Mittwoch, 9. April 2014

RPS-Blogs Karneval [Apr2014] - Es ist nicht deine Schuld...

... dass das Rollenspiel ist, was es ist. Es wär' nur deine Schuld, wenn es so bleibt."
- frei nach den Ärzten

Der diesmonatige Karneval der Rollenspielblogs befasst sich mit dem Thema Tabus. Und das ist insofern ein treffendes Thema, denn als ich in den 90igern mit dem Rollenspielen (RPGs) anfing, hätte ich mir noch nicht vorstellen können, dass ich mal wie momentan vor einer mittelalterlichen Tabuwand ende, welche die Rollenspielgemeinschaft vor sich hochgezogen und auf ihr Fundament abgesetzt hat. Und diese Tabus sind Glaubenswahrheiten, so wie die Glaubenswahrheit, dass eine "gute Geschichte" über den Spielregeln steht oder Spass über den Regeln steht oder willkürliche Entscheidungen oder der lauteste Mitspieler ... oder eben alles, was in einem Moment nicht zufriedenstellend verregelt ist. Also eben, dass unverregelte Situationen nicht in dem Verantwortungsbereich des Rollenspielentwicklers liegen, so paradox es klingt.
Und wer dabei nicht mitgeht, der spielt eben "falsch" oder "hat es nicht verstanden". Dabei müsste es heissen: Er glaubt nicht daran. Es ist das Dogma der "Besserspieler".

Lass uns diskutieren
Denn in unserem schönen Land
Sind zumindest theoretisch
Alle furchtbar tolerant

Ich für meinen Teil: Ich weiss es nicht. Das hindert mich aber nicht daran bzw. spornt mich an, die Konventionen ständig zu hinterfragen und zu versuchen, die Fragen neutral zu beantworten.
Und ich fragte mich kürzlich, wie wohl heute ein absoluter Neuling, der aber durchaus Interesse an und auch Erfahrung mit Spielen und Spielregeln im Allgemeinen hat, an diese Spielleiterwillkür-Geschichte herangehen würde. Ihr wisst schon, diese Zahlen, die sich ein Neuling aus dem Regelwerk zieht und sich dabei denkt, "Wow, hiermit bekomme ich +12 Bonus auf Kuchen backen, das nehme ich" - und er dann in 8 von 10 Kuchenbackfällen mal gar nicht, mal ohne Bonus und mal "ok, weil du es bist, aber nur mit Malus" würfeln darf, seine +12 also in Wirklichkeit irgendwo bei einer + 7,56532 landet. Was er natürlich nicht nachhalten kann und dementsprechend nur insofern mitbekommt, dass irgendetwas nicht so läuft, wie er sich das vorgestellt hat.
Und wenn er beim ersten Mal die Veteranen und Gurus in der Spielrunde fragt: "Wieso muss ich jetzt darauf würfeln?" oder "Warum denn +7 und nicht +12?", wieviele würden die Antwort "Is' halt so" so hinnehmen und wievielen käme das komisch vor? Und wie lange musste es dauern, bis der Satz "der Meister hat immer Recht" seinen Weg in den Rollenspiel-Jargon gefunden hat?

Ich habe jedenfalls damals so da gesessen und habe es nicht hingenommen und habe mich gefragt, was denn da nicht so läuft, wie ich es mir vorgestellt hatte. Aber ich war ja auch so naiv und dachte zunächst, in dieser Schwerter&Helden-Box stehe alles drin, was man bräuchte, um Abenteuer zu spielen, ohne großartig viel selbst dazuzutun, man müsse sich nur an die Spielanleitung halten. So kannte ich das auch von Brettspielen und Tabletops. Gleichzeitig hätte man aber die Freiheit, sich kreativ auszutoben. Ein idiotensicheres, ein ultimatives Spiel sozusagen.
Leider war es nicht iditionsicher und ich habe gerade in den ersten Jahren deswegen viele Spielrunden getrennte Wege gehen sehen. Und obwohl ich mich bis heute an kein Spielsystem erinnere, an dem ich uneingeschränkt Spass hatte, habe ich nie aufgegeben, dieses theoretische Potenzial der Verregelung aufzudröseln. Wenn ich dieses Ziel nicht gehabt hätte, hätte ich vor Jahren aufgehört zu spielen. Und ich habe den Fehler stets im Regelsystem gesucht, da ich nicht davon ausgehe, dass Mitspieler von Natur aus Ansprüche Anderer vor die eigenen stellen müssen - hierbei für Ausgleich zu sorgen, ist ja ein Sinn und Zweck von Regeln.
Was brächte mir also ein Rollen"spiel", das ich nur mit Leuten spielen könnte, mit denen ich auch ohne die Grenzen dieser Spielregeln Geschichten erfinden könnte?

