... dass das Rollenspiel ist, was es
ist. Es wär' nur deine Schuld, wenn es so bleibt."
- frei nach den Ärzten
Der diesmonatige Karneval der Rollenspielblogs befasst sich mit dem Thema Tabus. Und das ist
insofern ein treffendes Thema, denn als ich in den 90igern mit dem
Rollenspielen (RPGs) anfing, hätte ich mir noch nicht vorstellen
können, dass ich mal wie momentan vor einer mittelalterlichen
Tabuwand ende, welche die Rollenspielgemeinschaft vor sich
hochgezogen und auf ihr Fundament abgesetzt hat. Und diese Tabus sind
Glaubenswahrheiten, so wie die Glaubenswahrheit, dass eine "gute
Geschichte" über den Spielregeln steht oder Spass über den
Regeln steht oder willkürliche Entscheidungen oder der lauteste Mitspieler ... oder eben alles,
was in einem Moment nicht zufriedenstellend verregelt ist. Also eben,
dass unverregelte Situationen nicht in dem Verantwortungsbereich des
Rollenspielentwicklers liegen, so paradox es klingt.
Und wer dabei nicht mitgeht, der spielt
eben "falsch" oder "hat es nicht verstanden".
Dabei müsste es heissen: Er glaubt nicht daran. Es ist das Dogma der
"Besserspieler".
Lass uns
diskutieren
Denn in unserem schönen Land
Sind zumindest theoretisch
Alle furchtbar tolerant
Denn in unserem schönen Land
Sind zumindest theoretisch
Alle furchtbar tolerant
Ich für meinen Teil: Ich weiss es
nicht. Das hindert mich aber nicht daran bzw. spornt mich an, die
Konventionen ständig zu hinterfragen und zu versuchen, die Fragen neutral zu beantworten.
Und ich fragte mich kürzlich, wie wohl
heute ein absoluter Neuling, der aber durchaus Interesse an und auch
Erfahrung mit Spielen und Spielregeln im Allgemeinen hat, an diese
Spielleiterwillkür-Geschichte herangehen würde. Ihr wisst schon,
diese Zahlen, die sich ein Neuling aus dem Regelwerk zieht und sich
dabei denkt, "Wow, hiermit bekomme ich +12 Bonus auf Kuchen
backen, das nehme ich" - und er dann in 8 von 10
Kuchenbackfällen mal gar nicht, mal ohne Bonus und mal "ok,
weil du es bist, aber nur mit Malus" würfeln darf, seine +12
also in Wirklichkeit irgendwo bei einer + 7,56532 landet. Was er
natürlich nicht nachhalten kann und dementsprechend nur insofern
mitbekommt, dass irgendetwas nicht so läuft, wie er sich das
vorgestellt hat.
Und wenn er beim ersten Mal die
Veteranen und Gurus in der Spielrunde fragt: "Wieso muss ich
jetzt darauf würfeln?" oder "Warum denn +7 und nicht +12?",
wieviele würden die Antwort "Is' halt so" so hinnehmen und
wievielen käme das komisch vor? Und wie lange musste es dauern, bis
der Satz "der Meister hat immer Recht" seinen Weg in den
Rollenspiel-Jargon gefunden hat?
Ich habe jedenfalls damals so da
gesessen und habe es nicht hingenommen und habe mich gefragt, was
denn da nicht so läuft, wie ich es mir vorgestellt hatte. Aber ich
war ja auch so naiv und dachte zunächst, in dieser
Schwerter&Helden-Box stehe alles drin, was man bräuchte, um
Abenteuer zu spielen, ohne großartig viel selbst dazuzutun, man
müsse sich nur an die Spielanleitung halten. So kannte ich das auch
von Brettspielen und Tabletops. Gleichzeitig hätte man aber die
Freiheit, sich kreativ auszutoben. Ein idiotensicheres, ein
ultimatives Spiel sozusagen.
Leider war es nicht iditionsicher und
ich habe gerade in den ersten Jahren deswegen viele Spielrunden
getrennte Wege gehen sehen. Und obwohl ich mich bis heute an kein
Spielsystem erinnere, an dem ich uneingeschränkt Spass hatte, habe
ich nie aufgegeben, dieses theoretische Potenzial der Verregelung
aufzudröseln. Wenn ich dieses Ziel nicht gehabt hätte, hätte ich
vor Jahren aufgehört zu spielen. Und ich habe den Fehler stets im
Regelsystem gesucht, da ich nicht davon ausgehe, dass Mitspieler von
Natur aus Ansprüche Anderer vor die eigenen stellen müssen -
hierbei für Ausgleich zu sorgen, ist ja ein Sinn und Zweck von
Regeln.
Was brächte mir also ein
Rollen"spiel", das ich nur mit Leuten spielen könnte, mit
denen ich auch ohne die Grenzen dieser Spielregeln Geschichten
erfinden könnte?
Diese Makulatur von
Rollenspielsystemen, welche die Einigung der Spieler unteinander
voraussetzt, um zu funktionieren, ist vermutlich die am weitesten
verbreitete Designgrundlage und größtes Tabu von Rollenspielern.
Echte Spannung und Ergebnisoffenheit kann hier nicht entstehen. Auch
Lösungsversuche, wie die Regel "der Meister hat immer Recht"
oder "Erzählrechte" ändern nichts daran, dass es nicht
vorran geht, wenn ein Spieler mit einer Situation nicht einverstanden
ist. Aber zugegeben, es sind Ansätze.
