Mittwoch, 21. Dezember 2011

RPG Design: Auf die Mischung kommt es an

Des Öfteren schreibe ich etwas darüber, wie ich mit Spielweltrealismus in Regeln umgehe. Und ebenso regelmäßig kommt es zu Mißverständnissen, was das Wort eigentlich bedeuten kann. Das größe Mißverständnis darunter meiner Ansicht nach ist, daß es sich zwangsläufig um ein isoliertes Phänomen handeln muss, daß man "schlecht" oder "gut" finden oder ablehnen oder annehmen könne (Anmerkung: sehr viele Rollenspieler finden es meinem Eindruck nach heute "schlecht"). Das sind fraglos Relikte festsitzender Streite über die Spielweisen im Rollenspiel, die für mich nun aber keine Rolle spielen sollen. Ich verstehe darunter mehr eine Grundeigenschaft, die man mehr oder weniger verfolgen kann, ohne die ein reibungsloses Rollenspiel aber gar nicht möglich ist. Wie soll man eine Spielfigur in einer Spielwelt interagieren lassen, wenn gar nicht klar ist, was sie bewirken kann (weiter unten dazu mehr)?

Ein Rollenspielentwickler kann sich meiner Meinung nach gut an drei Zielsetzungen orientieren, die er mit einem Rollenspiel oder der Gestaltung einzelner Regeln verfolgen will. Die Zielsetzungen schliessen sich dabei gegenseitig aus. Keine dieser drei Zielsetzungen gibt eine Aussage über die Qualität der Umsetzung, nur über ihr Verhältnis zueinander. Dies lässt sich qualitativ, anschaulich darstellen mit einem Mischungsdreick
Das ist ein Konzept, das sich in vielen, vielen anregenden Diskussionen über die Funktionsweise von Rollenspiel natürlicherweise herauskristallisiert hat. Zumindest aus meiner Perspektive.
Dies ist ein Mischungsdreieck. Es ist ein dreiachsiges Koordinatensystem und denjenigen Lesern, die das Lesen eines Mischungsdreieckes nicht gewohnt sind, kann ich es kurz erläutern.
Das Dreieck stellt Verhältnisse in % dar. Jede Spitze stellt 100% des jeweiligen Begriffes dar. Jede der drei Dreieckskanten stellt 0% des Begriffes dar, welcher der Kante gegenüber steht. Im Bild beispielhaft an Spielweltrealismus gezeigt. 50% Spielverlauf, 50% Spielbarkeit und 0% Spielweltrealismus läge also genau auf der Mitte der Linie von Spielverlauf und Spielbarkeit. 33% von allen dreien Läge genau in der Mitte des Dreiecks.
Daraus ergeben sich alle übrigen Punkte, auch wenn auf den ersten Blicken schwer zu sehen ist, daß auch Punkte, die weit auseinander liegen dennoch dieselben Prozentpunkte eines (und nur eines!) Begriffes haben können. Ein Schwerpunkt auf einen Begriff geht immer zu Lasten zweier anderer.

Was bedeuten die Begriffe nun? Sie stellen Designzielsetzungen dar, die bestimmte Spielregeln oder ein Rollenspiel erfüllen sollen. Ich erläutere sie im Einzelnen.

