Montag, 30. September 2013

Spielfreiheit - wider die Spielbarkeit (Teil 2)

Eines der meistbemühten, sogenannten Grundpfeiler und Verbreitungsmaschine schlechthin von Rollenspiel ist die Spielfreiheit. Versprochen wird uns, alles sein zu können und alles tun zu können, meist untermauert, das Versprechen durch das gerade präsentierte Regelsystem einlösen zu können. 
Spielfreiheit hat nicht nur einen guten Klang, sondern enthebt den Rollenspielentwickler auch zweckdienlich davon, allzuviel Arbeit aufwenden zu müssen oder für irgendeines der Resultate seines Werkes mitverantwortlich zu sein. Denn es wird ja nichts vorgegeben. Dankbarerweise sieht das der Teil der Spielerschaft genauso, der die strapazierten Regeln sowieso auf Anhieb über Bord wirft, sobald diese der "Spielfreiheit" im Wege stehen und bestätigt dieses Vorgehen dadurch. 
Das uns in diesem Klima Rollenspiele wie Eintagsfliegen um dem Kopf schwirren, und ebenso nahrhaft sind, die keine Fragen beantworten, keine Hilfestellung geben können und wollen, verwundert da nicht. Denn sie könnten ja die Spielfreiheit einschränken. 
Das man von Rollenspielen keine Spielhilfen mehr an die Hand bekommt wie man leitet, Dramatik aufbaut, beschreibt, taktisch und strategisch vorgeht, wie man Spieler einbindet, wie man sich selbst einbindet, was Rollenspiel IST, darüber wundere ich mich schon lange nicht mehr. Denn dies würde die Möglichkeit implizieren etwas falsch machen zu können, würde eine Wertung in die Nutzung des Rollenspiels bringen und das passt nicht in unsere alles tolerierende Gegenwart. 

Lasst sie reden und machen. 
Ganz unromantisch betrachtet bedeutet Spielfreiheit in erster Linie eines: Mehraufwand für die Spielrunde. 
Meist muss die Runde nicht nur entscheiden, welche Konflikte und Persönlichkeiten in ihrer Spielwelt (so vorhanden !) auflodern und wüten, sie muss sich auch die Details, die eine Spielwelt erst lebendig machen, aus den Fingern saugen. Regeln muss sie entweder brechen oder mühselig mit Hausregeln ergänzen oder im Zweifelsfall einfach eine Münze werfen und Spielfigureigenschaften und Entscheidungen damit im Endeffekt aushebeln. Und manchmal muss sie die Regeln auch gleich noch vollständig konvertieren, um sie überhaupt benutzen zu können. Obendrein muss sie untereinander die Spielercharaktere in Bezug auf Persönlichkeit, Aufgabengebiet und Stärke abstimmen, muss sich über die Stimmung des Spieles (lustig/ernst ... ) klar werden und muss entscheiden, welche Rechte und Pflichten jeder Teilnehmer hat, so sie sich denn überhaupt bewusst ist, was das alles bedeutet und welchen Einfluss es auf das Spiel haben wird. Auch sind die meisten von uns weder Dramatiker noch Mathematiker oder Regeleentwickler um die anderen Probleme eigenständig lösen zu können (zu unserem Leidwesen: Die meisten Rollenspielautoren auch nicht). 

Freiheit kann man einem zwar lassen, aber nicht geben.
- F. Schiller 

Und gerade dieser Mehraufwand sollte insbesondere bei älteren Semestern ein Thema sein, bei denen Motivation und Freizeit natürlich ein großes Problem ist. Gerade heute, in der Freizeit neben Smartphone und AppleStore auch für jünge Leute ein immer wichtigeres Gut wird, ist es nicht verkehrt, die Spielfreiheit hinter die Spielbarkeit zu stellen.
Ich kann nicht behaupten, in den letzten Jahren eine gute Runde gehabt zu haben, die "Spielfreiheit" auf die Fahne geschrieben hatte oder in irgendeiner Weise als Nebenaktivität spielbar gewesen wäre. Zu groß sind die Lücken im eigenen Erfahrungshorizont, zu kleinteilig die Absprachen, zu breit die Wissensgebiete und zu kryptisch die Spielregeln, als das eine Spielrunde etwas halbwegs wachhaltendes auf die Beine stellen könnte. Die interessanten Abende waren immer diejenigen mit klaren Vorgaben und klaren Zielen. 

