Mittwoch, 31. August 2011

Designsackgasse Rollenspiel

... oder die Geschichte der arschfaulen Rollenspielentwickler

Es ist erstaunlich, wie wenig man zu berichten hat, wenn man kreativ im Hobby ist, anstatt nur darüber zu diskutieren. Ich werkele nun schon seit einigen Monaten an einem einfachen, klassischen Regelsystem (genaugenommen meinem zweiten) für meine Bedürfnisse im Rollenspiel und zeichne Skizzen dafür, um es aufzuhübschen, denn nur der erste Eindruck zählt. Das kleine Bild daraus weist ein wenig in Richtung des Beitragsthemas.
Kurzum, alles Dinge, die für den Aussenstehenden weniger interessant sind.
Aber das ist nicht nur hilfreich gegen die Unzufriedenheit mit dem Hobby, sondern schafft immer wieder tiefe Einblicke in die Vorgänge, Probleme und Stolperfallen und schärft den Blick auf andere Rollenspiele, selbst, wenn das Eigene dann gar nicht gespielt oder fertig wird.
Und das ist dann wieder interessant.

Denn was ist überhaupt eine Rollenspielregel? Eine Rollenspielregel ist ein Verfahren, das ich auf andere, ähnliche, unbekannte Situationen übertragen kann. Das klingt banal, scheint aber nicht allgemein verinnerlicht zu sein. Wenn ich vor der Frage stehe, wie ich den Schutzwert von Rüstungen bestimmen kann und ich dafür keine Regel im Grundregelwerk finde, mir ein Rollenspieler dann sagt, die stünden doch schliesslich bei den Ausrüstungstabellen, dann ist das keine Regel. Das sind Zahlenangaben. Mit anderen Worten, es werden also einfach Beispiele angegeben, anhand deren der Spielleiter willkürlich eine vergleichbare Situation abwägen soll. Eine Spielregel wäre es, wenn ich für jede Art von Material und Dicke seinen Schutzwert gegen bestimmte Einwirkungen ableiten kann. Aber welches Rollenspiel hat das schon? Und braucht man das?

Dem Zugrunde liegt das uralte Dilemma zwischen Plausibilität und Spielbarkeit. Das ist eine Designsackgasse, da die Aspekte gegensätzlich sind. GURPS wäre ein Beispiel mit Schwerpunkt auf ersterem, D&D eines mit Schwerpunkt auf letzterem. Zwei Qualitäten, die ein Rollenspielentwickler so hoch ansetzen möchte wie möglich und doch nie vollständig erreichen kann. Spielbarkeit aus dem einfachen Grund, weil das Abhandeln von Regeln dem Fortführen des Abenteuers im Wege steht, Plausibilität, weil es ohnehin die einzige Existenzberechtigung von Rollenspielregeln ist. Natürlich können Rollenspielregeln auch dramatisch, spannend oder rein spielmechanisch interessant sein, mal sind es Charakterregeln, die eine Spielfigur steuern, mal Hintergrundregeln, mit denen man das Schicksal der Spielwelt lenkt, aber schlussendlich versuchen sie immer das Geschehen in eben dieser Spielwelt darzustellen. Darum geht es schliesslich im Rollenspiel.
Nun wird mit diesem Dilemma meist konfliktscheu umgegangen. Wie alle Menschen machen es sich auch Rollenspielentwickler am liebsten einfach, orientieren sich an den Standards, Traditionen oder notgedrungen an ihrem eigenen Kompetenzhorizont.
Es werden dann Spielregeln so entworfen, wo sie bei den Vorbildern immer gleich entworfen werden und es werden dort nur Zahlenangaben gemacht, wo das eigene Entwicklerwissen an die Grenzen stößt dieses Dilemma auf repoduzierbare Weise, eben mit einer Spielregel, zu lösen.
Ich kenne zum Beispiel nur vereinzelte Rollenspiele, die Regeln für Wurfweiten von Objekten haben, abhängig von Stärke des Werfers und Gewicht des Objektes, was ein sehr geringer Plausibilitätsanspruch ist. Aber ich kenne über hundert Rollenspiele, die mir sagen, wieviel Schaden mein Charakter mit einem Hammer mehr anrichtet, wenn er stärker ist als andere.
Warum ist das so? Rollenspielentwickler geben immer dann gerne auf, wenn es zu kompliziert wird. Das Werfen von Gegenständen ist so ein Fall (und wir reden hier noch von einfacher Mechanik!). Das Aufschlagen eines schweren Gegenstandes hingegen lässt sich relativ leicht abstrahieren.
Warum nun ausgerechnet das Wurfbeispiel? Ein Rollenspielapologet würde nun sagen, daß ein Rollenspiel das nicht alles können muss. Man könne auch mal Fünfe gerade sein lassen. Mehr als die Tradition hat dieser dann als Argument allerdings meist nicht zu bieten. Und die Frage steht im Raum, wozu ich dann das Rollenspiel brauche, wenn es mich im Stich lässt.
Dabei hat er nicht vollkommen Unrecht. Rollenspielregeln müssen nicht alles leisten können. Es genügt, wenn alle gängigen Fälle, die im Spielbetrieb vorkommen können, abgedeckt werden. Dazu sollten natürlich die grundlegendsten Tätigkeiten gehören, die eine Spielfigur durchführen kann. Das Werfen von Objekten wäre nebenbei so ein Fall.

