Sonntag, 3. November 2013

SchildWacht - Der Ruf aus der Vergangenheit

Kürzlich las ich eine konstruktive Kritik des Users mutralisk auf RPGnosis zum klassischen Explorationsrollenspiel SchildWacht (SchW), danke dafür. Und nun fühle ich mich ein wenig missverstanden. Daher an dieser Stelle ein wenig zu den Ideen und Konzepten von SchW. Dafür nutze ich die Passagen des Vorwortes.


 Aus dem Vorwort: Schildwacht ist ein Ruf aus der Vergangenheit!

Ich schrieb SchW mit der Unterstützung zweier Spielrunden nicht als modernes, zeitgemäßes Rollenspiel, wie es vielleicht Triakonta des geschätzen Blognachbarn RPGnosis sein wird. SchW ist reines Retro, Feldstudie und vielmehr als ein Rollenspiel geschrieben, dass ich mir so in den 90igern gewünscht hätte, als ich es brauchte. Ein Rollenspiel, was es zu jener Zeit meines Erachtens schon hätte geben können - wonach ich gesucht habe. Denn vielen Rollenspielen bis heute fehlte etwas, nämlich

1. eine nutzbare Skalierbarkeit der Zahlenwerte, das Fundament, um eine Spielweltrealität abbilden zu können.
2. damals, und leider Gottes auch noch in vielen RPGs heute, fehlte zudem eine klare, widerspruchsfreie Regelsprache, wie man sie von D&D3 gewohnt ist.
3. zudem eine Gleichwertigkeit der Charakterkonzepte. Die Fertigkeiten in SchW sind so ausgelegt, dass viele Charakterkonzepte sich gleichermaßen am Fortgang des Abenteuers beteiligen können. Mit jeder Fertigkeit kann man etwas spielmechanisch Sinnvolles anstellen. Kampf wird nicht mehr in diesem Maße bevorzugt (auch, wenn es noch traditionell eine große Rolle spielt).

Das sind auch die drei Eckpfeiler von Schildwacht.

Es sähe ganz anders aus, wenn es nach heutigen Bedürfnissen geschrieben worden wäre und muss demnach mit den Rollenspielen, mit denen es sich messen will, verglichen werden. Selbst als Spielleiter einer der beiden Testrunden habe ich heutzutage so meine Probleme mit der Komplexität und Langsamkeit, für die mir eigentlich die Zeit fehlt. Eigentlich müsste ich heutzutage etwas ganz Anderes spielen.
SchW nutzt zwar moderne Regelversatzstücke, die sich im Laufe der letzten Jahre eingebürgert haben, aber genauso Elemente, die man schon vor 30 Jahren kannte und sich bewährten. Ausgewählt sind diese nicht (nur) nach persönlichem Geschmack ( wie der W12, der W10 wäre objektiv sicher besser gewesen) sondern vor allem im Hinblick darauf, ob sie eine glaubwürdige Spielwelt wiedergeben können, die bodenständige Fantasy-Mittelalter sein will, in der Spielercharaktere erst einmal nur Personen wie jede Anderen sind. 

Aus dem Vorwort: "Erfahrene Rollenspieler werden wenig Neues darin finden"

SchW ist als umfängliches Nachschlagewerk konzipiert und ist kein selbstständiges Spiel, dass der Spielrunde zum Beispiel sagt "geht in den Dungeon und haut Monster um" oder in irgendeiner Weise geplante Ergebnisse produziert. Die Spielrunde soll ihren Weg finden, ihre Spielwelt frei entdecken und bei offenen Entscheidungen in die Regeln schauen können, um eine Lösung zu finden, die die angetroffene Spielweltsituation darstellen kann. Allerdings ist SchW für das, was es leistet und sein will, in keiner Weise schwergewichtig (gerade einmal 100 DinA4 Seiten, inkl. Tabellen und Zeichnungen).
SchW ist kein sogenanntes universelles Rollenspiel. Es kann "nur" dieses oben genannte, bodenständige Fantasy-Genre wiedergeben und ist ferner nur bedingt modular, versucht aber dementsprechend vollständig für den angestrebten Spielstil zu sein. Wenn es so wirkt, dass etwas "fehlt" (z.b. Massenkampfregeln), dann haben wir das damals auch nicht gebraucht oder gespielt. 
Zu diesem Zwecke ist es aber von immenser Bedeutung, dass man als Spielrunde bereits weiß, was man tut, um sich darin nicht zu verlieren. Einem Rollenspielanfänger kann man SchildWacht meines Erachtens ohne Einführung nicht an die Hand geben (trotz eines Kapitels zum Thema Spielrundenabsprachen).

Aus dem Vorwort: "Wie die Spielwelt, so können die Mitspieler auch die Spielregeln erst nach und nach entdecken." 