Wie immer ist das kein neuer Ansatz und führt uns zu den Ursprüngen zurück. Schon D&D führte z.B. Klassen, Gesinnungen und Umgebungen ein (der Dungeon). Jedem war klar: Ich spiele diesen Spezialisten, der jenes kann, dort hingeht und die Welt auf diese oder jene weise sieht und sich entsprechend verhält. Gerade letzteres (die Gesinnungen) allein stellen schon eine immens solide Basis als Entscheidungshilfe für einnehmendes, konsequentes Charakterspiel dar ohne auch nur ein Wort über Spieler-/Charakterwissen, Player Enpowerment, Kickers, Bangs usw. zu verlieren. 
Nur um alles davon irgendwann auf dem Altar der Spielfreiheit zu opfern. 

Wenn ich gegenwärtig ein Abenteuer erleben will, in dem ich atmosphärisch aufgehen kann, dann setze ich mich eher zu einer Runde thematischer Brettspiele wie Prophecy, einer Partie Resistance, Konvoi, Junta oder Space Infantry. In gewissem Sinne kann ich sogar Strategiespielen wie Rune Wars, Core Worlds, Dungeon Lords, Richard III. oder Warrior Knights mehr Spielweltatmosphäre abgewinnen, als mich in ein völlig unbeschriebenes Blatt von Spielwelt und Spielrunde mühsam und ohne Erfolgsgarantie einarbeiten zu müssen. Gerade Gesellschaftsspiele haben sich immens weiterentwickelt, sind nicht mehr selten "wie Rollenspiele, aber ohne den langweiligen Teil". 

Wenn ich in einer Kartenpartie Netrunner mehr Cyberpunkatmosphäre atme, als in einer Kampagne Shadowrun, dann liegt das meines Erachtens daran, dass erstes in Sachen Spielmechanik um Lichtjahre durchdachter und weiter ist, als die Krücken, mit denen wir überwiegend seit Jahrzehnten versuchen, zuverlässig Abenteuererlebnisse zu produzieren. 

Rollenspiel gewinnt für mich nicht an Mehrwert, nur weil ich mehr machen kann. Mit der Spielfreiheit bin nach Jahren des Herumexperimentierens, Diskutierens und Recherchierens deshalb auf Erstes durch.
Ich würde mir wünschen, dass Rollenspiele noch klarere Vorgaben, noch bessere Hilfestellungen machen und mutiger sind, den Spielern auch einmal zu sagen: Du kannst DAS nicht, du BRAUCHST das jetzt aber auch NICHT.
Rollenspiel in kontrollierter Umgebung um bestimmte Spielerfahrungen zu erzeugen, gerade für Leute, die keine Erfahrung mit und auch kein Interesse an Theaterkursen, Literatur-Workshops oder Statistikseminare haben. Ich rede dabei nicht von schwammigen, thematischen Indie-Rollenspielen, sondern durchaus umfänglichen Rollenspielen, die fachkundig geschrieben sind und die Spielrunde als Ratgeber führen und in denen sich die Thematik aus den Regelmechanismen ganz natürlich ergibt - in denen unterschiedliche Runden dennoch vergleichbare Ergebnisse erspielen.

Das man dabei dennoch nicht kreativ eingeschränkt sein muss, zeigen Rollen-/Brettspielhybriden wie Battlestations. Doch so etwas ist nur ein kleiner Ausblick, in welche zeitgemäße Richtung sich Rollenspiel in der sehr schnellen Welt entwicklen kann. Ob dies mit den antiquierten Riten und Ansichten durchführbar ist, die all' die Bierdeckelsettings, Charakter-Punktekaufsysteme,  Sandboxen, Simulationsmonster und Erzählregeln hevorgebracht haben, die Rollenspiele auch nach mehreren Wellen der Aufklärung weiter fest in ihrem Griff haben, steht noch aus. Wir können natürlich warten.
Aber ich bin lieber aktiv.


