Samstag, 1. September 2012

[Karneval der Rollenspielblogs September 2012]: Spass an Regeln

Das Gute an einer Blog-Gemeinschaft ist, dass man sich gegenseitig Themen zuschustert. In letzter Zeit sind mir mit Bedenken erregender Häufigkeit haarsträubende Aussagen über "Regeln im Rollenspiel" aufgefallen, konnte den wichtigen Punkt aber noch nicht ganz fassen.
Jetzt es wieder passiert und die Dinge fügen sich zusammen.
Tagschatten berichtete von einer religionswissenschaftlichen Untersuchung mit dem Titel "Ritualisierte Imagination: Das Fantasy-Rollenspiel "Das Schwarze Auge"

Er schreibt dazu: Implizit wird hier gesagt: Regeln seien dazu da, die Macht der Spieler zu begrenzen. Bei (fast) allen anderen Rollenspielen hätte ich aufgejault.

Was Tagschatten hier aufjaulen lässt, ist allerdings eine elementare Eigenschaft von Regeln. Regeln dienen dazu, einzuschränken und Ordnung zu schaffen. Regeln können keine Freiheit schaffen. Er spricht hingegen unwillkürlich von etwas Anderem. Und damit kommen wir zu einem grundsätzlichen Missverständnis in vielen Rollenspieldiskussionen der Regelspieler gegen die Freiform Apologeten: 

Den Anspruch an Regeln oder die Regeln als Spaßquelle.

Prinzipiell gibt es zwei große Bewegungen in der Spielerschaft: Solche Rollenspieler, die nach Regeln spielen und solche, die nach Richtlinien spielen.
Was ist der Unterschied?
Regeln sind Handlungsanweisungen ohne Interpretationsspielraum. Richtlinien sind im Grunde Vorschläge im weiten Sinne. Regeln führen unabhängig vom Benutzer immer zu demselben Ergebnis, Richtlinien sind im Grunde Auslegungssache und kaum reproduzierbar.
Ein Kochrezept wäre eine Richtlinie, ein physikalisches Gesetz wäre eine Regel.

In erster Linie sind das Anforderungen an unterschiedliche Spielstile.
Freiformer benötigen über Richtlinien größere Freiräume (was nicht gleichbedeutend ist mit "Freiräume schaffen"), um ihre unterschiedlichen Spielgeschmäcker gleichwertig einbringen zu können. Wenn eine Richtlinie sagt "ein Spieler erhält +1 auf einen Würfelwurf, wenn er etwas Cooles erzählt", dann ist das soweit gefasst, dass sich der Spieler lediglich auf etwas "cooles" beschränken muss und ein Roboter und Urmensch geichwertig einen Konflikt austragen können.
Für Rollenspieler, die ein Wettbewerbsklima in der Spielrunde möchten, in denen die Mitspieler also versuchen mit all ihren Möglichkeiten Vorteile zu erringen ähnlich einem Brettspiel, für die sind Richtlinien keine Alternative. Sie benötigen Regeln als Schlichter, Schiedsrichter und unabhängige Instanz. Hierbei ist es nicht wichtig wer diese Regeln geschaffen hat, denn schlussendlich ist auch der Regelentwickler subjektiv, sondern, dass sie exakt eingehalten werden können.

Zwischen diesen beiden Extremen pendeln sich alle Rollenspiele ein, wir haben also einen fließenden Übergang mit dem Parameter "Freheitseinschränkung". Die Fähigkeit "Kampf gewinnen" bietet mehr Freiraum als "Kämpfen" und mehr als "Kämpfen mit Schwert" und mehr als "Kämpfen mit Schwert auf 1 m Abstand" und so weiter.

Zu bedenken ist allerdings, dass kein Rollenspiel echte Regeln hat, also das eine Extrem niemals erreichen kann. Brettspiele haben Regeln (z.B. Schach: bewege den Bauer um 1 Feld nach vorne, lässt du ihn los, ist der Zug beendet). Die Freiheiten aber, die Spieler in ihren Rollen in der Spielwelt benötigen, können unmöglich vollständig mit Regeln abgedeckt sein. Es bleibt ein letzter Einfluss subjektiver Entscheidung (wie komme ich diesen Baum hoch, muss ich schon auf die Fähigkeit Klettern würfeln oder funktioniert es auch ohne Würfelwurf?).
Umgekehrt kann kein Rollenspiel echte Freiheit haben, also auch nicht das andere Extrem erreichen, denn Mitspieler müssen Vereinbarungen treffen, die sich nicht brechen dürfen, um miteinander spielen zu können.




