Das Gute an einer
Blog-Gemeinschaft ist, dass man sich gegenseitig Themen zuschustert.
In letzter Zeit sind mir mit Bedenken erregender Häufigkeit haarsträubende
Aussagen über "Regeln im Rollenspiel" aufgefallen, konnte
den wichtigen Punkt aber noch nicht ganz fassen.
Jetzt es wieder passiert
und die Dinge fügen sich zusammen.
Tagschatten berichtete von
einer religionswissenschaftlichen Untersuchung mit dem Titel
"Ritualisierte
Imagination: Das Fantasy-Rollenspiel "Das Schwarze Auge"
Er schreibt dazu:
Implizit wird hier gesagt: Regeln seien dazu da, die Macht der
Spieler zu begrenzen. Bei (fast) allen anderen Rollenspielen hätte
ich aufgejault.
Was Tagschatten hier
aufjaulen lässt, ist allerdings eine elementare Eigenschaft von
Regeln. Regeln dienen dazu, einzuschränken und Ordnung zu schaffen.
Regeln können keine Freiheit schaffen. Er spricht hingegen unwillkürlich von etwas Anderem. Und damit kommen wir zu
einem grundsätzlichen Missverständnis in vielen
Rollenspieldiskussionen der Regelspieler gegen die Freiform
Apologeten:
Den Anspruch an Regeln oder die Regeln als Spaßquelle.
Prinzipiell gibt es zwei
große Bewegungen in der Spielerschaft: Solche Rollenspieler, die nach Regeln
spielen und solche, die nach Richtlinien spielen.
Was ist der Unterschied?
Regeln sind
Handlungsanweisungen ohne Interpretationsspielraum. Richtlinien sind
im Grunde Vorschläge im weiten Sinne. Regeln führen unabhängig vom
Benutzer immer zu demselben Ergebnis, Richtlinien sind im Grunde
Auslegungssache und kaum reproduzierbar.
Ein Kochrezept wäre eine
Richtlinie, ein physikalisches Gesetz wäre eine Regel.
In erster Linie sind das
Anforderungen an unterschiedliche Spielstile.
Freiformer benötigen
über Richtlinien größere Freiräume (was nicht gleichbedeutend ist
mit "Freiräume schaffen"), um ihre unterschiedlichen
Spielgeschmäcker gleichwertig einbringen zu können. Wenn eine
Richtlinie sagt "ein Spieler erhält +1 auf einen Würfelwurf,
wenn er etwas Cooles erzählt", dann ist das soweit gefasst,
dass sich der Spieler lediglich auf etwas "cooles"
beschränken muss und ein Roboter und Urmensch geichwertig einen Konflikt austragen können.
Für Rollenspieler, die
ein Wettbewerbsklima in der Spielrunde möchten, in denen die
Mitspieler also versuchen mit all ihren Möglichkeiten Vorteile zu
erringen ähnlich einem Brettspiel, für die sind Richtlinien keine
Alternative. Sie benötigen Regeln als Schlichter, Schiedsrichter und unabhängige Instanz. Hierbei ist es nicht wichtig wer diese Regeln
geschaffen hat, denn schlussendlich ist auch der Regelentwickler
subjektiv, sondern, dass sie exakt eingehalten werden können.
Zwischen diesen beiden
Extremen pendeln sich alle Rollenspiele ein, wir haben also einen
fließenden Übergang mit dem Parameter "Freheitseinschränkung". Die Fähigkeit "Kampf
gewinnen" bietet mehr Freiraum als "Kämpfen" und mehr
als "Kämpfen mit Schwert" und mehr als "Kämpfen mit
Schwert auf 1 m Abstand" und so weiter.
Zu bedenken ist
allerdings, dass kein Rollenspiel echte Regeln hat, also das eine
Extrem niemals erreichen kann. Brettspiele haben Regeln (z.B. Schach:
bewege den Bauer um 1 Feld nach vorne, lässt du ihn los, ist der Zug
beendet). Die Freiheiten aber, die Spieler in ihren Rollen in der
Spielwelt benötigen, können unmöglich vollständig mit Regeln
abgedeckt sein. Es bleibt ein letzter Einfluss subjektiver
Entscheidung (wie komme ich diesen Baum hoch, muss ich schon auf die
Fähigkeit Klettern würfeln oder funktioniert es auch ohne
Würfelwurf?).