Was ist euer Für und Wider? Diskutiert es im RSP-Blogs Forum:
http://forum.rsp-blogs.de/diskussion-und-kommentare/(hoch-ist-gut)-spielfreiheit-wider-die-spielbarkeit/msg10414/#msg10414

p. S:
Dieser Beitrag ist die Fortsetzung des Beitrags:
Über den Tellerrand: Was wir von Brettspielen lernen können Teil 1
http://hochistgut.blogspot.de/2012/06/uber-den-tellerrand-was-wir-von.html


4 Kommentare:

  1. Hurra, er bloggt wieder! :D
    Du reißt da einiges bedenkenswertes an, was ich aber gerne noch genauer ausgeführt hätte... gerade das Spannungsverhältnis zwischen Spielfokus bzw. eingeschränkten Freiheiten, komplexen Regelsystemen und zielgerichtet designeten Indiespielen ist mir hier noch nicht klar genug aufgelöst.
    Ich weiß noch nicht genau, worauf du hinaus willst - man könnte den Beitrag auch als beginnendes Promoting von Schienenplots verstehen... freue mich aber auf jeden Fall wieder auf weitere Artikel von dir!

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  2. Kann ich in der Sache unterstützen, finde ich gut. Etwas mehr klare Kante tut vielerorts Not, nicht nur beim Rollenspiel.

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  3. Um zu sagen, Ich bin wieder da! ists wohl zu früh. Ich orientiere mich nicht mehr nach Beitragsfrequenze sondern poste halt, wenn was ansteht und ich überhaupt die Zeit dafür finde.
    trotzdem danke.
    Ich kontrolliere die Kommentare übrigens nicht regelmäßig, ein Post im RSP-Blogs-Forum wäre mir lieber.

    Es ist wirklich nicht sehr konkret geworden, bin sowieso aus der Übung.

    Wie man versucht FREIHEITEN zu lassen ist ja erstmal egal und da habe ich eben ein paar Möglichkeiten genannt, als da wären:
    - sehr detaillierte Regelsysteme
    - sehr schwammige Regelsysteme
    - wenige Settingvorgaben
    etc.pp.
    Ich kann also Freiheit erreichen, indem ich WENIG anbiete oder versuche, möglichst VIEL anzubieten. Da habe ich bewusst keine Unterscheidung gemacht. Ich würde weder GURPS noch Wushu mehr in die Hand nehmen. Bringt mir nichts, die noch groß zu trennen, da deren Ziele ja dieselben sind.

    Der Kern es Ganzen ist einfach: Einschränkungen fördern Kreativität. I. d. R. versuchen Rollenspiele aber genau das Gegenteil.
    Das hat der ein oder andere sicher schon mal erlebt - ich habe kein Busgeld mehr, wie komme ich jetzt nach Hause?
    WIE ich die Einschränkungen nun einbaue und was ich damit lenke ist dann das, worauf es bei der RPG-Entwickllung ankommt.
    Siehe z.B. Gesinnungen in D&D. Oder In Inspectres gibts z.B. eine Mechanik des "Monologs", bei dem ein Spielercharakter die 4th Wall durchbrechen kann. Im gleichen Zuge wird sich der Spieler bei dem Monolog über die Inhalte des Abenteuers nochmal bewusst, anstatt zu schlafen.
    Genial.

    Dasselbe gilt natürlich auch für Spielwelten. Ich kann nix beschreiben - völlig nutzlos - ich kann nur unnötiges beschreiben, wie die Namen der Bäume - genauso nutzlos - oder ich kann eine SPIELWelt erschaffen, die tatsächlich als Abenteuer funktioniert

    So etwas braucht es mehr und gibt es viel zu wenig.

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  4. p.S:
    Natürlich kann man auch zu VIEL einschränken (Railroading vielleicht?). Es kommt halt darauf an, welche Einschränkungen man macht und welche Effekte sie bewirken beim Spieler.
    Eine Einschränkung ist nicht gut, nur weil man sie macht. Deswegen ist der Begriff ja auch i.d.R. negativ belegt.

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