Diese Makulatur von Rollenspielsystemen, welche die Einigung der Spieler unteinander voraussetzt, um zu funktionieren, ist vermutlich die am weitesten verbreitete Designgrundlage und größtes Tabu von Rollenspielern. Echte Spannung und Ergebnisoffenheit kann hier nicht entstehen. Auch Lösungsversuche, wie die Regel "der Meister hat immer Recht" oder "Erzählrechte" ändern nichts daran, dass es nicht vorran geht, wenn ein Spieler mit einer Situation nicht einverstanden ist. Aber zugegeben, es sind Ansätze.

Jede Spielrunde kann sich für irgendwelche Zahlenwerte entscheiden, z.B. Prozentwerte für eine bestimmte Spielsituation, und dann darauf würfeln. Dazu bedarf es keines komplexen RPG-Systems. Jedes weitere Detail auf diesem Grundsatz ist lediglich eine Verschleierung dieser Beliebigkeit und damit unnötig. Aber was passiert, wenn mindestens ein Mitspieler mit einer Entscheidung unzufrieden ist oder nicht gehört wird? Und was passiert, wenn ein detaillierteres Rollenspielregelwerk als das oben genannte "Prozentsystem" seine Grenzen erreicht? Auf diese wichtigen Fragen geben Rollenspiele keine Antworten. Die Spielrunden müssen die Probleme lösen, die Rollenspielregelwerke erst hervorrufen.

Um dieses Dilemma zu lösen, habe ich das RPG aus allen erdenklichen Perspektiven betrachtet, bis hin zu Spielmechanismen, bei denen man sich an den Füßen spielen muss (dieses zum Glück nur in der Theorie, die spinnen, die Skandinavier). Ich habe auch durchgehend die Seiten gewechselt und fühlte mich auch keiner RPG-Glaubensrichtung zugehörig, obwohl ich in fast jedem Systemkrieg dabei war. Aber das RPG scheint sich jeder Rationalität zu entziehen, stellt man eine Frage, wachsen zwei neue Rechtfertigungen aus dem Hydrakopf. Unterstützung findet man bei der Suche nach Antworten selten, denn die Willkür ist und bleibt ein Tabu, das unangetastet bleiben muss.
Schlussendlich heisst es: Entweder man glaubt daran, dass RPG funktioniert oder man glaubt nicht daran. Glauben kann ich nicht, ich kann allenfalls Vermutungen anstellen. Und ich habe die Vermutung, dass RPG nie das Spiel sein kann, was manche Wenige von uns sich davon erhofften. Manche, dass sind die, die Regelsysteme mit hunderten bis tausenden von Seiten geschrieben haben, in der Hoffnung, eines Tages wäre "alles" verregelt oder die, die "Erzählrechte", "Dramapunkte" und "Vetoregeln" erfunden haben, als würde das in irgendeiner Weise die rundeninterne Kommunikation steuern können.

Die große RPG-Evolution ist leider ausgeblieben, das strikte Tabu der Systemmakulatur herrscht vor. Technologisch, also software-technisch, blieb man auch auf der Strecke, dafür haben die Papierwütigen und Ewiggestrigen gesorgt. Das RPG keine Computertechnik bräuchte, ist ein weiteres dieser zahlreichen Tabus der Rollenspielentwicklung. Computerrollenspiele hingegen haben sich dabei von ihrem Ursprung beinahe vollständig gelöst und gehen ihren eigenen, erfolgreichen Weg. Tablets und Smartphones fehlt es noch an kompetenten RPG Designern (ein RPG schreiben meint jeder zu können, aber eines programmieren?). In über 40 Jahren hat sich keine für mich nennenswerte Weiterentwicklung des einst genialen Grundgedankens ergeben, dafür jede Menge Sackgassen und Ausprägungen. Ich rechne auch nicht damit, dass die nächsten Jahre ein neuer Rollenspielregelansatz entsteht, da die Rollenspielentwicklung von meiner Warte aus zurzeit den Schlaf des (Selbst)Gerechten führt.

Aber wohin sollte sich RPG auch entwickeln? Jeder Rollenspielmechanismus, jedes Spielleiterkapitel und jede interne Rollenverteilung beläuft sich schlussendlich immer wieder auf den Punkt der persönlichen Evaluierung einer Spielsituation. Und diese kann man entweder vor seinen Mitspielern erfolgreich rechtfertigen oder halt eben nicht. Mit anderen Worten: Niemand wird gezwungen mitzuspielen, bist du nicht für uns, bist du gegen uns.

Also stehe ich noch exakt an dem Ort, wo ich vor ca. 18 Jahren angefangen habe bzw. jetzt habe ich das Gefühl, an diesen Ort zurückgekommen zu sein. Ich bin zwar der Meinung, dass sich das Ganze trotzdem gelohnt hat, aber ebenso hat der Hydra-Götze in der Kirche der Besserspieler mittlerweile so viele Rechtfertigungen am Kopf, dass ich im Moment nicht weiß, wie man ihn noch erschlagen kann. RPG ist und bleibt wohl Verhandlungssache und kann kein herausforderndes, ergebnisoffenes Gesellschaftsspiel sein.