Jede Spielrunde kann sich für
irgendwelche Zahlenwerte entscheiden, z.B. Prozentwerte für eine
bestimmte Spielsituation, und dann darauf würfeln. Dazu bedarf es
keines komplexen RPG-Systems. Jedes weitere Detail auf diesem Grundsatz ist lediglich eine
Verschleierung dieser Beliebigkeit und damit unnötig. Aber was
passiert, wenn mindestens ein Mitspieler mit einer Entscheidung
unzufrieden ist oder nicht gehört wird? Und was passiert, wenn ein
detaillierteres Rollenspielregelwerk als das oben genannte
"Prozentsystem" seine Grenzen erreicht? Auf diese wichtigen
Fragen geben Rollenspiele keine Antworten. Die Spielrunden müssen die
Probleme lösen, die Rollenspielregelwerke erst hervorrufen.
Um dieses Dilemma zu lösen, habe ich
das RPG aus allen erdenklichen Perspektiven betrachtet, bis hin zu
Spielmechanismen, bei denen man sich an den Füßen spielen muss
(dieses zum Glück nur in der Theorie, die spinnen, die Skandinavier). Ich habe auch durchgehend die
Seiten gewechselt und fühlte mich auch keiner RPG-Glaubensrichtung
zugehörig, obwohl ich in fast jedem Systemkrieg dabei war. Aber das
RPG scheint sich jeder Rationalität zu entziehen, stellt man
eine Frage, wachsen zwei neue Rechtfertigungen aus dem Hydrakopf. Unterstützung
findet man bei der Suche nach Antworten selten, denn die Willkür ist und bleibt
ein Tabu, das unangetastet bleiben muss.
Schlussendlich heisst es: Entweder man
glaubt daran, dass RPG funktioniert oder man glaubt nicht daran.
Glauben kann ich nicht, ich kann allenfalls Vermutungen anstellen.
Und ich habe die Vermutung, dass RPG nie das Spiel sein kann, was
manche Wenige von uns sich davon erhofften. Manche, dass sind die,
die Regelsysteme mit hunderten bis tausenden von Seiten geschrieben
haben, in der Hoffnung, eines Tages wäre "alles" verregelt
oder die, die "Erzählrechte", "Dramapunkte" und
"Vetoregeln" erfunden haben, als würde das in irgendeiner
Weise die rundeninterne Kommunikation steuern können.
Die große RPG-Evolution ist leider
ausgeblieben, das strikte Tabu der Systemmakulatur herrscht vor.
Technologisch, also software-technisch, blieb man auch auf der
Strecke, dafür haben die Papierwütigen und Ewiggestrigen gesorgt.
Das RPG keine Computertechnik bräuchte, ist ein weiteres dieser
zahlreichen Tabus der Rollenspielentwicklung. Computerrollenspiele
hingegen haben sich dabei von ihrem Ursprung beinahe vollständig
gelöst und gehen ihren eigenen, erfolgreichen Weg. Tablets und
Smartphones fehlt es noch an kompetenten RPG Designern (ein RPG
schreiben meint jeder zu können, aber eines programmieren?). In über
40 Jahren hat sich keine für mich nennenswerte Weiterentwicklung des
einst genialen Grundgedankens ergeben, dafür jede Menge Sackgassen
und Ausprägungen. Ich rechne auch nicht damit, dass die nächsten
Jahre ein neuer Rollenspielregelansatz entsteht, da die
Rollenspielentwicklung von meiner Warte aus zurzeit den Schlaf des
(Selbst)Gerechten führt.
Aber wohin sollte sich RPG auch
entwickeln? Jeder Rollenspielmechanismus, jedes Spielleiterkapitel
und jede interne Rollenverteilung beläuft sich schlussendlich immer
wieder auf den Punkt der persönlichen Evaluierung einer
Spielsituation. Und diese kann man entweder vor seinen Mitspielern
erfolgreich rechtfertigen oder halt eben nicht. Mit anderen Worten:
Niemand wird gezwungen mitzuspielen, bist du nicht für uns, bist du gegen uns.
Also stehe ich noch exakt an dem Ort,
wo ich vor ca. 18 Jahren angefangen habe bzw. jetzt habe ich das
Gefühl, an diesen Ort zurückgekommen zu sein. Ich bin zwar der
Meinung, dass sich das Ganze trotzdem gelohnt hat, aber ebenso hat
der Hydra-Götze in der Kirche der Besserspieler mittlerweile so
viele Rechtfertigungen am Kopf, dass ich im Moment nicht weiß, wie man ihn
noch erschlagen kann. RPG ist und bleibt wohl Verhandlungssache und
kann kein herausforderndes, ergebnisoffenes Gesellschaftsspiel sein.
Und das ist die Krux.
Was weiterhin fehlt, ist ein
Regelansatz zur Verhandlung und Konsensfindung bei der Bewertung von Spielsituationen (ist kein fancy Theoriebegriff, ich weiß), möglicherweise auf
diskurstheoretischen Grundlagen, und Rollenspielentwickler, die
ernsthaft daran arbeiten. An Etwas, dass alle Teilnehmer wirklich als
gleichberechtigte Mitspieler, mit gleichen Möglichkeiten ihre
Ansprüche einzubringen, behandelt.
Ich habe hier keine Patentlösung, aber
ich bewundere weiterhin das Problem. Es ist lediglich ein Denkanstoß
für Rollenspielentwickler, die bereit sind, die Willkür am
Spieltisch mit einzubeziehen und nicht zu tabuisieren.
Glaub' keinem, der dir
sagt
Dass du nichts verändern kannst
Die, die das behaupten
Haben nur vor Veränderung Angst
Dass du nichts verändern kannst
Die, die das behaupten
Haben nur vor Veränderung Angst
frohes Schaffen.