Donnerstag, 14. Juli 2011

Die Anatomie der Charakterstufe

Na gut, ausnahmsweise eine Zwischenmeldung über meinen Umstieg auf neue Rollenspiele. Vermutlich ist das gar nicht von allgemeinem Interesse, aber Blogbeiträge dienen ja des Öfteren dem Berichten von Alltagserlebnissen.

Die letzte Diskussion im RSP-Blogs Forum und im Blog waren sehr hilfreich. Ich würde nichts lieber tun, als auf ein anderes, vorhandenes Rollenspielsystem umzusteigen, aber diverse Ratschläge haben mich wieder darin bestärkt, daß ich um ein hausgemachtes Spielsystem vermutlich nicht herum komme, obwohl ich dies nicht gerne tue und es lediglich aus Notwehr mache. Die Alternative, Rollenspiel nicht mehr spielen zu können, ist dagegen doch arg abschreckend.

Ich suche nunmehr seit drei Monaten Würfelmechanismen für das Rollenspiel, die gleichmäßige Kompetenzuwächse und gleichbleibende Würfeleinflüsse auf die Figurenwerte bei allen Spielfiguren und auf jeder Charakterstufe erlauben. Als Charakterstufe bezeichne ich hier alle Werte, die eine Spielfigur beschreiben und die sich im Spielverlauf erhöhen lassen.

Ermöglichen das nicht mehr als genug Rollenspielsysteme?

Zumindest kein Rollenspiel, das ich kennen gelernt habe. Dort besteht kein Zusammenhang zwischen prozentualem Werteanstieg, steigender Erfolgswahrscheinlichkeit und Verhältnis von Würfelgröße zu Spielfigurenwert.

Warum ist mir das denn so wichtig?

Zum Einen, ich möchte Transparenz und Glaubwürdigkeit. Ich möchte nachvollziehen können, daß mein Charakter eine um 10% höhere Erfolgschance hat, wenn sein Fertigkeitswert relativ um 10% ansteigt und ich vorher 10% seines Erfahrungspunktewertes investiert habe, um das zu ermöglichen. Es nützt mir im Spiel nichts, zu wissen, daß meine Charakterstufe um 5% ansteigt, z.B. von 20 auf 21, meine Erfolgschance aber um 10% ansteigt, wenn ich dann einen W10 addiere. Viele Rollenspiele jonglieren einfach mit irgendwelchen Zahlen herum, wobei deren Designniveau nicht über die Aussage "ein höherer Wert ist auf irgendeine Weise irgendwie besser" hinaus geht.
Zum Anderen, ich möchte die Vergleichbarkeit der Figurenwerte untereinander beibehalten. Das standard (tm) Rollenspiel verhält sich in der Regel so, daß höhere Wert den Profis vorbehalten sind, dementsprechend sinkt die Varianz der Ergebnisse, mit anderen Worten: Ein Profi ist eben zuverlässiger. Der Hund liegt nun dort begraben, daß nun angenommen wird, daß eine mächtige Spielfigur gleichzusetzen sei mit einem Profi. D&D ab Version 3 tut das zum Beispiel. Das ist natürlich Unsinn. Ein Drache ist natürlich mächtiger als jeder Mensch, er kann aber dennoch ein Stümper sein und kann bei für ihn herausfordernden Aufgaben genauso leicht versagen, wie ein Grünschnabel beim Speerfischen. Da es mir mit dem standard (tm) Rollenspiel aber aufgrund des Profieffektes nicht möglich ist, einen Anfänger mit hohen Werten darzustellen, kann ich die Werte auch nicht miteinander vergleichen, denn es wird ja alles nur auf der menschlichen Skala gemessen. Ich kann dann zwar sagen wie mächtig ein MENSCH wäre, wenn er so stark wäre, wie ein Drache, aber ich habe keine Aussage darüber, wie gut denn nun der Drache ist.

So ist das eben im Rollenspiel!

So macht mir das aber keinen Spass. Ich habe die letzten Wochen damit verbracht, mich an vielen vielen Orten darüber zu informieren und zu versuchen, Spielfiguren auf jeweils eigenen Skalen darzustellen, da relative Skalen auf den ersten Blick eine verführerische Lösung darstellen. Relative Skalen, das sind die Charakterstufen, die individuell auf eine Spielfigur genormt sind und immer auf derselben Spanne liegen.

z.B.

EinMensch mit Klettern 7
Ein Krokodil mit Klettern 7

Ein Affe mit Klettern 7

Relative Skalen. Ihr wisst schon.

Da ich aber sehr gerne Herausforderungsspiel spiele, es aber scheinbar keine brauchbare Möglichkeit gibt, diese relativen Werte untereinander zu vergleichen, ausser durch willkürliche Bewertung (so löst das Risus RPG z.B. dieses Problem), komme ich davon erst einmal wieder ab.

Ich habe auch versucht, diese relativen Werte mit absoluten Werten zu kombinieren, um sie zu vergleichen, also z.B.

Ein Krokodil mit Klettern 7 aber mit einer Geschicklichkeit von 5
Ein Affe mit Klettern 7, aber mit einer Geschicklichkeit von 25


Leider finde ich keine Möglichkeit, wie ich diese relativen Werte auf die absoluten Werte transponieren kann, ohne deren relative Natur aufzuheben (wenn ein Leser eine zündende Idee dafür hat, dann würde ich sie gerne lesen).
Wer Probleme damit hat, nachzuvollziehen, warum ich solche extremen Beispiele miteinander vergleiche: Im Extrem zeigen sich die Verhältnisse genauso wie im Kleinen, nur viel deutlicher. Es ist übersichtlicher, so zu basteln. Es ist schlussendlich dann einfacher ein System auch im Kleinen funktional zu halten, z.B. wenn man einen starken Menschen gegen einen etwas schwächeren Menschen antreten lässt, was man subjektiv dann kaum noch bewerten kann und dann ergo auch das System schlecht überprüfen kann. Man kann das neudeutsch auch gerne als Top-Down Methode bezeichnen.