Mir persönlich geht es so, das ich mich nicht bemühe, wenn etwas im Rollenspiel keinen Unterschied macht. Wenn ein Rollenspiel mit der Fähigkeit "Kämpfen" entscheidet, ob mein Charakter gewinnt, dann sehe ich keinen Sinn mehr darin noch zu beschreiben, ob ich das jetzt "flink mit meinem Dolch in der Nacht" oder "brüllend auf offenem Feld mit der Axt schwingend" durchgeführt habe, denn es wirkt sich ja nicht aus, aber genau daran haben Freiformer eben Spass.
Hinzu kommt, allerdings: Ist eine Richtlinie so weit gefasst, dass sie im Grunde nach jeder Ansage die Zustimmung der Mitspieler benötigt, dann sehe ich keinen Grund, sie überhaupt zu benutzen oder am Ende sogar noch Geld dafür zu bezahlen. Wenn die Mitspieler sich ohnehin einigen müssen, dann können sie das auch ohne das Rollenspiel. Und das ist zum Beispiel auch genau das, was regellose Rollenspieler tun wie im Rollenspiel Daidalos.
Problematisch werden diese Richtlinien zudem, wenn man Spielrunden oder Mitspieler wechselt, denn hier ist das Konfliktpotenzial am Größten. Dieser neue Spieler muss sich erst einmal in die ungeäußerten Annahmen der Spielrunde einfinden. Hätte er Regeln zur Verfügung, müsste er diese nur lesen und kann ohne Reibereien sofort teilnehmen.
Mein letzter Kritikpunkt an Richtlinien ist, dass den Spielern häufig die Grundlage fehlt, um überhaupt eine Entscheidung treffen zu können. Vielleicht können sie noch gemeinsam entscheiden, was eine "coole Beschreibung" ist, ohne sich gegenseitig an den Hals zu fallen. Sie können vermutlich auch entscheiden, dass man mit einem Schwert niemanden mit Schlägen heilen kann, aber was ist mit weniger offensichtlichen Situationen? Können sie auch entscheiden, wie weit man zum Beispiel pro Tag zu Fuß durch unzugängliches Gelände laufen kann, wenn sie nichts darüber wissen? Auch hier sind Regeln von Vorteil, da sie im Optimalfall aus der Hand einer Person kommen, die genug Zeit hatte, sich damit auseinander zu setzen, warum eine Regel wie wirken muss, um einen bestimmten Stil zu erreichen.
Der Kritikpunkt an Regeln hingegen ist, dass es sehr aufwändig ist, eine große Menge an Detail und Vorschriften in möglichst wenig Regeln zu binden, woran schlussendlich auch die meisten komplexen Systeme scheitern. Der zweite Kritikpunkt ist, dass der Entwickler im Vorfeld entscheiden muss, was in seinem Spiel wichtig genug ist, verregelt zu werden. Denn alles andere muss schlussendlich wieder über eine interne Abstimmung verhandelt werden. Zuletzt müssen diese Regeln natürlich auch erst einmal gelernt werden, während spielfertige Richtlinien bereits auf einen Bierdeckel passen. 

Man muss sich über die unterschiedlichen Eigenheiten von Regeln und Richtlinien im Klaren sein, um entscheiden zu können, ob sie den eigenen Spielspaß schmälern oder erhöhen.

dieser Beitrag ist Teil des Karvenals der Rollenspielblogs auf RSP-Blogs.de
Der Thread im Forum

13 Kommentare:

  1. Eine Empfehlung und kurze Resonanz zu deinem Beitrag gebe ich unter https://plus.google.com/105753901254711418600/posts/Wmdjzuw32y9

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  2. Interessanter Beitrag!

