Aus gegebenen Anlass etwas zur Entscheidungsfindung für das eigene Rollenspiel für meine Mitspieler. Und Andere.
Ich spiele gerne lange und ausgiebige Kampagnen, keine Schnellschüsse. Viele andere wollen das auch, finden aber kein Zuhause.
Viel Zeit habe ich investiert, um herauszufinden was ich auf welche Weise spielen will, also in welchem Spielrahmen. Der Rahmen baut sich auf aus dem Habitus der Spielwelt und der Mechanik derselben und der Runde (rasant, düster, komödiantisch, kampforientiert, komplex, einfach usw.), sowie dem entsprechenden Regelwerk. Aber wirklich trennen kann man das nicht und um Definitionen soll es auch gar nicht gehen. Zu wissen was man will erleichtert die Rundensuche und die Absprachen ungemein. Und es spart Zeit und Mißverständnisse aber am Wichtigsten: Es erspart selbstverschuldete Enttäuschungen.
Dies sollen nun keine Hinweise dafür sein, was einen guten Rahmen ausmacht, sondern Ratschläge, auf welche Dinge man bei der Entscheidungsfindung achten sollte. Leider stelle ich regelmäßig fest, daß viele Spieler diese Frage (“Was will ich?„) nicht ernst nehmen, ja manchmal nicht mal kennen. Manche wissen einfach nicht wie sie sie beantworten sollen. Manchen ist es auch einfach nur zu lästig sie zu beantworten, weil das ja viel zu verkopft und theoretisch sei.
Blödsinn! Eine Erfindung der Theorie ist das niemals gewesen. Vielmehr stellen Rollenspiele seit jeher diese Frage als Eingangsvoraussetzung an den Spieler sie überhaupt spielen zu können, so wie sie voraussetzen, daß man ihren Würfelmechanismus kennt um ihn zu nutzen. Rollenspiel ist nun mal ein Spiel der Entscheidungen. Was willst du heute sein? - Ist die Philosophie hinter Rollenspiel!
Natürlich gibt es viele Spieler, die dann trotzdem spielen, ohne die Frage beantworten zu können. Ich vermute richtig glücklich kann man so nicht werden. Man wechselt ständig die Runden und Mitspieler und irrt herum ohne zu ahnen, daß man selber das Problem ist und nicht der Spielrahmen, den man auswählt. Oder man vergräbt sich in dem was man hat und krallt sich daran fest (“so ist Rollenspiel eben, wir hatten ja sonst nix„), bis man selber der Meinung ist, man hätte keine bessere Wahl treffen können. Man kann natürlich auch einen Glücksgriff landen aber wer will sich schon darauf verlassen?
Dieselbe Fragestellung gilt nebenbei auch für die Wahl des eigenen Charakters, man kann die Ratschläge also einfach entsprechend umdenken. Schlussendlich muss ein Spielrahmen so sein wie ein Lieblingscharakter.
1. Schau dem geschenkten Gaul ins Maul!
Zur Entscheidungsfindung gehört mehr als sich nur eine Kleinigkeit auszuwählen, die man in dem Moment gerade spassig findet und darauf fortan sein Hobby stützt. Auf einer meiner “Was sollen wir spielen?„ -Fragen bekam ich als Antwort: “Ich möchte ingame mit Maschinen- gewehren ballern„. Gut, dagegen ist nichts einzuwenden, mir macht das auch Spass.
Es ist trozdem keine Antwort.
Spielrahmen bestehen aus viel mehr als nur einzelnen Tätigkeiten. Es ist wichtig sich auch Gedanken um das Umfeld der Vorzüge zu machen, das man eventuell nicht so sehr mag, dem man aber immer wieder begegnet, weil es mitunter dazu gehört (aufs Beispiel bezogen: Wie geht man mit Munition um? Wie zugänglich sind Waffen? In welcher Welt soll das überhaupt passieren?!). Darauf muss man sich einstellen. Welche speziellen Vorzüge ein Spieler nun alle haben kann, kann ich hier nicht durcharbeiten, da die Liste endlos ist. Es genügt sich zunächst klar zu machen, daß ein Spielrahmen niemals nur aus Vorzügen, schon gar nicht aus einzelnen, ganz speziellen besteht.
Als grobe Orientierungen könnte man hingegen nennen:
Spielwelt:
Welche Inhalte hat meine Spielwelt? Ist sie irdisch geprägt, spielt sie in der Zukunft? Gibt es Magie, Ninjas oder Piraten? Man entscheidet sich global wie die Spielwelt aufgbaut ist. Wer irdisches Mittelalter spielen will, ist nun mal eingeschränkt in den Einzelheiten. Gleichzeitig schliesst man viele Dinge aus (Maschinengewehre gehören nun mal nicht ins irdische Mittelalter). Man kann aber auch umgekehrt bei kleinen Dingen beginnen und darum herum Dinge gestalten, die einem Gefallen. Meistens wird es dann auch bunter (was man auch bedenken sollte). Hier ist es eben wichtig sich die Dinge durch den Kopf gehen zu lassen die man nicht im Blick hat, die aber am Rande alle dazu gehören.
Detailgrad:
Hat die Spielwelt eine Historie? Wie genau behandeln die Regeln Charakteraktionen? Werden Figuren benutzt oder läuft es erzählerisch? Werden Proviantrationen und Munition abgestrichen? Ist jede Stadt mit ihren Bewohnern beschrieben? Auch hier muss man keine Pauschalaussagen treffen. Man kann sich individuell entscheiden, was man genau und was man nur grob behandelt haben will. Ein hoher Detailgrad lässt wenig Freiheit, dafür viel “Eintauchpotential„, viele Regeln verlangsamen das Spiel, laden aber zum Basteln ein. Viele Details bedeuten viel Zeitaufwand, dafür wenig Absprache usw.
Stimmung:
Wie tödlich sind Wunden? Werden Lagerfeuergespräche und Tavernenbesuche ausgespielt? Ist bestelltes Drama oder Ergebnisoffenheit wichtiger? Wie stark sind die Charaktere im Vergleich zur Bevölkerung? Gibt es nur Gut und Böse oder Grauzonen, was bedeutet das für die Charaktere? Wie unterstützen die Regeln die einzelnen Aspekte? Dieser Punkt umfasst sehr viel und bei diesem werden die meisten Dinge vergessen sie festzulegen. Es gibt keine Pauschalaussagen wie “Spielen wir mal Piratenrollenspiel„. Es gibt unzählige Variationen in grundsätzlich derselben Spielwelt. Allein schon die Stimmung kann darüber entscheiden ob ein und dieselbe Spiewelt beliebt oder unbeliebt ist.
Tätigkeiten:
Was tun die Charaktere und die Spieler direkt? Kriechen sie in Verliesen herum und kämpfen viel? Führen sie Konzerne und verhandeln? Sind Charakterbeziehungen wichtig und/oder Ressourcenverwaltung (was muss man handeln um Gewinn zu machen? Wie lange dauert es um das eigene Raumschiff abzubezahlen?)? Hier vertieft man sich häufig in zu wenig Tätigkeiten (siehe Maschinengewehrbeispiel) oder man verschätzt sich in manche schwer: trockene Ressourcenverwaltung kann z.b. indirekt zu Spannung führen wenn z.b. aus einem Konvoi mit Arzneimittel für ein Flüchtlingslager die Hälfte gestohlen wird und die Spieler nun entscheiden müssen welche Leute überhaupt etwas bekommen; Wenn man in der Wildnis Proviant verliert kann man verhungern usw.
Weltmechanismen:
Was hält die Welt am Leben? Wie wird Magie kontrolliert? Ist das Wirtschaftssystem stabil, ist das überhaupt wichtig? Gibt es überhaupt immanente Mechanismen, die zwangsläufig zu Abenteuern führen (siehe z.b. Verliesökonomie)? Wie stark ist das alles mit dem Regelwerk vertaut und dient dies den Charakternischen oder der Weltsimulation? Es geht hierbei nicht allein (aber auch) um Realismus oder besser, Authentizität, sondern auch, ob die Spielwelt eine Maschine besitzt, die Spielinhalte generiert. Gibt es Konflikte, in die Charaktere hineingezogen werden können? Welchen Grenzen und Spielräume unterliegen die Mächte der Spielwelt? Oder wenn Spieler handeln wollen, können sie überhaupt Gewinn machen? Die drei Robotergesetze von Asimov sind z.b. ein Mechanismus, den er erdachte um in seinen Welten mit Hilfe der Paradoxien Konflikte mit Maschinen zu generieren.
2. Wähle den Spielrahmen als wäre es dein letzter!
Welchen Spielrahmen man wählt sollte gut überlegt sein, will man ihn langfristig betreiben. Denn die Termine für Spielabende sind arg begrenzt, mehr als zwei regelmäßige Runden betreiben zu können ist selten. Man hat also nur 1-2 Aussichten auf einen Treffer. Zudem stellt sich erst nach ungefähr ein bis wenigen Dutzend Spielabenden das Spielgefühl ein, daß einem den Rest des Weges begleiten wird. Wechselt man erst dann, vergeudet man bei jedem Wechsel Unmengen an Zeit, wechselt man hingegen zu früh, bleibt man ewig in der ausklingenden Euphoriephase hängen und bewertet das Spielerlebnis allein an ihr, und zwar wegen der nachlassenden Motivation meistens schlecht; und man landet in einer Schleife. Viele Spielrunden habe ich mit Spielern begonnen, die immer genau dann absprangen, sobald die Erfahrung des Neuen ausklang und sie der Meinung waren der Rahmen hätte sich nun ausgespielt, trotz aller Beteuerungen daß nach der Euphoriephase sich u.U. eine langfristige Vertrautheit einstellt, das eigentliche, viele tiefere Spielgefühl.