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Ungeachtet der relativen Zahlenwerte probiere ich mich nun weiter an absoluten Skalen, daß also ein höherer Wert global für alle Spielfiguren dasselbe bedeutet. Das ist nicht so schwer zu gestalten und über die Kaufkosten kann man einen gleichmäßigen Kompetenzzuwachs auch leicht umsetzen.

Nehmen wir an, jede Charakterstufe kostet an Erfahrung z.B. 100% von dem, was insgesamt vorher investiert wurde, dann steigt die Kompetenz des Charakters auch um 100%. Der Vorteil dabei ist, daß dies auf jeder Stufe gilt und nicht nur auf der ersten (nämlich von 1 auf 2), wenn eine Charakterstufe nur soviel kosten würde, wie ihre Ziffer (also 1=1, 2=2 etc...). In diesem Fall würde der Charakter mit jeder Charakterstufe nämlich an Machtzuwachs verlieren (aber nie Null erreichen). Das ist der oben erwähnte Profieffekt. Nur wir möchten ja gar keinen Profieffekt, da wir ja auch noch andere Figuren und nicht nur Menschen miteinander vergleichen wollen.

Als ich mir dies zurechtgelegt hatte, habe ich kurz danach festgestellt, daß dies in diversen OD&D Versionen und Klonen auch so gehandhabt wird. In Labyrinth Lord z.B. ist die Stufenschwelle des nächsten Levels bis Lvl 9 immer genau so teuer, wie die gesamten, vorher investierten XP. Diese Bestätigung hat mich natürlich ausserordentlich gefreut.
Das Dumme daran ist nur, die Erfolgswahrscheinlichkeiten lassen sich nicht direkt mit den Charaktwerten umsetzen, wie das so gerne im Rollenspiel gemacht wird. Das ist so, weil sie ja nur die Stufe der Kompetenz, aber nicht den absoluten Kompetenzzuwachs (in unserem Fall von 100%) darstellen. Sagen wir, eine Spielfigur wird mit jeder Fertigkeitsstufe um nur 5% besser, dann braucht es dazu eine Tabelle, auf der man die Erfolgswahrscheinlichkeiten für jede Fertigkeitsstufe ablesen kann. Also Stufe 5 wäre vielleicht 50%, Stufe 6 wäre ~53% usw...
Würde ich den Fertigkeitswert direkt heranziehen, dann bräuchte es einen Würfelmechanismus, der für jede Stufe an Bonus (z.B. der Fertigkeitswert) den Erfolg um 5% erhöht. Und mir ist so ein Würfelmechanismus nicht bekannt.

Den gibt es doch, den W20!

Nicht ganz. Eine Fertigkeitserhöhung von 5 auf 6 aus dem obigen Beispiel wären addiert auf einem W20 z.B. eine Erfolgchanceerhöhung von 25% auf 30%. Das sind zwar +5% mehr, aber nur absolut, relativ ist die Spielfigur satte +20% stärker geworden. +5% auf die Erfolgschance 25% addiert wären dagegen nur ~26% und das kann der W20 nicht umsetzen.

Jetzt kommt die Pointe: Wie zuvor bei dem gleichbleibenden Kompetenzuwachs über Stufenkosten, habe ich die Tabellenlösung erstaunlicherweise danach ebenso in Labyrinth Lord wiedergefunden! Das bestätigt mich nochmal in der Annahme, daß man das Ganze so am Besten umsetzen kann. Es ist zwar nicht elegant, aber welches Rollenspiel, das als Simulation glaubwürdig ist, ist schon elegant? Den Tabellenwert könnte man sich in einem Feld des Charakterblattes notieren, da er sich ohnehin nur bei der Charaktersteigerung verändert, so hält sich der Aufwand in Grenzen.

Die meisten anderen Rollenspiele werfen im Vergleich dazu einfach nur sinnlos mit arbiträren Zahlen um sich, die sich halt "irgendwie" verbessern lassen. In Labyrinth Lord selbst geht der ganze Gewinn im Design leider, wie erwähnt, durch den groben W20 mit seinen festen 5% Schritten natürlich auch wieder komplett verloren. Da kann man nichts machen, so fällt OD&D als Spielalternative auch heraus.

Der Anstieg der Erfolgswahrscheinlichkeiten, prozentual auf den Wert der Stufe bezogen, ist potenziell und zu Anfang so kleinschrittig, daß sich gewöhnliche Würfel ausschliessen. Wahrscheinlich werde ich nicht darum herum kommen, besagte Erfolgstabelle mit einen W100
zu beproben, der ja ... oh Wunder ... Prozente sehr kleinschrittig darstellen kann.
Leider mag ich den W100 überhaupt nicht.
Eine Alternative wäre es, für jede der festen Erfolgszahlen der Tabelle eine eigene Würfelkombination zu benutzen.

z.B. Zuwachs +25%
50% - Man nimmt einen W2
63% - Man nimmt 2W4 kleiner als 5
78% - Man nimmt 2W8 kleiner 11

aber ich glaube, in Anbetracht dieses Alptraums ist der W100 das kleinere Übel. Diesen Ansatz werde ich erstmal weiterverfolgen.



Zur Diskussion steht das Thema im RSP-Blogs Forum offen. Wenn ich irgendwelche Fehler bei meinen Überlegungen mache oder bestimmte, neuartige Ansätze noch gar nicht kenne, dann zögert nicht, mich aufzuklären.

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