Es gibt nun mehrere Möglichkeiten als Rollenspieler, mit diesem Scheitern umzugehen. Man arrangiert sich mit dieser inkonsequenten Durchschnittskost aus mal einer Regel hier und mal einer Zahlenangabe dort. Das werden wohl die meisten Rollenspieler tun und sicher sind sie damit auch glücklich geworden. Es gibt sogar Rollenspieler, die das Dilemma Plausibilität gegen Spielbarkeit komplett auf den Schwerpunkt einer der Seiten auflösen. Aber wenn ich anmerke, was das dann noch mit Rollenspiel zu tun hat, gibt es ohnehin nur wieder Haue.
Die andere Möglichkeit ist, das Prinzip Willkür ins Extrem zu treiben. Das man also die Unfähigkeit zur Auflösung des Dilemmas auf alle Spielregeln ausweitet. Das Rollenspiel Risus - Risus kann man eigentlich nicht oft genug erwähnen - hat das mit sehr großem Erfolg getan. ALLES was ein Ereignis in der Spielwelt betrifft, muss dort vom Spielleiter willkürlich fesgelegt werden, da das Spiel nicht mehr anbietet als einen einfachen Würfelmechanismus. Ähnliches verlauten auch die Travellerspieler mit ihrem sehr einfach gestrickten Regelwerk. Plausibilitätsabwägung heisst das dort. Ob das nun eine Kapitulation vor der detaillierten Spielregel ist oder aus Überzeugung gemacht wird, sei mal dahingestellt. Ich persönlich kann keinen einzigen Nachteil an einer spielbaren Regel sehen, die gleichzeitig auch noch eine Grundplausibilität besitzt.
Aber die kann eben nicht jeder entwickeln.
Ich auch nicht.

Was bleibt, ist der Wunsch, daß sich auch das detaillierte Rollenspiel einmal weiterentwickelt und aus der Stagnation ausbricht, daß sich RICHTIGE Spieleentwickler und kluge Köpfe daran setzen, um auch schwierigere Zusammenhänge in spielbare Verfahren umzusetzen. Die sich der Herausforderung stellen, anstatt sich auf halbgarer Vorarbeit auszuruhen und die nächste 08/15 Sau durchs Dorf treiben. Vor aller Vereinfachung steht das Wissen um die wirklichen Zusammenhänge, nicht andersherum.
Aus dem Grunde kann ich mit den meisten Rollenspielen auch nichts anfangen, da sie für mich nur ein inkonsistenter Flickenteppich sind. Aber vielleicht sind diese Ansprüche auch zu hoch, manche Zusammenhänge lassen sich durch Regeln womöglich nicht lösen. Vielleicht ist Rollenspiel eher ein organischer Prozess, wie Sprache, in dem sich bewährte Methoden durchsetzen. Wenn ich jetzt auf meine eigenen "Spielregeln" schaue, ist da auch nur ein Flickenteppich aus Regeln und Beispielangaben, die die Lücken füllen, für die mir die Regeln fehlen. Es wird noch eine Weile dauern, bis ich mich damit arrangieren kann.

Der Thread im RSP-Blogs Forum
http://forum.rsp-blogs.de/index.php/topic,962.msg3983.html#msg3983


Richtigstellung:

Ich wurde darauf hingewiesen, daß sich eine Umgereimtheit eingeschlichen hat. Ich wollte nicht verstanden wissen, daß jede Rollenspielregel der Plausibilität dienen soll. Es gibt auch Regeln, die sich um den Spielverlauf am Tisch drehen und trotzdem ihre Existenzberechtigung haben, das sei auch niemandem genommen. Ich habe dort unbewusst die strikte Trennung vorausgesetzt, die ich zwischen Spielweltregeln und reinen "Metaregeln", die sich unter Anderem auf den Spieltisch beziehen, ziehe. Ich bezog mich allein auf erstere. Tur mit Leid, das Verwirrung aufkam.