Spielweltrealismus
Dies umfasst die Zielsetzung, die Funktionsweise der Spielwelt über Verfahren darzustellen. Ihre Naturgesetze, wenn man so sagen möchte. Die Auswirkungen dieser Verfahrensregeln müssen in der Spielwelt plausibel und reproduzierbar sein. Jede Auswirkung so einer Regel in der Spielwelt ist auch einem Bewohner dieser Welt ganz konkret bekannt, wenn auch nicht immer bewusst. Der Spielweltrealismus beschreibt zum Beispiel, ob eine Spielfigur stürzen kann und ob sie dann verletzt wird oder wie stark sie sich verletzt. Sie beschreibt aber auch, ob Spielfiguren altern, wieviel Wert eine Leistung hat oder ob es Magie gibt und wie sie funktioniert. Also einfach alles, was den Inhalt der Spielwelt beschreibt.
Ein Übergewicht an Spielweltrealismus kann zu Verlust an Spielbarkeit führen, das bedeutet, die Übersicht über Auswirkungen geht verloren oder bestimmte Inhalte können objektiv gegenüber anderen einfach von Vorteil sein. Ein Beispiel wären hier zu lange Ausrüstungslisten oder zu viele oder zu komplizierte Zaubereffekte und Gegeneffekte. Wenn man die Fallgeschwindigkeit mit der Beschleunigungsformel berechnen muss, macht es dies ebenfalls ziemlich deutlich.
Gleichzeitig kann ein Übergewicht an Spielweltrealismus den Spielverlauf stören, weil Mitspieler keinen kontrollierten Einfluss mehr auf die Welt nehmen können, das Schicksal der Charaktere und der Ausgang eines Abenteuer hängt dann buchstäblich von den Gesetzen der Spielwelt ab. So, als würde eine Person erfolglos versuchen, ihre Umwelt in der Realität zu kontrollieren (was wir sicher alle gerne könnten).

Spielverlauf
Wie der Name schon sagt, umfasst dies die Zielsetzung der Veranstaltung Rollenspiel einen zeitlich reibungslosen und geregelten Ablauf zu ermöglichen, im weitesten Sinne der "Spielstil". Die Spielbalance oder die Fairness sind hier wichtige Aspekte, aber nicht die Einzigen. Regeln, die diesem Schwerpunkt folgen, legen zum Beispiel fest, ob es einen Spielleiter gibt oder wie die Verteilung der Spielzeit unter den Mitspielern gelagert ist.
Die Zielsetzung beschreibt aber auch die Möglichkeiten der Mitspieler, Einfluss auf die Ereignisse innerhalb der Spielwelt nehmen zu können OHNE, daß Spielweltbewohner sich dessen bewusst sind. Das ist ein ganz entscheidender Unterschied zum Spielweltrealismus und gegensätzlich. Die Zielsetzung beschreibt z.B, ob es unwichtige Nebenpersonen gibt, die eine viel höhere Sterblichkeit haben oder sie steuert den dramatischen Hergang eines Abenteuers. Dazu gehört ebenso, wieviele Erfahrungspunkte Spielfiguren bekommen (wenn sie welche bekommen) oder wofür sie sie nutzen können. Sie dient ausserdem der Aufgabenverteilung der Charaktergruppe oder auch der Festlegung der Anzahl von Fähigkeitsanwendungen und ähnlichem. Wären einem Spielweltbewohner hingegen all diese Regeln bekannt, wären sie automatisch Teil des Spielweltrealismus!
Unter einem Übergewicht an Spielfverlaufsregeln kann der Spielweltrealismus leiden. Nehmen die Mitspieler ihren Charakteren zu viele Entscheidungen aus der Hand, wie z.B. erwähnte, limitierte Anwendung von Handlungen (siehe D&D4), anstatt "durch die Charakere" zu handeln, dann können auf Basis dieser Regeln keine Reaktionen in der Spielwelt mehr abgeleitet werden, da sie keine Aussage über deren Gesetze machen (Charaktere würden auf Gefahren zum Beispiel anders reagieren, wenn sie wüssten, daß sie ein Kampfmanöver nur einmal durchführen könnten).
Unter einem Übergewicht an Spielverlaufsregeln leidet ebenso die Spielbarkeit, wenn die Rechte und Pflichten der Mitspieler über den Einfluss auf das Spiel in einer hundertseitigen Gesetzabhandlung festgehalten wären und dutzende verschiedene Mitspielerposten definiert werden (SL, Co-SL, Vize-SL ...) illustriert es dieses Problem recht anschaulich.