Dieser gemächlichere Spielablauf ("wieviel Abenteuer schafft man in gegebener Zeit?") ist absolut gewollt. SchW ist ein gemütliches Rollenspiel zum Abtauchen und Reinfuchsen, nicht für One-Shots und Kurzkampagnen geeignet und spiegelt damit die Spielweise wieder, mit der ich in den 90igern eingestiegen bin. Die Spielrunde wird vielmehr mit dem Spielsystem verwachsen und eine Virtuosität und Langzeitmotivation entwickeln, die in schnelllebigeren Rollenspielen unzeitgemäß wirkt. Dementsprechend ist der Spielstil natürlich sehr persönlich und sicher nicht massentauglich. Meinem Eindruck nach versuchten sich allerdings viele Spielrunden, die mit den komplexen Regelwerken eingestiegen sind, in einer vergleichbaren Spielweise, die keinen Platz ließ für Zweitsysteme.  

 Aus dem Vorwort: "Der fiktive Held ist fur den Spieler Auge, Ohr und Arm."

SchW ist in keiner Weise "drama-" oder "geschichtenorientiert". Die Spielrunde hat keine Garantie, dass sie bei reiner Ausführung einen spannenden Spielabend vorgesetzt bekommt. Es geht um Eigenverantwortung. Die SchW-Regeln versuchen nur wiederzugeben, was die Spielweltsituation vorgibt, nicht andersherum. Die Spielwelt mit all ihren Konflikten wirkt somit in ihrer Eigendynamik und ihrem Widerstand unabhängig, unkontrollierbar und damit lebendig. Dementsprechend kann der Spieler ausschließlich über seinen Spielcharakter darauf einwirken, aber mit ihr nur wechselwirken und sie nicht bezwingen. Seine Spielentscheidungen sind entgültiger und bedeutsamer, da er sich die gewünschten Effekte nicht einfach "herbeierzählen" kann. Der Spieler kann über die Regeln daher keine Gegenstände oder Plotelemente erfinden oder anderweitig Entscheidungen rückgängig machen.
Er kann dies zusammen mit dem nächsten Spieltermin, der nächsten Pizzabestellung und anderen Ideen freilich in jedem persönlichen Dialog mit seinen Mitspielern aushandeln – und er benötigt dafür nicht einmal Schicksalspunkte!

Wie auch mutralisk bemerkte, spielt also "Simulation" - im Sinne der Darstellung einer Spielwelt durch Regeln - eine sehr große Rolle, es geht um das Erleben einer Spielwelt, nicht um das Steuern einer Geschichte. Allerdings ist die Annahme "je mehr, desto besser" falsch. Denn viele Dinge lassen sich implizit durch Spielregeln darstellen, ohne sie konkret mit einem Mechanismus zu versehen, in manchen Fällen bringt sogar der Verzicht auf eine Verregelung einen Gewinn an Simulation. So wird man keine Kampfregel für sogenannte Trefferzonen finden oder solche, welche die Blickrichtung der Spielfigur im Nahkampf festhält, da SchW den Kampf als einen dynamischen Schlagabtausch versteht, der sich nicht in einem rundenhaften Hin-und-Her darstellen lässt. Aus diesem Grunde ist es auch möglich, selbst als Verteidiger den Angreifer unter Druck zu setzen.

Vieles in SchildWacht ist noch nicht optimal gelöst, viele Dinge gehen noch nicht flüssig von der Hand. Das Probensystem ist in manchen Situationen noch ein Graus. Monster- und Zauberlisten sind noch nicht vollständig, viele Einzelwerte werden noch ausbalanciert, aber auch dies werden wir in den Griff bekommen. Das aktuelle Update ist seit längerem aufgrund von Real-Life in Arbeit und ich hoffe, die Version 1.0 (und damit den Abschluss der vorläufigen Entwicklung) bis zum Frühjahr 2014 über die Bühne zu bringen.

Ich bin immer gründlich und hartnäckig und mit diesem Rollenspiel werde ich die Aufholjagd gewinnen, die Mitte der Neunziger begann, die mich durch Abgründe vieler anderer, komplexer Regelsysteme geführt hat, ebenso wie durch jene mit gänzlich anderen Spielansätzen. Ich wünschte, ich hätte mir die Arbeit ersparen können, aber ich kann das Kapitel "Klassisches Rollenspiel" mit SchildWacht auch abschließen und kann mich auf einen Evolutionsprung freuen, welcher auch das Genre des klassischen Rollenspiels trotz goldener Regeln, ewiggestriger Handwedler oder schwammiger Erzählonkel und liebloser Editionsfortsetzungen unumgänglich in die Gegenwart holen wird.
SchW ist hierbei nicht der Endpunkt, sondern ein Anfang, den es nie gegeben hat.

So viel aus dem Nähkästchen der SchildWacht-Entwicklung. Sofern noch Fragen offen sind, können sie gerne an diesem Ort gestellt werden. In jedem Falle empfehle ich zuvor mal einen Blick in das Vorwort sowie Kapitel 1. "Vorbereitung" zu werfen.

Das Update 0.9.6.5 wird in den nächsten 2 Wochen Online gehen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen