Donnerstag, 24. Oktober 2013

(Was kann Rollenspiel?) Wer Wind sät...

... erntet manchmal nur heisse Luft.

Eine gewisse Ironie ist nicht von der Hand zu weisen, wenn ich mir die Berechenbarkeit der Forengemeinschaft gegenüber des freiheitlichen Anspruches, der für das Rollenspiel in Anspruch genommen wird, vor Augen halte.

Diverse, gestreute... Auslöser regten kürzlich in der RPG - Internetgemeinschaft an, sich endlich mal wieder Gedanken über den Zustand, die Definition, die Funktionen und die Grenzen des Rollenspieles zu machen. (nämlich unter Anderem hier, hier, hier, hier, hier und hier)
Und das ist gut so. Es geht wie immer um die Gretchenfragen: 
Was ist Rollenspiel eigentlich und was ist dessen Stärke?

Man scheint sich einig zu sein, dass es die Stärke und das definierende Merkmal des Rollenspieles ist, Ereignisse in der fiktiven Spielwelt darstellen zu können, die zuvor noch niemand eingeplant hat, um eben sich und andere zu überraschen. Spielfreiheit nennt sich das dann (vielleicht auch nach dem Prinzip: je größer das Kasperletheater, desto freier bin ich).

Diese ungeplanten Ereignisse und Auswirkungen können dann mit Hilfe der rundeninternen Vereinbarungen, Überredungskünste, "gesunden Menschenverstande", Selbstbewusstsein, Lautstärke, soziale Drücke, Einschüchterungen, Mobbing ... die Möglichkeiten sind derer vielfältig ... untereinander kommuniziert und entschieden werden. Und das sei eben etwas, was kein anderes "Spiel" könne.

Schlussfolgerungen daraus bleiben bislang aus, vielleicht übersehe ich sie auch, allerdings scheint man sich ja auch darüber einig zu sein, dass das alles ganz gut so ist, wie es ist und ganz formidabel funktioniere. Nur so ist es ja überhaupt nur möglich, mit jedem Regelwerk jedweder Qualität Rollenspiel spielen zu können und vor anderen zu rechtfertigen. It's not a bug, it's a feature.

Das ist so, als sage man, Fußball funktioniere erst dann, wenn nicht klar ist, ob gerade ein Tor gefallen ist und die Entscheidung dann einer Person, zum Beispiel dem Schiedsrichter, zu überlassen.
Ich will hier (zumindest jetzt) nicht darüber streiten, ob dies überhaupt Teil des Rollenspieles ist oder nicht vielmehr ganz gewöhnliches, gesellschaftliches Verhalten darstellt - also sicher alles andere als exklusiv ist.
Aber nehmen wir das ruhig einmal als Stärke hin. Ich möchte lieber herausstellen, dass diese exklusive Fähigkeit des Rollenspieles per Definition etwas ist, was ausserhalb der geschriebenen Regeln steht.

Und die eigentliche Frage, die sich dann für den Rollenspielentwickler stellt ist: Wenn man diese Arbitrarität des Rollenspieles akzeptiert, wie geht man dann damit um? Wie plant man etwas Ungeplantes? Kann ein Rollenspielentwickler überhaupt Einfluss darauf nehmen? Und wenn nicht, welche Konsequenz hat das?

Man kann noch so viele Spieltipps-Kapitel schreiben oder Erzählrechte- und Vetoregeln erfinden wie man will, schlussendlich sagen sie alle nur das Eine aus: "seid nett zueinander und werdet euch einig". Und dies kann man mal mit mehr oder weniger Worten in sein Rollenspiel schreiben, es spielt im Grunde keine Rolle, denn diese Richtlinie gilt sowieso immer. Der spielmechanische Einfluss solcher Hinweise tendiert gegen Null, denn es hängt sowieso davon ab, ob die Spielrunde von sich aus auf einander eingestellt ist.
Im Umkehrschluss muss man sich als Entwickler aber auch keine Gedanken mehr über die Anwendbarkeit und Funktionalität oder nur Handhabbarkeit seines Rollenspieles machen, denn die Spielrunde wird es schon richten. Das ist ohne Widerspruch ein nicht von der Hand zu weisender Vorteil des Rollenspieles auf dem sich viele RPG-Produkte seit Jahrzehnten stützen und der zumindest aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten lohnend ist, denn Qualitätskontrolle kostet Zeit und Geld.