Spielbarkeit
Dieser Schwerpunkt beschreibt die Wechselwirkung der Spielregeln und Spieleraktionen untereinander, sowie das Ausmaß eben dieser. Sie beschreibt, welche Elemente eine sinnvolle Ergänzung für das Spielerlebnis sind und welche Elemente der Regeln verlustfrei gestrichen werden können oder wieviel Funktionalität zugunsten des Spielflusses geopfert werden kann. Ein wichtiger Aspekt ist hier die Abstraktion. Der Entwickler entscheidet, ob zum Beispiel Lebenspunkte eine ausreichende Abstraktion der Verletzungen einer Spielfigur darstellen oder auf welche Auswahl von Fertigkeiten er einen Fokus legt und welche unter den Tisch fallen. Es beschreibt aber auch, wie exakt die Aufgaben und Pflichten der Spieler geregelt sind.
Ein Übergewicht an Abstraktion kann zum Verlust an Spielweltrealismus führen. Wenn es keine Spielregel gibt, die besagt, ob sich eine Spielfigur verletzen kann, dann wird es schwer für die Spielweltbewohner, Konflikte auszutragen. In einem anderen Beispiel könnten alle Waffen denselben Schaden anrichten oder sich Magie genau so wie Fernkampf spielen um das Spiel zu beschleunigen. Dies führt meist zu willkürlichen und mittel- bis langfristig uneinheitlichen Entscheidungen seitens der Mitspieler und damit zu Unsicherheit in der Spielgruppe. Zum Beispiel kann der Sturz einer Spielfigur diese in einer Situation beinahe umbringen und derselbe Sturz an einem ganz anderen Spielabend und/oder nach einem Spielleiterwechsel kaum eine Verletzung verursachen. Auch kann eine Spielfigur oder ein Mitspieler ungewollt die Oberhand über alle anderen gewinnen, einfach, weil es keine verlässliche Entscheidungsgewalt darüber gibt, was sie oder er bewirken kann.
Gleichzeitig geht bei einem Übermaß an Abstraktion der geregelte Spielverlauf verloren. Besonders unerfahrene Rollenspieler kommen so schlecht in das Spiel hinein, da zu viele Fragen über Aufgaben und Pflichten der Mitspieler, sowie Spielstil offen gelassen werden. So sind Anfängerrollenspiele oft dadurch gekennzeichnet, daß sie der Regelung und Erläuterung des Spielverlaufs ein großes Gewicht beimessen.



Ein Rollenspiel ist meiner Ansicht nach immer ein Kompromiß zwischen mindestens diesen drei Zielsetzungen, Punkte auf dem Umriss der Dreiecks (0% eines Begriffes) finden sich nur in einzelnen Regeln wieder. Und es ist nun auch klar, daß es keinen Kleinkrieg gibt, alle drei Zielsetzungen sind wichtig, um ein rundes Rollenspiel zu gestalten. Es gibt hier keinen goldenen Schnitt, auch wenn man diesen in der Mitte erwarten könnte. Es ist eine reine Geschmackssache, welcher Rollenspieler welche Schwerpunkte setzt. Man sollte sich nur immer im Klaren sein, was dies für alle anderen Zielsetzungen bedeutet.

Spielen wir jetzt ein wenig damit herum. Das folgende Bild zeigt diverse Rollenspielsysteme, die ich gespielt habe und über die ich mir eine Beurteilung zutraue. Man kann sich über die genaue Lage streiten und bislang gibt es keine nachvollziehbare Methode Prozentpunkte in Rollenspielregeln zu quantifizieren, aber ich hoffe meine Einschätzung ist halbwegs nachvollziehbar. Was sofort auffällt ist, daß man nun Verwandtschaften festlegen könnte. Man könnte sagen, daß Risus und Inspectres mehr miteinander gemeinsam haben, als mit Savage Worlds. Und das dieses wiederum von seinen Designabsichten mit Liquid verwandt ist. Wer diese Systeme einmal gespielt hat, kann das vielleicht ein wenig nachvollziehen.
Dann gibt es leere Flächen an den Extremen der Spitze und der Basis. Diese nennt man Mischungslücken. Das sind Verhältnisse, die so in der Realität nicht auftreten. Und auch wenn ich nicht ausschliessen will, daß es Rollenspiele geben mag, die zum Beispiel zu 0% aus Abstraktion und zu 100% aus Spielweltrealismus bestehen (das wäre buchstäblich ein perfektes Holodeck einer anderen Welt), so sind mir diese Rollenspiele nicht bekannt und ich halt sie für sehr unwahrscheinlich. Auch 100% Abstraktion kann man sich nur schwer vorstellen. Hier ist nochmal anzumerken, daß dies nicht für einzelne Regeln gelten muss. Eine Regel, die einen Spielleiter und Spieler definiert dient zweifellos dem Spielverlauf, trifft aber keine Aussage über eine Spielwelt.
Die Mischungslücken halte ich in dieser Hinsicht noch als vorsichtige Einschränkung meinerseits.