    Im Kontinuum zwischen Regeln und Richtlinien bewege ich mich sicherlich in Richtung Richtlinien, doch so frei wie es beispielsweise auch auf analogkonsole propagiert wird, dringe ich nicht vor.
    Der Raum dazwischen und die erzählerische Kohärenz scheinen mir wichtig(er).
    Ein relativ freies Indierollenspiel (wie Remember Tomorrow, Dust Devils) wirkt ggf. genauso in sich geschlossen wie eine D&D(4)-Runde. Das Spielerlebnis unterscheidet sich jedoch spürbar. Die Gruppendynamik ist entscheidend, wenn Regeln (für Menschen) klar und eindeutig sind, wären Schiedssprüche überflüssig.
    Regellastige Systme im Sinne von Regeln umzusetzen, halte ich für kaum umsetzbar. Ich kenne keine Runde die exakt nach den Vorgaben spielt (alleine wg. den häufigen Regelunschärfen). Deshalb erscheint mir weniger, aber stabiler Regelballast oft mehr.

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  3. Hehe. War klar, dass das von dir kommt. Ich kann mich dir anschließen. Für mich sind Regeln wichtig für dem Spaß, gerade taktische und strategische Entscheidungen. Bei Legend habe ich tagelang überlegt, welche Kampffertigkeiten eine gute Wahl sind.

    Ingo: Ich stelle vor: Meine Gruppe. Wir spielen seit Jahren D&D 4 ohne jede Hausregel. Erst vor kurzem habe ich dann doch eine Kleinigkeit angepasst, aber die anderen 4e-Kampagnen gehen unverändert weiter.

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  4. Ich hätte da auch noch einen ganzen Haufen D&D-Spielrunden anzubieten, die ohne Hausregeln laufen bzw. gelaufen sind (3.5 und 4E). Das funktioniert bei fester Personenkonstellation genauso wie bei wechselnder Spielerbesetzung und wechselnden Spielleitern.
    Ich sehe da weniger eine generelle Tendenz regellastiger Systeme zu Hausregeln, sondern die Frage, ob das Regelsystem in sich schlüssig ist.

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  5. Schlüssigkeit (Kohärenz) ist in jedem Fall das A und O, denn der Entwickler muss sich klar sein, dass er nicht alles verregeln kann und Dinge auslassen muss. D&D4 verregelt z.B. beinahe ausschließlich Monster plätten. Will man etwas anderes tun, so kommt man in willkürlichere Gefilde.

    @Björn: danke, dass du dir die Mühe für einen Antwortbeitrag machst, aber denke deine Behauptung einmal zu Ende.
    "Regeln schaffen Freiheit". Auf welcher Basis? Sicher, wenn ein Gesetz sagt "nach 2 Jahren kommt der Dieb frei", dann schafft eine Regel Freiheit. Aber seine Freiheit wurde ja zuvor schon eingeschränkt dadurch, dass er nichts stehlen darf.

    In einer regellosen Runde könnte ich ja jedem Mitspieler aufs Maul hauen, wenn mir nicht passt, was er tut. Das wäre Freiheit.
    Die Grundlage des Chaos ist Freiheit! Gäbe es keine Regeln, könnte jeder alles tun. Jede Regel schafft ein wenig mehr Ordnung und begrenzt damit Freiheiten.
    Ist das nachvollziehbar?

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  6. Es ist natürlich auch eine Frage, wie man Freiheit definiert. Ich sehe es z.B. nicht ausschließlich als etwas Gutes, aber das ist sicher die verbreitetste Ansicht.
    Die "Freiheit von Ungewissheit" kommt z.B. auf Kosten anderer Freiheiten. Es ist maximal ein Nullsummenspiel. Aber ich würde es z.B: in Kauf nehmen auf Freiheiten zu verzichten, um keine Ungewissheit mehr zu haben.

    Und es ist natürlich ene Frage der geschickten Formulierung. Denn sobald ich sage "Freiheit schafft Gewissheit", dann ist es ja wieder mit einer Einschränkung verbunden. Deswegen werte ich Björns Antort eher als rethorischen Trick.

