die mir zur Verfügung stehen. Ich will nicht schon wieder wechseln. Die Frage ist, wie man sie aufpeppeln kann, um dieses Wechselbedürfnis abzuschütteln? Midgard z.B. macht für mich im Vergleich zu Aborea einfach einen unglaublich öden und grottigen Eindruck, vermutlich zu Recht, aber Aborea hat seine eigenen Probleme, also ist es als erste Maßnahme besser, wenn man seinen Spielspass irgendwie erhalten kann.
Den Spielspass sichert man über die Rundenabsprache. Das beinhaltet alle Aspekte, die eine Spielrunde betreffen und die geklärt werden sollten, bevor man anfängt zu spielen. Vielen erzähle ich damit sicher nichts Neues (man kann es trotzdem nicht oft genug wiederholen).
Meist wird diese Absprache um das Rollenspiel, das bereits vorhanden ist, herumkonstruiert. Die Rollenspielwahl steht nicht selten an erster Stelle und das ist meiner Meinung nach ein Fehler. Die Spielwelt und die Regeln müssen direkt in die Absprache einbezogen werden. Ein Regelwerk kann noch so gut sein, es bringt nichts, wenn ein Spieler keinen W6 Mechanismus mag; und ein noch so schlechtes System kann einem Spieler aus anderen, einfachen Gründen gefallen. Dies ist aber keine Freifahrt für fehlerhafte Rollenspiele, "System mattert" für mich immer noch. Man darf dann nur keine Angst haben, etwas an den Regeln oder an der Spielwelt zu ändern. Ich weiss, viele Rollenspiele vermitteln den Eindruck, daß man ein Gesamtkunstwerk zerstören würde, wenn man selber etwas ändert, zudem stört es viele Spieler, wenn sie die Bücher dann nicht mehr vollständig verwenden können. Aber keine Scheu, das kann man, wenn man weiss, was man will. Wenn die Rollenspielschwemme eines zeigt, dann, daß es jeder kann. Es mag ein Kompromiß sein, aber es ist besser, als ein Systemwechsel und wesentlich weniger Aufwand, als ein eigenes Rollenspiel zu schreiben, denn dort würden sich wieder neue Probleme ergeben, mit denen man sich herumschlagen darf, versprochen. Meine Runde hat in den letzten 5 Jahren mindestens 8 vollständige Rollenspielwechsel hinter sich gebracht und es hat alles, aber keine Probleme gelöst.
Schlussendlich geht nichts über ein auf eine Runde personalisiertes System, denn das ist im Grunde genau das, was diese Indierollenspiele und Einsteigerrollenspiele darstellen. Ein Rollenspielwechsel stand auch für diese Rollenspielautoren an letzter Stelle. Die meisten Probleme, die man mit Rollenspielen hat, lassen sich selber lösen, Das Versprechen, das bei einem Neuanfang alles besser wird, ist oft nur ein Schein.
Es gibt mittlerweile Rollenspiele für jede Geschmacksrichtung, die sich zum Teil nur marginal voneinander unterscheiden. Das führt aber dazu, daß jeder Rollenspieler seine Vorlieben mit einem fertigen Produkt befriedigen kann und es immer schwerer wird, auf eine gemeinsame Basis zu gelangen. Es ist ja auch nicht mehr nötig Kompromisse einzugehen, wenn man es denn nur schaffen würde, seine Mitspieler - nur noch dieses eine Mal natürlich - zu einem Wechsel zu diesem genialen Rollenspiel zu bewegen, das man entdeckt hat. Es gibt so viele Gründe, Spass in einer Rollenspielrunde zu haben. Das System und die Spielwelt sind wichtig, aber sie stehen längst nicht an oberster Stelle und sie müssen sich den Ansprüchen der Spieler unterordnen, denn der Faktor "Mensch" lässt sich noch nicht in ein Rollenspiel hineinschreiben.
Schaut hinter den Nostalgieschleier, überlegt euch, was euch früher an euren ersten Runden gefallen hat und wieso ihr Spass hattet, bevor ihr die Rollenspielwechsel durchgemacht habt. Das sind die Dinge, auf die man sich konzentrieren muss und die kann einem kein noch so gutes, schönes, neues Rollenspiel bieten.
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