Dies ist die Art und Weise, wie ich meine kleine Rollenspielwelt ordne. Ich erwarte nicht, daß sie jedem logisch erscheint, aber wenn sie auch anderen Rollenspielern bei der Bewertung oder Wahl ihrer Rollenspiele hilft, dann freut mich das sehr. Ohne Zweifel gehört noch wesentlich mehr dazu, was ein RPG ausmacht. Ich muss zwei Rollenspiele nicht mögen, nur weil sie nahe beieinander liegen. Wie ich schonmal schrieb: Auf das Detail kommt es an. Für mich ist es auch nur ein Ansatz, ein Vorschlag und mich interessiert es natürlich, es auszubauen/zu korrigieren/anzupassen.

Und wenn man nun alles zusammenfügt, was haben wir dann?
Genau.schöne Feiertage.




Konstruktive Kritik oder Anregungen zu diesem Modell? Dann teilt es mir bitte im entsprechenden Thread des RSP-Blogs Forums mit. Kommentare an dieser Stelle lese ich genauso gerne, kann aus technischen Gründen aber zur Zeit nicht antworten.
http://forum.rsp-blogs.de/index.php/topic,1048.msg5340.html#msg5340


KORREKTUR

Jan hat mich in den Kommentaren darauf hingewiesen, daß die Mitte eines Mischungsdreiecks natürlich 33% pro Parameter und nicht 50% sein muss. Asche auf mein Haupt. Das ist natürlich vollkommen richtig und habe es geändert, danke für den Hinweis.

Samstag, 10. Dezember 2011

Prügelknabe Realismus

Es scheint eine Art lang anhaltender Trend zu sein, eine Aussage, mit der viele sich offenbar genötigt fühlen klar zu machen, daß sie auf keinen Fall und nie und nimmer etwas mit Spielweltsimulation zu tun haben. So, als distanziere man sich als politisch korrekter Mensch von einem Anschlag oder derartig Furchtbarem. Es geht um solche Aussagen:
"Realismus ist mir dabei übrigens egal"
"Und ich würfele nicht, um die Spielwelt realistisch darzustellen"

Ich frage mich dann immer, wozu diese unnötige Zusatzinformation? Was möchte mir der Schreiber der Zeilen damit sagen? 'Ich habe nichts gesehen, nein, Realismus kenne ich nicht, ich habe auch nie damit zu tun gehabt, da müssen sie jemand anderen fragen.'
Werden wir etwa doch von der Rollenspielpolizei beobachtet; und, unterdrückt diese etwa den Realismus im Rollenspiel? Ich dachte bislang ja immer, das Gegenteil wäre der Fall. Aus dieser Sicht wäre die Aussage also wieder eine rebellische, unabhängige und avantgardistische. Es wäre also eine schnelle Methode sich als etwas besseres darzustellen, als jemand, der sich gegen die Unterdrückung des Realismus erhebt und sich bereits von diesem antiquierten Ding "Realismus" gelöst hat.
Fragen wir uns kurz, was mit Realismus gemeint ist. Dies sind alle Vorgänge in einer Spielwelt. Alles, was in einer Spielwelt Naturgesetz ist, ist realistisch in dieser Spielwelt. Hierzu zählt auch Magie oder Übernatürliches. Aus diesem Grund ist das Wort Glaubwürdigkeit eher angebracht, konnte sich aber leider nie durchsetzen.
Warum also gegen die Spielwelt ankämpfen? Natürlich, Spalter wird es immer geben, dennoch frage ich mich, welchen Mehrwert es hat auf Realismus zu verzichten und ich bezweifle, daß es wirklich jemand tut.

