Es ist erstaunlich, wie wenig man zu berichten hat, wenn man kreativ im Hobby ist, anstatt nur darüber zu diskutieren. Ich werkele nun schon seit einigen Monaten an einem einfachen, klassischen Regelsystem (genaugenommen meinem zweiten) für meine Bedürfnisse im Rollenspiel und zeichne Skizzen dafür, um es aufzuhübschen, denn nur der erste Eindruck zählt. Das kleine Bild daraus weist ein wenig in Richtung des Beitragsthemas.
Kurzum, alles Dinge, die für den Aussenstehenden weniger interessant sind.
Aber das ist nicht nur hilfreich gegen die Unzufriedenheit mit dem Hobby, sondern schafft immer wieder tiefe Einblicke in die Vorgänge, Probleme und Stolperfallen und schärft den Blick auf andere Rollenspiele, selbst, wenn das Eigene dann gar nicht gespielt oder fertig wird.Und das ist dann wieder interessant.
Denn was ist überhaupt eine Rollenspielregel? Eine Rollenspielregel ist ein Verfahren, das ich auf andere, ähnliche, unbekannte Situationen übertragen kann. Das klingt banal, scheint aber nicht allgemein verinnerlicht zu sein. Wenn ich vor der Frage stehe, wie ich den Schutzwert von Rüstungen bestimmen kann und ich dafür keine Regel im Grundregelwerk finde, mir ein Rollenspieler dann sagt, die stünden doch schliesslich bei den Ausrüstungstabellen, dann ist das keine Regel. Das sind Zahlenangaben. Mit anderen Worten, es werden also einfach Beispiele angegeben, anhand deren der Spielleiter willkürlich eine vergleichbare Situation abwägen soll. Eine Spielregel wäre es, wenn ich für jede Art von Material und Dicke seinen Schutzwert gegen bestimmte Einwirkungen ableiten kann. Aber welches Rollenspiel hat das schon? Und braucht man das?
Dem Zugrunde liegt das uralte Dilemma zwischen Plausibilität und Spielbarkeit. Das ist eine Designsackgasse, da die Aspekte gegensätzlich sind. GURPS wäre ein Beispiel mit Schwerpunkt auf ersterem, D&D eines mit Schwerpunkt auf letzterem. Zwei Qualitäten, die ein Rollenspielentwickler so hoch ansetzen möchte wie möglich und doch nie vollständig erreichen kann. Spielbarkeit aus dem einfachen Grund, weil das Abhandeln von Regeln dem Fortführen des Abenteuers im Wege steht, Plausibilität, weil es ohnehin die einzige Existenzberechtigung von Rollenspielregeln ist. Natürlich können Rollenspielregeln auch dramatisch, spannend oder rein spielmechanisch interessant sein, mal sind es Charakterregeln, die eine Spielfigur steuern, mal Hintergrundregeln, mit denen man das Schicksal der Spielwelt lenkt, aber schlussendlich versuchen sie immer das Geschehen in eben dieser Spielwelt darzustellen. Darum geht es schliesslich im Rollenspiel.
Nun wird mit diesem Dilemma meist konfliktscheu umgegangen. Wie alle Menschen machen es sich auch Rollenspielentwickler am liebsten einfach, orientieren sich an den Standards, Traditionen oder notgedrungen an ihrem eigenen Kompetenzhorizont.
Es werden dann Spielregeln so entworfen, wo sie bei den Vorbildern immer gleich entworfen werden und es werden dort nur Zahlenangaben gemacht, wo das eigene Entwicklerwissen an die Grenzen stößt dieses Dilemma auf repoduzierbare Weise, eben mit einer Spielregel, zu lösen.
Ich kenne zum Beispiel nur vereinzelte Rollenspiele, die Regeln für Wurfweiten von Objekten haben, abhängig von Stärke des Werfers und Gewicht des Objektes, was ein sehr geringer Plausibilitätsanspruch ist. Aber ich kenne über hundert Rollenspiele, die mir sagen, wieviel Schaden mein Charakter mit einem Hammer mehr anrichtet, wenn er stärker ist als andere.
Warum ist das so? Rollenspielentwickler geben immer dann gerne auf, wenn es zu kompliziert wird. Das Werfen von Gegenständen ist so ein Fall (und wir reden hier noch von einfacher Mechanik!). Das Aufschlagen eines schweren Gegenstandes hingegen lässt sich relativ leicht abstrahieren.