Umgekehrt kann kein
Rollenspiel echte Freiheit haben, also auch nicht das andere Extrem
erreichen, denn Mitspieler müssen Vereinbarungen treffen, die sich
nicht brechen dürfen, um miteinander spielen zu können.
Mir persönlich geht es
so, das ich mich nicht bemühe, wenn etwas im Rollenspiel keinen
Unterschied macht. Wenn ein Rollenspiel mit der Fähigkeit "Kämpfen"
entscheidet, ob mein Charakter gewinnt, dann sehe ich keinen Sinn
mehr darin noch zu beschreiben, ob ich das jetzt "flink mit
meinem Dolch in der Nacht" oder "brüllend auf offenem Feld mit der Axt
schwingend" durchgeführt habe, denn es wirkt sich ja nicht aus,
aber genau daran haben Freiformer eben Spass.
Hinzu kommt, allerdings:
Ist eine Richtlinie so weit gefasst, dass sie im Grunde nach jeder
Ansage die Zustimmung der Mitspieler benötigt, dann sehe ich keinen
Grund, sie überhaupt zu benutzen oder am Ende sogar noch Geld dafür
zu bezahlen. Wenn die Mitspieler sich ohnehin einigen müssen, dann
können sie das auch ohne das Rollenspiel. Und das ist zum Beispiel
auch genau das, was regellose Rollenspieler tun wie im Rollenspiel Daidalos.
Problematisch werden
diese Richtlinien zudem, wenn man Spielrunden oder Mitspieler
wechselt, denn hier ist das Konfliktpotenzial am Größten. Dieser
neue Spieler muss sich erst einmal in die ungeäußerten Annahmen der
Spielrunde einfinden. Hätte er Regeln zur Verfügung, müsste er
diese nur lesen und kann ohne Reibereien sofort teilnehmen.
Mein letzter Kritikpunkt
an Richtlinien ist, dass den Spielern häufig die Grundlage fehlt, um
überhaupt eine Entscheidung treffen zu können. Vielleicht können
sie noch gemeinsam entscheiden, was eine "coole Beschreibung"
ist, ohne sich gegenseitig an den Hals zu fallen. Sie können
vermutlich auch entscheiden, dass man mit einem Schwert niemanden mit
Schlägen heilen kann, aber was ist mit weniger offensichtlichen
Situationen? Können sie auch entscheiden, wie weit man zum Beispiel
pro Tag zu Fuß durch unzugängliches Gelände laufen kann, wenn
sie nichts darüber wissen? Auch hier sind Regeln von Vorteil, da sie
im Optimalfall aus der Hand einer Person kommen, die genug Zeit hatte,
sich damit auseinander zu setzen, warum eine Regel wie wirken muss,
um einen bestimmten Stil zu erreichen.
Der Kritikpunkt an Regeln hingegen ist, dass es sehr aufwändig ist, eine große Menge an Detail und Vorschriften in möglichst wenig Regeln zu binden, woran schlussendlich auch die meisten komplexen Systeme scheitern. Der zweite Kritikpunkt ist, dass der Entwickler im Vorfeld entscheiden muss, was in seinem Spiel wichtig genug ist, verregelt zu werden. Denn alles andere muss schlussendlich wieder über eine interne Abstimmung verhandelt werden. Zuletzt müssen diese Regeln natürlich auch erst einmal gelernt werden, während spielfertige Richtlinien bereits auf einen Bierdeckel passen.
Man muss sich über die unterschiedlichen Eigenheiten von Regeln und Richtlinien im Klaren sein, um entscheiden zu können, ob sie den eigenen Spielspaß schmälern oder erhöhen.
dieser Beitrag ist Teil des Karvenals der Rollenspielblogs auf RSP-Blogs.de
Der Thread im Forum
http://forum.rsp-blogs.de/rsp-karneval/spassquellen-im-rollenspiel-(september-2012)/msg8030/#msg8030
und der Diskussionsthread im RSP-Blogs Forum
http://forum.rsp-blogs.de/diskussion-und-kommentare/(hoch-ist-gut)-regeln-und-richtlinien/
und der Diskussionsthread im RSP-Blogs Forum
http://forum.rsp-blogs.de/diskussion-und-kommentare/(hoch-ist-gut)-regeln-und-richtlinien/