Des Öfteren habe ich erwähnt, daß ich bei Spielregeln zwischen zwei Extremen unterscheide, eines, das in erster Linie die Spielwelt simuliert und ein anderes, welches das Miteinander am Spieltisch regelt.
Letzteres wäre so etwas wie:
- Wer bringt die Chips mit?
- Wird mit Miniaturen gespielt?
- Wieviele Charakterbaupunkte bekommt man?

Erstes sind Regeln, die direkt eine Handlung in der Spielwelt abbilden
- Ein Spielcharakter lernt etwas und erhält Erfahrung (als Punkte)
- Jemand haut einen Gegner mit dem Schwert und dieser blutet und wird schwächer
- Jemand klettert auf einen Baum und fällt.

Die Spielregeln lassen sich selten eindeutig auf beide Extreme aufteilen und das ist auch gar nicht sinnvoll, denn wir haben hier keinen Kleinkrieg, in dem nur der eine oder andere Recht haben kann. Meist sind die Regeln ein Kompromiß zwischen beiden. Nehmen wir die Regeln
- Etwas Spannendes passiert immer dort, wo sich die Charaktere befinden oder
- Ein unwichtiger Handlanger wird immer nach einem Treffer aus dem Spiel genommen

dann kann man zwei Absichten darin erkennen. Die eine Absicht ist ein spassiger, spannender Spielabend, in dem garantiert etwas Aufregendes passiert. Die andere Absicht ist das Geschehen in der Spielwelt darzustellen. Die unwichtigen Handlanger fallen nach einem Treffer um, sie werden nicht etwa geheilt oder duplizieren sich. Und die spannenden Dinge treten ein und haben Konsequenzen, sie werden nicht ungeschehen. Dennoch möchte man nicht auf die Aufregung verzichten, es ist also ein Kompromiß zwischen "Realismus" und "Miteinander am Tisch".

Mit einem Blick kann man also schnell sehen, daß nicht alle der genannten Beispiele gleich "realistisch" sind. Viele Rollenspiele benutzen für die Bewegung der Charaktere zum Beispiel Miniaturen und Kästchen, man kann sich dort nur schwerlich und mit Zuhilfenahme von Ausnahmeregeln diagonal bewegen, aber, und das ist der Punkt, die Regel dient dazu, die Figur von A nach B zu bewegen, weil es die Gesetze in der Spielwelt so ermöglichen. Sie geht nicht von oben nach unten oder reist zurück in die Zeit. Es ist also eine weniger realistische Regel, die versucht, die Bewegung in der Spielwelt dazustellen. Wenig heisst nicht gar nicht realistisch, sondern ein wenig realistisch.
Und das ist schlussendlich ihr Zweck, der Entwickler möchte die Bewegung der Figur so realistisch wie möglich darstellen, ohne das Miteinander am Spieltisch zu stören, zum Beispiel den Spielfluss, also geht er diesen Kompromiß ein, denn eine vollständig realistische Bewegungsregel wäre am Spieltisch kaum durchführbar. Die Absicht dahinter ist aber häufig, daß der Spieler sich vorstellen kann, was sein Charakter in der Spielwelt tut. Die Spielregel simuliert also etwas. Sie simuliert den Realismus in der Spielwelt.