Freitag, 12. August 2011

Super 8 - Eine Meinung

Ich machte hin und wieder auf aktuelle Kinoblockbuster aufmerksam, an denen mir persönlich etwas liegt, sei es, weil sie mich schwer enttäuschten oder weil sie meiner Meinung nach unterbewertet sind oder mir einfach nur gut gefallen.

Ich hatte mich diese Woche eher kurzfristig dazu entschlossen, doch noch Super 8 zu sehen, was in jedem Fall eine sehr gute Entscheidung gewesen ist, nachdem ich den Film über ein Jahr lang konsequent ignorierte und mich dementsprechend nicht informierte.
Zum Einen hätte die Prämisse des Films durch die Teaser (Zugunglück - Alien entkommt – Kinder - schnarch) langweiliger nicht sein können, zum Anderen nahm ich J.J. Abrams extrem übel, daß er nach dem, im Großen und Ganzen hervorragenden, Star Trek sich nicht sofort an eine Fortsetzung machte (damn you, Abrams!).
Aber im Angesicht dessen, was er hier abgeliefert hat, verzeihe ich ihm, habe doch selbst ich am Ende der Marketingkampagne auch endlich begriffen, daß er genau das tat, was ich wollte, nur noch mehr. Mehr Achtziger Kinoherrlichkeit, mit gemäßigtem Erzähltempo, tragenden, unterscheidbaren und liebenswürdigen Charakteren (nicht zu verwechseln mit tiefen Charakteren) und dieser fast greifbaren Aura von Hollywoodglamour, der so gut wie jedem der Kinoblockbuster der letzten 15 Jahre so völlig abgeht.

Den Filmplot durchzugehen macht bei so groß beworbenen Filmen eigentlich gar keinen Sinn, daher kurz. 1979: Eine Clique von Jungendlichen erlebt beim Hobbyfilmen ihres Zombiestreifens ein Zugunglück. Einem der Waggons entflieht eine mysteriöse Bedrohung, welches die nahe liegende Kleinstadt durch Entführungen in Aufruhr versetzt und die Air Force auf den Plan ruft. Doch Kleinstadtbewohner müssen auch diesmal wieder einmal feststellen, daß ihre eigenen Streitkräfte eher weniger "gut" und stattdessen wohl doch eher "schlecht" sind. Den Tag retten können nun nur noch die Kinder, die allein die Hintergründe der Ereignisse aufdecken können.
Dieser scheinbar sehr dominante Plot ist im Grunde jedoch nur der Aufhänger, um die Beziehung zwischen den Jugendlichen auszuleuchten und sich im Vorbeigehen vor sämtlichen großen Abenteuerfilmen der späten Siebziger und Achtziger zu verbeugen. Und das gelingt ihm auch in weiten Teilen der angenehmen Laufzeit.
Die Kinderdarsteller, die die meiste Screentime belegen, und ihre Chemie untereinander können hier ebenso überzeugen, wie die detailverliebte Ausstattung und die altmodische Bühnenbildausleuchtung. Man merkt im Grunde zu fast jeder Zeit, daß die Interaktion der Figuren hier im Vordergrund steht und diese auch wirklich stattfindet und nicht nur dem Drehbuch nach runtergespult wird. Man kann den Kindern minutenlang zuschauen, ohne das es langweilig wird und ohne, daß ein Riesenroboter durch das Bild läuft, um die Aufmerksamkeit hoch zu halten.
Fehlerlos ist der Film selbstredend nicht. Der Soundtrack fällt ein Stück zurück. Ich kann die unaufhörlichen Vergleiche mit John Williams nicht nachvollziehen. Ja, Giacchino hat versucht Williams zu huldigen, aber nein, es gelingt ihm nur in Ausnahmefällen (das sind die mit der Gänsehaut).
Die CGI Effekte wirken zum Teil albern und man sieht förmlich die billige Bluescreentapete, vor der die Schauspieler stehen. Und wer bei dem CGI- Zugunglück der Marke "Atombombenangriff" nicht ungläubig die Augen reibt und komplett aus der Filmwelt gerissen wird, der sitzt trotzdem im falschen Film. So eine Szene hat in einem Film, der sich in allen anderen Aspekten nicht die geringste Mühe gibt, etwas "Neues" zu machen, gar nichts verloren.
Ausserdem scheitert der Versuch, Super 8 gleichzeitig eine ernste und andererseits unbekümmerte Atmosphäre zu verschaffen. Die Vorbilder haben diesen Spagat eben häufig genau hinbekommen und zwar, weil sie wussten, was wann angebracht war. In Super 8 scheint dies aus dem Zufallsgenerator zu kommen. Natürlich, damals in den 80ern wurden Kinder auch durch von Ausserirdische gegrabene Tunnel gejagt, aber nur in den seltensten Fällen hätte eines davon, nachdem der Ausserirdische einen Nebencharakter gefressen hatte, so eine Szene mit "boah, krass" abgeschlossen. Mit dieser Tolpatschigkeit kann man in Super 8 aber rechnen. Es kommen einfach zu viele Menschen um, als das es mit der naiven Haltung der Hauptcharaktere an unpassenden Situationen noch ein glaubwürdiges Gesamtbild ergeben würde (geschweige denn ein Lustiges). Der Film ist sozusagen der Temple of Doom der Indiana Jones Filme und sogar Temple of Doom war sich bewusst, wann es an der Zeit ist, den Klamauk kurzfristig einmal stecken zu lassen.
Der Film erfindet buchstäblich rein gar nichts neu, weil er das ja auch gar nicht will. Das ist auf der einen Seite gut, wo er die guten Seiten des 80er Kinos imitiert und auf der anderen schlecht, wo er ihre Schwächen gleich mit kopiert, wie der sehr vorhersehbare Plot. Daran hätte man differenzierter gehen können, dann wäre sicher etwas ganz Großes, Neues, herausgekommen. So ist Super 8 eben "nur" eine (überfällige) Erinnerung oder ein Heranführen für jüngere Kinogänger.
Selten sehe ich über Schwachstellen so wohlwollend hinweg, wie in diesem Fall. Das finde ich deswegen wichtig, weil ich hoffe, daß noch viele Trittbrettfahrer folgen.