Um das alles zu vermeiden sollte man sich einfach die Frage stellen:
Kann ich mit diesem Spielrahmen die nächsten Jahre meines Hobbies verbringen?
Es ist nicht verkehrt sich wirklich Zeit dafür zu nehmen und alle Möglichkeiten im Geiste durchzuspielen bevor man (entgültig) antwortet. Macht es mir auch in 5 Jahren noch Spass den zehntausendsten Ork im Verlies umzuhauen? Ich kann diese Frage mittlerweile beantworten.
3. Stutz das Gestrüpp zurecht!
Im Gegensatz zur Sorgfalt, die man an den Tag legt, um sich für einen Rahmen zu entscheiden ist es besser zu Anfang die grobe Kelle walten zu lassen. Es gibt gefühlt unendlich viele Möglichkeiten Rollenspiel zu spielen. Bei umso mehr Spielrahmen man sich sicher ist, daß man sie nicht spielen will, desto leichter fällt die letzte Wahl. Vor allem, je weniger Spielrahmen man präferiert, desto eher hat man die Möglichkeit sie auch zu spielen. Wer 100 verschiedene Dinge zwingend nach Herzblut spielen will, wird sich notgedrungen von ca. 90 davon verabschieden können (siehe oben, Spieltermine). Und unerfüllte Wünsche sind kein guter Motivationsantrieb.
Mit anderen Worten, man fängt bei den einfachen Fragen an und arbeitet sich herunter zum Detail.
Dies sind eher schnelle Entscheidungen und es macht den Kopf frei Ballast abzuwerfen, daher sollte man sich auch nicht scheuen zur Not Teilinhalte wieder an Bord zu holen. Zu schnell ist ein Ast abgeschnitten. Wer sagt, er mag keine Rätsel, findet z.b. unter Umständen dann doch wieder gefallen an Detektivgeschichten, wer Erzählrollenspiele nicht haben will, spielt u.U. doch ein ganz bestimmtes ganz gerne.
Abgestossene Spielinhalte sind vor allem die schnellste Möglichkeit um herauszufinden, ob man mit einer Spielrunde gut zurecht kommt. Denn die Inhalte, die man auf keinen Fall spielen will kristallisieren sich viel schneller heraus als die, mit denen man lange Zeit seines Hobbies verbringen will. Man sollte sich nochmal vor Augen führen, daß die Entscheidungsfindung für einen Rahmen keine Hopplahoppentscheidung ist und man eventuell währenddessen bereits Spielrunden und Rollenspiele durchläuft, also ist es gut schnell erste Einschränkungen festzulegen, um die Entscheidung nicht unnötig zu verzögern, in dem man erstmal alles unreflektiert ausprobiert. Im Allgemeinen geht Probieren zwar über Studieren, jedoch zwingt die grundsätzlich unendliche Variation im Rollenspiel zu Voraburteilen.
Beim Durchdenken der einzelnen Möglichkeiten sollte man versuchen sich auch vorzustellen WIE es ist, die eigenen Vorzüge auszuspielen, nicht nur Was. In der Regel hat man schon sehr spezifische, zuverlässige Bilder im Kopf, wie es ist sein Lieblingsrollenspiel in der Lieblingswelt zu spielen, selbst wenn man das noch nicht getan hat, man muss diese Bilder nur herauslocken. Die Gefahr ist dabei aber zu hohe Erwartungen zu entwickeln, hier hilft Erfahrung mit seinen Mitspielern um zu wissen, wie die Erwartungen sich im Kontakt mit echten Menschen bewähren.
Man kann die verschiedensten Einzelaspekte für den Spielgeschmack kombinieren. Vielleicht mag man einfach kein realistisches Mittelalter oder rasante Science-Fiction. Deswegen sollte man das aber nicht über Bord werfen. Bei rasantem Mittelalter und realistischer Science-Fiction kann es sich nämlich komplett anders verhalten. Besonders hervorzuheben sind an dieser Stelle Genremischungen, die in Summe häufig mehr sind als ihre Einzelteile. Ein Aspekt ist nicht immer das, was er zu sein scheint, also sollte man alle Möglichkeiten im Kopf durchspielen.
Am Ende steht natürlich das gemeinsame Abgleichen der Vorlieben mit den anderen Mitspielern, doch man kann eine Menge Vorarbeit leisten, wenn man sich die Zeit dafür nimmt.
Sich einen Spielrahmen zu wählen ist mental genau so, als würde man sich eine neue Wohnung nehmen: Man wird lange Zeit damit verbringen, muss sich wohlfühlen und muss die Entwicklung bereits Jahre im Vorraus absehen können.
Wer meint Vorbereitung ist immer nur das, was die anderen tun und Rollenspiel nur das, was am Spielabend passiert, wird auf lange Sicht in seinem Hobby nicht aufgehen können.