Und dann frage ich mich wieder, wie laufen diese Runden ab, die keinen Realismus und keine Simulation haben? Wenn dort die Kanonen schiessen, wachsen dann Rosen aus den Läufen? Wenn ein Charakter dort über eine Mauer klettert, wird diese dann kleiner, wenn er es schafft? Läuft die Zeit dort rückwärts oder alle Menschen auf den Händen? Fällt man dort nach oben? Und das unterstützen die Regeln dann? Wie machen sie das denn?
Es muss sehr verwirrend sein, ein Rollenspiel zu spielen, wenn einem Realismus in den Regeln völlig egal ist.
Glücklicherweise sehen das die meisten Rollenspielentwickler anders, weil sie den Grundgedanken von Rollenspiel nicht aus den Augen verlieren: Sie bieten Regeln an, die darstellen, was und wie ein Ereignis in einer Spielwelt abläuft und das so spielkomfortabel wie möglich. Mal mit dem einen, mal mit dem anderen Schwerpunkt, aber wenn dort eine Waffe niedersaust, dann richtet sie auch immer Schaden an. Man muss dort nicht rückwärts gehen, um vorwärts zu kommen und Eis schwimmt dort immer noch oben, sofern eine Magie der Spielwelt oder ein Spielweltnaturgesetz nicht etwas anderes diktiert. Aber das ist in dieser Welt dann ja auch wieder realistisch.

Eure Meinung zum Thema Realismus interessiert mich sehr. Da die Kommentarfunktion dieses Blogs zur Zeit nicht einwandfrei funktioniert kann man auf den Thread im RSP-Blogs Forum ausweichen.
http://forum.rsp-blogs.de/index.php/topic,1032.msg4914.html#msg4914

Donnerstag, 1. Dezember 2011

Jetzt hat das Rollenspiel Karneval - Moral beim Rollenspielen

Ich könnte mich jetzt fragen: Was sitzt du hier bei dem spätsommerlichen Wetter (im Dezember!) vor deinem Computer herum und schreibst so vor dich hin, wo du doch auch produktiv sein könntest und bei dem spätsommerlichen Wetter vor dem Computer herum sitzen könntest, um dein Rollenspiel weiterzuschreiben.
Das hat etwas mit Moral zu tun. Und damit auch der Grund, warum ich das als Ausrede für eine Pause nutze. Spielleiten hat in seinem Blog vor Kurzem die amerikanische Sitte des "RPG Karnevals" aufgegriffen, ihr erfahrt dort, worum es sich dabei genau handelt. Das RSP Blogs Forum wird zur Zeit zur Organisation benutzt. Ich mag den Begriff Karneval eigentlich nicht, 1. weil ich deutschen Karneval nicht mag und 2. weil es ein Mangel an ernsthaftem Interesse suggeriert, aber kurz gefasst sind das Themenwochen, zu dem sich jeder äussern kann der mag und damit eine gute Sache.
Und im Dezember'11 geht es um Moral im Rollenspiel. Und da ich nicht ausschliesslich Werbung für das Projekt machen möchte und ich immer mal wieder zum Thema Moral etwas geschrieben habe, fällt es mir nicht schwer, ein paar Dinge einzubringen.

Daher ein paar Ratschläge aus der Mottenkiste der guten Manieren und des funktionierenden Miteinanders:
Moral verstehe ich in diesem Zusammenhang als Motivation, Disziplin oder Verantwortungsbewusstsein, speziell der Mitspieler einer Rollenspielrunde. Deswegen schreibe ich Moral "beim" Rollenspielen nicht "im Rollenspiel". Das ist ein kostbares Gut und ich habe das Glück, mit weitestgehend moralisch starken Spielern spielen zu können. Doch was sind Spieler ohne Moral? Das sind solche, die zu spät kommen, solche, die in letzter Minute den Termin absagen - oder auch mal unentschuldigt mit Abwesenheit glänzen - auch diese, die die Spielregeln nicht beherrschen und sich auch nicht bemühen, sie zu lernen. Genausowenig, wie sie sich in die Runde einbringen und die Mitspieler beim nicht geringen Aufwand einer Rollenspielrunde unter die Arme greifen. Kurzum, rücksichtslose und selbstsüchtige Zeitgenossen, da sie sich auf Kosten ihrer Mitspieler unterhalten lassen und rumfläzen ohne eine Gegenleistung zu bringen.

Es gibt diverse Ausweichstrategien solcher Persönlichkeiten, um Spielrunden unter dem schwarzen Drakuladeckmantel von "Spielstil" wie Vampire auszusaugen, bis diese kraftlos das Handtuch werfen. Nur die Standhaften können sich solcher Spieler erwehren, in dem man sie gemeinsam ausläd (Wem es am nötigen Selbstbewusstsein mangelt, ein strategischer Tip: Rollenspielrunde im allgemeinen Verständnis auflösen und die Woche drauf neu gründen ;) ).
Hier exemplarisch zwei Ausweichstrategien am Pranger.
Eine Ausweichstrategie lautet "Casual Gamer", ein Schlagwort, dessen diese Leute sich bedienen, um sich in Runden zu schleichen und sie blutleer zu saugen, daher warne ich explizit vor dem Mißbrauch dieses vollwertigen Spielstiles. Ein "casual" oder Gelegenheitsspieler ist ein solcher, der in seiner Freizeit nicht die notwendige Zeit und Hingabe aufwenden will, um richtig tief ins Rollenspielhobby einzutauchen. Und das ist auch völlig in Ordnung, es gibt genügend Angebote um der seichten Form des "Bier und Bretzel" Rollenspiels zu frönen. Es gibt keinen Grund, deswegen unzuverlässig oder eigennützlich zu sein, denn das ist gar kein Spielstil.
Eine andere Ausweichstrategie ist die eigene Wichtigkeit heraus und über andere zu stellen. Als Grund für Nichterscheinen, Regelunkenntnis etc.pp. werden dann Dinge nach vorne geschoben wie Uni, Arbeit, Familie.
"Ich hatte so viel in der Kanzlei zu tun, deswegen bin ich nicht gekommen".
Diese Strategie ist besonders perfide, denn mit Nennung dieser gewichtigen Themen lässt man sich schnell in die Defensive drängen. Doch Moment! Schauen wir genau hin. Was zum Teufel hat Uni, Arbeit und Familie mit Rollenspiel zu tun? Und schauen wir noch genauer hin. Haben wir nicht selber auch Uni, Arbeit, Familie, also auch mehr als genug zu tun? Es geht hier um regelmäßige oder kontinuierliche Unzuverlässigkeit. Was will uns dieser Mensch also eigentlich sagen? Na, daß seine Belange vor denen der Gruppe stehen, daß er fleissiger ist, wenn er mal wieder raus muss, um "mal kurz die Welt zu retten". Lasst euch davon nicht einschüchtern. Natürlich können einem diese Dinge ins Gehege kommen, aber ist das deswegen ein Grund, verantwortungslos, unzuverlässig und egoistisch zu sein? Verhindert dies sogar Anrufe? Wir leben (offiziell) nicht in einem Sklavenstaat, die meisten Menschen haben mehrere Stunden des Tages frei.
Man nimmt sich die Zeit für etwas, was einem wichtig ist. Wenn man viel zu tun hat, aber trotzdem echtes Interesse am Rollenspielhobby (oder auch nur an irgendeinem Hobby) hat und daran interessiert ist, sich einzubringen, dann setzt man sich eben gemeinsam zusammen und überlegt sich eine Strategie, die auch mit vielbeschäftigten Personen funktioniert und sei es nur, daß man dem Mitspieler die Freiheit einräumt. Oder man bietet es dem "Vielbeschäftigten" selber an, gemeinsam findet man immer eine Lösung. Rollenspielen heisst auch Zusammenhalten. Das Ausbleiben oder Ablehnen solcher Vorschläge ist ein ganz heisses Indiz dafür, daß es sich bei dem "Mitspieler" um einen Motivationsschädling handeln könnte, einem Spieler ohne Moral, der selbst natürlich daran interessiert ist, sein Desinteresse und geringe Priorität an Runde und Mitspieler zu verschleiern, um "seine" Runde, seine "Spaßquelle" für "Notfälle" auf Abruf haben zu können. Erschwerend kommt hinzu, daß viele Rollenspieler so verzweifelt Mitspieler suchen, daß sie alle möglichen Gestalten in ihren Runden dulden.