Was der Rollenspielentwickler aber tun kann, ist, mit Hilfe der Regeln die willkürlichen Entscheidungen zumindest so zu lenken, dass sie für Außenstehende nachvollziehbar werden und das RPG damit allgemein zugänglicher zu machen. Bietet man zur Bewertung eines ungeplanten Zufallsereignisses zum Beispiel eine Wertespanne von 1 bis 100 an, dann kann es eine Vielzahl an Missverständnissen bis hin zum Streit darüber geben, ob nun eher 56 oder 57 das bessere Ergebnis sei. Beträgt die Wertespanne aber nur noch 1 bis 5, ist auch die Anzahl der möglichen Missverständnisse um das Zwanzigfache reduziert und gleichzeitig steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich die willkürliche Entscheidung in zwei sich gleichenden Ereignissen wiederholt. Nachvollziehbarkeit.
Der Nachteil an dieser Lenkung ist, dass feine, situative Unterschiede verloren gehen und damit wiederum Spielfreiheit. Und mit Spielfreiheit meine ich nun nicht die oben verdrehte Rampensau-Definition, sondern dass invidiuelle Entscheidungen individuelle Konsequenzen nach sich ziehen. Habe ich keine Möglichkeit diese Unterschiede über grobe Regeln darzustellen, dann geht die Relevanz der Entscheidung verloren und damit die Spielfreiheit (mit anderen Worten: Es ist dann egal, was man tut).

Diesen Zwiespalt zwischen Spielfreiheit (Darstellen von Unterschieden) und Nachvollziehbarkeit (Warum entscheided sich jemand so, wie er es tut?) ist der Wunde Punkt, auf den der Rollenspielentwickler sein Augenmerk legen sollte, wenn er die Unvorhersagbarkeit des Rollenspieles als naturgegeben hinnimmt. Gleichzeitig gewinnen auch Nicht-Rollenspieler schnell Einblick in die Funktionen des Spieles, die nicht zu vergleichen sind mit den Entscheidungen einer seit 10 Jahren dahinsiechenden und sich selbst sozialisierenden Rollenspielrunde, deren unausgesprochene Vereinbarungen für andere nicht mehr nachzuvollziehen sind.

Das ist nun wirklich eine Mammutaufgabe, aber zumindest ein Feld, auf dem es noch viel zu bestellen gibt und auf dem sich noch nicht alles um sich selbst dreht und sich gegenseitig auf die Schulter klopft.

zur Diskussion ins RSP-Blogs-Forum
http://forum.rsp-blogs.de/diskussion-und-kommentare/was-kann-rollenspiel/msg11243/#msg11243

3 Kommentare:

  1. Ich halte deine Sicht für zu hart: Ja, im Rollenspiel kannst du alles erleben, egal ob das jemand geplant hat oder nicht. Aber in 19 von 20 Fällen bewegst du dich auf bekannten Pfaden. Das Gefühl von Freiheit stammt daher, dass du von Zeit zu Zeit Dinge tust, die nirgendwo sonst möglich sind, aber nicht unbedingt daher, dass du das die ganze Zeit machst.

    Die SL mag zwar ständig Wurfmodifikatoren improvisieren *können*, aber die meiste Zeit hält sie sich doch an die Vorgaben aus dem Regelwerk - und weicht nur dann von denen ab, wenn die Situation aus dem definierten Bereich ausbricht, oder wenn die Regeln offensichtlich unsinnige Ergebnisse bringen.

    Insofern können Rollenspieldesigner sehr wohl Einfluss auf das Spiel nehmen: Wenn sie sicherstellen, dass alle in den Regeln definierten Situationen mit der in der Welt dargestellten Fiktion übereinstimmen, muss die SL nur improvisieren, wenn sich die Charaktere außerhalb des geregelten Bereiches bewegen - und kann dann außerdem die Ad-Hoc-Regeln direkt von existierenden Regeln ableiten.

    Insofern stimme ich deiner Identifikation des Problems teilweise zu: Dieser Zwiespalt existiert. Regeln, die der angestrebten Fiktion widersprechen, machen ihn allerdings größer, ohne einen Nutzen zu bringen. Das heißt, Rollenspielentwickler haben die Verantwortung, der Runde gute Werkzeuge zum Abbilden der Fiktion an die Hand zu geben.

    Das macht es dann auch einfacher, sich einig zu werden und nett zueinander zu sein. Denn das Regelwerk ist eine klar definierte Grundlage, für die sich alle gemeinsam entschieden haben: Bei allem, das von den Regeln auf passende Art abgedeckt ist, gibt es keine Notwendigkeit, sich nochmal zusätzlich zu einigen.

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    1. PS: Allerdings haben Regeln den Zwiespalt, einfach zu sein, so dass die Runde leicht einsteigen und sie vollständig verstehen kann (Nachvollziehbarkeit), gleichzeitig aber eine passende Abbildung von manchmal komplexerer Fiktion zu bieten: Das Regelwerk muss komplex genug sein, um die Fiktion abzubilden, gleichzeitig aber einfach genug, damit seine Anwendung auch für Neulinge flüssig von der Hand geht.

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    2. Ja, das ist genau der Punkt.

      Und zu deinem ersten Kommentar:
      Wenn ich das richtig verstehe, bevorzugst du Regeln, die explizit auf bestimmte Situation angepasst sind, dass man "zumindest schonmal nicht mehr über die Situationen diskutieren muss".

      Gut, aber es geht hier ja um alle anderen Situationen. Da hat es sicher schon jeder Mal erlebt, dass die Anpassungen des SLs hart angefochten werden, schließlich ist der auch nur ein Mensch. m. E. sollte es selbstverständlich sein, ihm den Job so einfach wie möglich zu machen

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