Und das ist die Krux.
Was weiterhin fehlt, ist ein Regelansatz zur Verhandlung und Konsensfindung bei der Bewertung von Spielsituationen (ist kein fancy Theoriebegriff, ich weiß), möglicherweise auf diskurstheoretischen Grundlagen, und Rollenspielentwickler, die ernsthaft daran arbeiten. An Etwas, dass alle Teilnehmer wirklich als gleichberechtigte Mitspieler, mit gleichen Möglichkeiten ihre Ansprüche einzubringen, behandelt.
Ich habe hier keine Patentlösung, aber ich bewundere weiterhin das Problem. Es ist lediglich ein Denkanstoß für Rollenspielentwickler, die bereit sind, die Willkür am Spieltisch mit einzubeziehen und nicht zu tabuisieren.

Glaub' keinem, der dir sagt
Dass du nichts verändern kannst
Die, die das behaupten
Haben nur vor Veränderung Angst

frohes Schaffen.

Donnerstag, 3. April 2014

Stats Without Numbers


See the new (first!) edition of Sw:N (read 'swinn') by the acclaimed author and design genius of Elaborate Lord (EL), Caprice & Calculations and Slayers of GoodSensia: James S. "Nold" Carter III.
As Nold told me there will be no sacred cows in his upcoming edition of Sw:N not to speak of artwork or layout of any kind. Stats Without Numbers' deep laid mechanic enables the gaming group to implement ideas and concepts like never seen before in any classical or story game and without struggling with understanding the math. Nold drives the old-school renaissance to it's indie revolution as he combines nostalgic arbitrariness with modern whateverism.

The Old School
Sw:N is as easy as publishing a retro clone. In case of a game event with uncertain outcome (like who has to get the beer from the fridge) one player casts a D20 adds a stat bonus (see below) and compares it to the difficulty level (DL). A result at least equal to the DL means success for the players, otherwise failure. This is called a test (even if it is not a test in a strictly sense of the word). The referee (he controls the game world) determines the height of the DL depending on the propability of one test outcome he considers to be of any importance for the gaming group. A low DL is easy to achieve and a high number might be quite a challenge. The referee may elaborate his decision but the other players have to live with his judgement anyway. At this point the players may not leave the game table yet (see below) otherwise the game can not commence.

The New School
Sw:N is progressive as it is down-to-earth. The aforementioned 'players' (see chapter 3.2 to 3.2.3.4 in the full document for precise definitions) each controls one character in the game world described by so called 'stats'. The players name these stats in any number as they see fit to portray their own character in an entertaining manner (there is no obligation to change a stat if no one is entertained, though). Then they distribute numbers among the stats, beginning from a low digit. A high number means the character is good at something in a way.
After the referee set up the DL the player/s try to overcome the said DL to accomplish the outcome at stake. To do this one player involved in the 'conflict' (any game event) chooses one of his character stats and adjusts the stat number like he thinks his character would hold up. Again, a higher stat means a more likely success (don't wonder how, it's true!). After the test the stat reverts to its former number.

The Nold School
After the DL and stat number are set one, few (or each?) of the players/referee might be discontented with the situation. At this point each person at the gaming table has a veto against the set up (though someone can insist that his veto is 'double important', see full document for explanations). The game mechanic opens to the negotiation phase: As no one may alter the numbers set beforehand everyone involved (or uninvolved) tries to make a compromise on a new number, called bonus. The bonus alters the die result and depicts some kind of luck, fate, heroic incentive or just the opposite if it is negative (it is still called bonus).
At this moment a participant may point out again that he is still not entertained by some of the stats of other player's characters. This may affect the negotiation. If still no agreement is coming up there are three options:
1. every participant except the host has the option to leave the table and go home at any time thus optimizing the conflict resolution [CR] (this is not a game term)
2. every participant may demand that the outcome in question has to change to an outcome with which the group more easily agrees on a bonus
3. if there is still no agreement about the final numbers or outcomes the negotiation phase is concluded as a success as any participant is playing together for 'fun' [FU] (see definition in full document) and not against each other (and otherwise the game mechanic would not work).

Bringing it all together (or 'what 50+ years of gaming brought us.. in a nutshell')
If the test with D20 + stat +/- bonus comes up with a number the player who rolled the die or the referee may narrate something (every other player may talk as well in the course of the whole game of course and even talk their fellow players into contents they prefer). Everything someone narrates is true (hence narrative truth, d'uh!) unless he is lying and success and failure is a matter of perspective anyway.
When the gaming group end the adventure (this means narrating over the course of several tests and in between) the players may raise their stat numbers and/or change their stat descriptions. If one player had no fun, he is playing the game WRONG! (for full explanations see wikipedia or any RPG discussion board).

- J.S."Nold"C.III.



Habt ihr Fragen zu Sw:N? Dann stellt sie doch im RSP-Blogs Forum und ich leite sie weiter. Verbesserungsvorschläge sind jedoch aus offensichtlichen Gründen unnötig.
http://forum.rsp-blogs.de/diskussion-und-kommentare/(hoch-ist-gut)-stats-without-numbers/msg13115/#msg13115