Der Film ist gut, wenn man sich auf die Abstriche einlässt. Viele Dinge kann man ohnehin nur wert schätzen, wenn man die alten Vorbilder kennt, aber so ist das eben mit Nostalgie. Lustig fand ich die ein oder anderen Easter Eggs, die man im Hintergrund der Kulissen entdecken konnte. Und wo sonst wird einem in einem Film erklärt, wie man Miniaturen anmalt? Das sind klar plumpe Anbiederungen ans alte, aber nicht erwachsene Publikum. Und auch wenn der Film manche Zwischentöne und immer wieder die richtigen Knöpfe trifft, wirkt alles zusammen noch nicht authentisch genug und teils unbeholfen oder einfach nur gewollt. So leicht bekommt ihr unsere Herzen nun auch wieder nicht.
Super 8 ist kein Film, der ein "realistisches" Bild der späten Siebziger versucht abzubilden. Es ist ein Film, der die FILME und das Filmemachen der späten Siebziger und Achtziger versucht abzubilden. Aus diesem Grund fallen die unvermeidlichen Lens Flare Effekte von J.J. Abrams auch dieses Mal nicht so störend ins Gewicht, da sie zu den technischen Einschränkungen passen, die man versucht, zu imitieren. Allein deswegen muss er aus sich heraus natürlich künstlich wirken.
Ich sehe ihn eher als Lehrstück eines aktuellen Regisseurs, der, auch schon zuvor mit Star Trek, lernen will, wie man mal große, unbekümmerte Kinoblockbuster mit Langzeitwirkung gemacht hat.

Es ist schon traurig, daß Filmemacher so viele Jahre gebraucht haben, um wieder herauszufinden, daß man Geschichten auch in Hollywoodblockbustern in Ruhe und mit Seele erzählen kann. Meinem Empfinden nach schreien die Leute ja mindestens seit ebenso langer Zeit danach (vielleicht sind das nur die Nerds), aber womöglich kann das heute auch wirklich nicht mehr jeder. Wobei ja immer wieder aktuelle Filme wie zum Beispiel Batman Begins zeigen, daß Leidenschaft für die Arbeit bei den Leuten gut ankommt. Ich darf gar nicht daran denken, wie gut Indiana Jones 4 geworden wäre, wenn er mit derselben Attitüde produziert worden wäre. Stattdessen haben sie ihn ja gar nicht gedreht, wie wir alle wissen.

Ich möchte jetzt sehen, was sie aus diesem ausgegrabenen Filmwissen machen. Super 8 ist ein guter Einstand aber für sich selbst bedeutungslos, wenn er keinen Trend setzt. Für mich auf jeden Fall einer der interessantesten Hollywoodfilme der letzten zwei Jahre.

(Poster via Hollywoodreporter.com)