Warum nun ausgerechnet das Wurfbeispiel? Ein Rollenspielapologet würde nun sagen, daß ein Rollenspiel das nicht alles können muss. Man könne auch mal Fünfe gerade sein lassen. Mehr als die Tradition hat dieser dann als Argument allerdings meist nicht zu bieten. Und die Frage steht im Raum, wozu ich dann das Rollenspiel brauche, wenn es mich im Stich lässt.
Dabei hat er nicht vollkommen Unrecht. Rollenspielregeln müssen nicht alles leisten können. Es genügt, wenn alle gängigen Fälle, die im Spielbetrieb vorkommen können, abgedeckt werden. Dazu sollten natürlich die grundlegendsten Tätigkeiten gehören, die eine Spielfigur durchführen kann. Das Werfen von Objekten wäre nebenbei so ein Fall.
Es gibt nun mehrere Möglichkeiten als Rollenspieler, mit diesem Scheitern umzugehen. Man arrangiert sich mit dieser inkonsequenten Durchschnittskost aus mal einer Regel hier und mal einer Zahlenangabe dort. Das werden wohl die meisten Rollenspieler tun und sicher sind sie damit auch glücklich geworden. Es gibt sogar Rollenspieler, die das Dilemma Plausibilität gegen Spielbarkeit komplett auf den Schwerpunkt einer der Seiten auflösen. Aber wenn ich anmerke, was das dann noch mit Rollenspiel zu tun hat, gibt es ohnehin nur wieder Haue.
Die andere Möglichkeit ist, das Prinzip Willkür ins Extrem zu treiben. Das man also die Unfähigkeit zur Auflösung des Dilemmas auf alle Spielregeln ausweitet. Das Rollenspiel Risus - Risus kann man eigentlich nicht oft genug erwähnen - hat das mit sehr großem Erfolg getan. ALLES was ein Ereignis in der Spielwelt betrifft, muss dort vom Spielleiter willkürlich fesgelegt werden, da das Spiel nicht mehr anbietet als einen einfachen Würfelmechanismus. Ähnliches verlauten auch die Travellerspieler mit ihrem sehr einfach gestrickten Regelwerk. Plausibilitätsabwägung heisst das dort. Ob das nun eine Kapitulation vor der detaillierten Spielregel ist oder aus Überzeugung gemacht wird, sei mal dahingestellt. Ich persönlich kann keinen einzigen Nachteil an einer spielbaren Regel sehen, die gleichzeitig auch noch eine Grundplausibilität besitzt.
Aber die kann eben nicht jeder entwickeln.
Ich auch nicht.
Was bleibt, ist der Wunsch, daß sich auch das detaillierte Rollenspiel einmal weiterentwickelt und aus der Stagnation ausbricht, daß sich RICHTIGE Spieleentwickler und kluge Köpfe daran setzen, um auch schwierigere Zusammenhänge in spielbare Verfahren umzusetzen. Die sich der Herausforderung stellen, anstatt sich auf halbgarer Vorarbeit auszuruhen und die nächste 08/15 Sau durchs Dorf treiben. Vor aller Vereinfachung steht das Wissen um die wirklichen Zusammenhänge, nicht andersherum.
Aus dem Grunde kann ich mit den meisten Rollenspielen auch nichts anfangen, da sie für mich nur ein inkonsistenter Flickenteppich sind. Aber vielleicht sind diese Ansprüche auch zu hoch, manche Zusammenhänge lassen sich durch Regeln womöglich nicht lösen. Vielleicht ist Rollenspiel eher ein organischer Prozess, wie Sprache, in dem sich bewährte Methoden durchsetzen. Wenn ich jetzt auf meine eigenen "Spielregeln" schaue, ist da auch nur ein Flickenteppich aus Regeln und Beispielangaben, die die Lücken füllen, für die mir die Regeln fehlen. Es wird noch eine Weile dauern, bis ich mich damit arrangieren kann.
Der Thread im RSP-Blogs Forum
http://forum.rsp-blogs.de/index.php/topic,962.msg3983.html#msg3983
Richtigstellung:
Ich wurde darauf hingewiesen, daß sich eine Umgereimtheit eingeschlichen hat. Ich wollte nicht verstanden wissen, daß jede Rollenspielregel der Plausibilität dienen soll. Es gibt auch Regeln, die sich um den Spielverlauf am Tisch drehen und trotzdem ihre Existenzberechtigung haben, das sei auch niemandem genommen. Ich habe dort unbewusst die strikte Trennung vorausgesetzt, die ich zwischen Spielweltregeln und reinen "Metaregeln", die sich unter Anderem auf den Spieltisch beziehen, ziehe. Ich bezog mich allein auf erstere. Tur mit Leid, das Verwirrung aufkam.