Das sind vielleicht harte Worte aber ich verstehe in der Hinsicht auch keinen Spass mehr. Viel zu lange habe ich diese grundlegenden Bedingungen naiverweise einfach vorausgesetzt. Heute achte ich darauf und ich möchte Anfängern helfen, diese Riffe zu erkennen, um sie zu umschiffen. Rollenspiel ist nur "spielen", ja. Davon bekommt man kein Essen auf den Tisch und es gibt Wichtigeres, das verstehe ich. Aber ehrlich, hilfsbereit, offen zu sein und zu seinem Wort zu stehen, seinen Mitspielern zu helfen, das ist unabhängig vom Objekt. Das gilt immer!
Und Rollenspiel ist eben keine Spielkonsole, die man an und ab schaltet oder auf einen anderen Schrank stellt, wenn sie im Weg steht, wie es einem beliebt, sondern ein Gesellschaftsspiel! Und wie immer, wenn man nicht alleine spielt, gelten mindestens implizit gewisse Regeln, also Einschränkungen, an die sich jeder halten muss, damit die Veranstaltung funktioniert. Jemand sagte mir in einem Forum vor Kurzem, Spielen sei die Definition von regellos, doch das halte ich für Kokolores. Wir lernen durch das Spielen mit anderen sogar unsere allerersten Regeln. Und Personen, die sich auch im Trivialen nicht an Regeln halten können, so vermute ich, haben allgemein nicht viel in Gesellschaft spielen können und mussten sich selten auf Einschränkungen einstellen. Die verhalten sich dann auch im Alltag so!
Entgegen der Gerüchte ist auch Rollenspiel kein Wunschkonzert und auch kein Nerdsumpf, sondern funktioniert nur mit sozial gesellschaftsfähigen Personen. Moral bedeutet also erst einmal Verzicht. Moral ist Rücksicht auf Andere. Es zieht sich über weitere Aspekte des Rollenspiels, die aber alle Ableitungen derselben Ursache sind. Die Moral gebietet, daß man beim Spielen nicht schummelt (das völlig legitime "Schummeln unter Mitspielerwissen" heisst einfach "Regel brechen"), daß man als Spieler gruppentaugliche Charaktere baut und keine Egomanen, daß man die Wünsche der Mitspieler berücksichtigt und das man den Spielern als Spielleiter nicht vorspielt, ihre Charakterhandlungen hätten Konsequenzen, man diese aber gleichzeitig manipuliert. Rollenspiel ist also auch ein wenig Arbeit.

Ich bin ein "ernsthafter Hobbyist", mich scheut das nicht. Ich stecke fast die gesamte Freizeit (die Freizeit ohne Familie meine ich ;) ) in und um Rollenspiel. Und genauso habe ich gewisse Ansprüche, was die Mitarbeit betrifft, denn ich lasse mich nicht gerne ausnutzen. Es muss nicht jeder ein "Hobbyist" sein, um Rollenspiel spielen zu können, das erwarte ich auch gar nicht. Aber ich erwarte, daß ein Mitspieler mir zeigt, daß ich mich auf ihn verlassen kann, daß er seine Energie einbringt, daß er die Regeln kennt und sich daran halten kann oder konstruktive Vorschläge machen kann, um etwas zu verändern. Das ist nicht viel und es benötigt in der Regel nicht lange, bis ich merke, ob jemand echtes Interesse zeigt oder nur vorheuchelt und dann ist Land unter.

Deswegen: Moral zeigt sich immer zuerst am Spieltisch, bevor man überhaupt darüber nachdenken kann, wie die Charaktere in der Spielwelt damit verfahren. Darüber können sich andere Blogger in diesem Thema auslassen.
*grummel grummel*

Weitere Themenbeiträge zu Moral im Rollenspiel findet ihr im Gemeinschaftskarnevalszelt des RSP-Blogs Forums.
http://forum.rsp-blogs.de/index.php/topic,1026.msg4711.html#msg4711