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  7. Ich glaube, meine Aussage war etwas unscharf.
    Ich spiele selbst in 2 Runden D&D 4. Das Spiel ist in meinen Augen recht nahe an einem Brettspiel und überdies fördert es Hausregelungen nicht gerade (z.B. Character Builder house-ruled etc.)
    Die Regeln erscheinen mir wesentlich klarer strukturiert und abgegrenzt gegenüber anderen Editionen.
    Nichtsdestoweniger kommt es zu Ungereimtheiten bzw. Änderungswünschen. Ein DM wünscht sich z.B. brauchbare Vorgaben für Kämpfe ohne Grid.
    Sehr, sehr selten wird dann doch mal eine Regel überprüft und dann stellt sich auch mal heraus, dass es so richtig(er) wäre.
    Persönlich präferiere Regeln - hier eher Richtlinien, die einfach und stabil erscheinen, um ggf. improvisieren zu können. Kohärenz und Spielfluss sind in meinen Augen wichtig. Regelwälzen und -Fuchserei hemmt meines Erachtens das atmosphärische Spielerlebnis eines Rollenspiels.
    Für Regelstudium gibt es Spiele wie ASL.
    Nach meinem Empfinden besteht auch ohne zahllose Feats/Powers die Möglichkeit taktisch/strategisch zu handeln - vielleicht eher auf kreativer als auf advokatischer (Regelkenntnis-)Ebene.
    Regeln geben für mich keine Freiheit, eher eine Orientierungshilfe im
    Sinne von Richtlinien (Kann/Soll/Muss-Differenzierung)

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  8. @Kohärenz: Aber gerade diese Schlüssigkeit steht ja im Wiederspruch zu losen Richtlinien. Im Endeffekt hängt es ja von der Bierlaune deiner Mitspieler ab, ob du dich auf ihre Entscheidungen wirklich verlassen kannst. Nicht so bei Regeln.

    Ich habe mir aber auch vorgenommen, mal verstärkt RPGs mit "flexiblem Grundgerüst" zu testen, da eine reine Verregelung schlussendlich natürlich immer scheitern muss und ich sehe zur Zeit keine echten Alternativen, die versuchen daran zu arbeiten.
    Der Dreh- und Angelpunkt bei "flexiblen Systemen" ist m.E. der SL. Ich mags nicht, wenn bei einem an sich schon unzuverlässigen, subjektiven Richtlinienwerk auch noch alle Spieler mit gleichen Rechten herumpfuschen dürfen.
    Am Besten finde ich "starker SL + flexibles System" immer noch in Risus umgesetzt. D&D1 baut natürlich auch ganz stark darauf auf.

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  9. Nun ja, es tut mir leid, daß ich Deine Haare sträubte, aber das liegt in diesem Fall glaube ich auch ein bißchen an Dir. ;) Zunächst zum Artikel: Sehe ich in vielem auch so.

    Wo ich aufjaulte war die implizite Aussage, Regeln müßten Machtverlust verursachen, das sei ihr Zweck. Meine Ansicht: Abgesehen von DSA sind - FÜR MICH - Regeln dazu da, Meßbarkeit und Simulation zu gewährleisten. Die garantieren Spielspaß und verursachen als Nebeneffekt einen gewissen Machtverlust.

    Also:

    Ein NEBENEFFEKT von Regeln ist Machtverlust. Nicht ihr ZWECK. Und darüber habe ich gejault. Den Machtverlust durch Regeln habe ich nicht bestritten, bzw. gar nicht thematisiert.

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  10. Nein, es ist natürlich nicht der Zweck der Regeln, Freiräume einzuschränken, dahebe ich dir Recht. Es ist eine Begleiterscheinung, da sind wir uns wohl einig.
    Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass das in der Untersuchung als ihr Zweck stehen würde.

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  11. Mal abgesehen davon, dass ich mit Falk im Forum der Rollenspielblogs derzeit auch die Begriffsfindung diskutiere, sehe ich den Zweck von Regeln vor allem darin, Handlungsoptionen anzubieten und die daraus resultierenden Konsequenzen darzulegen.

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    1. @Falk

      Wörtlich: Durch die Spielmechanik [gemeint sind die Regeln] werden die Möglichkeiten der Spieler, auf das Spielgeschehen Einfluß zu nehmen, eingeschränkt, um die Spannung zu erhöhen.

      Sprachballast raus: Regeln schränken die Möglichkeiten der Spieler ein, um die Spannung zu erhöhen.

      *Winsel* *Jaul*

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  12. mmh, das ist zumindest eine Theorie, die man wissenschaftlich überprüfen könnte. Ich kann mir gut vorstellen, dass es eher langweilig ist, wenn jeder alles darf. I.d.R. fangen die Leute dann an, sich selbst einzuschränken, um sich herauszufordern ("schau, und jetzt mit geschlossenen Augen").

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