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Freitag, 30. Juni 2017

RSP-Blogs Karneval [Jun. 2017] Ruinen als Spielelement

Der Blog Spiele im Kopf veranstaltet den diesmonatigen Karneval der Rollenspiel-Blogs zum Thema "Ruinen".

Hierzu kamen bereits unzählige, tolle Spiematerialien zusammen. Ich möchte aber grundlegender über Ruinen sprechen.
Es kann heute eine große Herausforderung sein, Ruinen als Szenario schmackhaft zu machen. Schnell wird ihnen die Aura monotonen Räume Durchsuchens und stupiden Monster Tothauens verliehen. Dabei bestätigen viele Spieler sich selbst lediglich ihre eigenen Vorurteile. Denn selbst in unserer Realität gehen Ruinen nicht nur buchstäblich in die Tiefe, sondern sind mit der Geschichte verwoben.

Vielleicht liegt die oberflächliche Handhabe daran, dass viele von uns Ruinen - also verlassene und verfallene Bauwerke - nur als Touristen oder von Urlaubsfotos oder aus Büchern kennenlernen. Anderen stehen sie lediglich ihrem schicken Fertigteile-Neubau im Weg. Und für D&D Rollenspieler sind sie meist der Abenteuerspielplatz schlechthin. Deswegen sind Ruinen ein integraler Bestandteil vieler klassischer Rollenspiele. Ich finde Ruinen inspirierend, so wie ein Bild oder ein Lied.
Ruinen können für verschiedene Personen also eine unterschiedliche Bedeutung haben und es lohnt sich bei der Integrierung von Ruinen ins Rollenspiel (RPG) einen kurzen Blick darauf zu werfen. Denn genaugenommen steht die Ruine nur als Schauplatz von Ereignissen im Fokus vieler RPGs. Die Ruine selbst wird meist vernachlässigt. Die RPG-Ereignisse, die Abenteuer, die Monsterbegegnungen, die Fallen, Schatzsuchen usw. die könnte man auch an jedem beliebigen anderen Ort unterbringen.
Etwas ist also am Wesen der Ruine an sich, das fasziniert. Richtigerweise wird zwar argumentiert, dass man in Ruinen nur eine eingeschränkte Bewegungs- und Interaktionsfreiheit mit der Spielwelt hat, die Spielrunde also einen leichteren Umgang mit dem Spiel hat. Jedoch gilt das genaugenommen speziell für den "Dungeon", also eine unterirdische Anlage, die auch nicht zwingend als Ruine vorliegen muss.

Begibt man sich in eine Ruine, dann bekommt man auch Hinweise auf die Nutzung und ihre einstigen Bewohner, den Handwerkern, Baumeistern, Dienern oder Angestellten, die an diesen Orten gewirkt haben. Je nach Anordnung der Anlage gibt die Ruine dabei nicht einfach nur Eindrücke, wo jemand irgendwo mal irgendetwas gemacht hat, sondern wo exakt jemand etwas ganz Bestimmtes an einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit getan hat. Jemand, der keine andere Möglichkeit mehr hat, von sich zu erzählen, dessen Erfahrung aber im Zustand der Ruine nachwirkt und in die wir uns hineinversetzen können.
Dieser vollumfängliche Sinneseindruck lässt sich auch anhand von (Kunst-)Handwerksstücken, z.b. ein Buch oder ein Gedicht, nur eingeschränkt nachempfinden, da ihnen ja die räumliche Zuordnung fehlt.
Die Ruine erzählt also etwas von den Menschen nachdem diese die Bühne verlassen haben, durch ihre einstige Errichtung und Nutzung, aber genauso über die Menschen, nämlich durch ihren Verfall und ihren Zustand. Und je älter die Ruine ist und desto weniger Primärquellen vorliegen, je mehr Zeit also überbrückt wird, desto unmittelbarer kann die Erfahrung und die Verbindung zu seinen Bewohnern oder Erbauern sein. Die Ruine bekommt einen Wert an sich, der mit dem Alter steigt.
Und dieser Wert und der vielfältige Umgang mit der Ruine an sich kann eine große Bereicherung (nicht nur) für ein Rollenspielsetting sein.

Dabei wird schnell vergessen, dass es Ruinen zu allen Zeiten der Geschichte gegeben hat. Der Bestandsschutz von Ruinen als Denkmal ist wohl eine relativ moderne Erscheinung, das heißt, der praktische Nutzen von Ruinen, z.B. als Steinbruch zur Materialgewinnung, war davor von größerer Bedeutung. So finden sich gerade viele Burganlagen als Trockenmauern am Feldrand oder in Behausungen der unmittelbaren Umgebung wieder. Vielfach wurden Anlagenreste in neue Bauten integriert und weiter genutzt.
Das heißt aber nicht, dass die Ruinen keinen Eindruck bei unseren Vorfahren hinterlassen haben und zwar Eindrücke und Erfahrungen, die uns heute verwehrt bleiben.
Als erstes Beispiel sei das frühmittelalterliche Rom genannt. Welche Vorstellungen müssen die gerade noch 20.000 Einwohner Roms gehabt haben, umgeben von Ruinen und pompöser Architektur, täglich erinnert zu werden, in einer einstigen Millionenstadt zu leben, deren höher entwickelter Stand bereits sieben Jahrhunderte zurückliegt und den sie erst im 20. Jahrhundert wieder erreichen sollte? Eine quasi postapokalyptische Atmosphäre, die überall im ehemaligen Weströmischen Reich zu spüren gewesen sein muss. Ein eindrücklicher Hinweis darauf ist vielleicht die berühmte, altenglische Elegie "Die Ruine" (http://faculty.arts.ubc.ca/sechard/oeruin.htm), in die der unbekannte Autor den Reichtum und Fortschritt einer seit langer Zeit in Ruinen liegenden Stadt bedauert.

Ein anderes, prominentes Beispiel im Umgang mit Ruinen findet sich zur Zeit der Aufklärung. Diese war Mitte des 18. Jahrhunderts im vollen Gange und es formierten sich Bewegungen, um der "Vernunft" etwas entgegenzusetzen oder sie zumindest kritisch zu reflektieren und man wandte sich wieder in emotionale, instinkthafte und irrationale Richtungen. Wieder dienten einigen Künstlern die Ruinen als eindrückliche Steilvorlage. Maler wie Piranesi oder Hubert Robert griffen Elemente der Antike und des Mittelalters auf, wie die Klassik und die Gotik, inszenierten und überhöhten sie auf phantastische Weise, oder entwickelten sie weiter.
Giovanni Battista Piranesi (Italy, Mogliano, 1720-1778),Part of a spacious and magnificent Harbor for the use of the ancient Romans opening onto a large market square. Source: Wikimedia Commons
Giovanni Battista Piranesi (Italy, Mogliano, 1720-1778),
Etching of the Pyramid of Cestius in Rome. Source: Wikimedia Commons
Schaut man sich ihre Bilder und die anderer Zeitgenossen an, dann findet man die bekannten, labyrinthartigen Strukturen, endlose Gewölbe und Geheimgänge und entdeckt darin unscheinbare, staunende Gestalten, die ziellos umherirren, unfähig, die höheren Mächte zu begreifen, die all dies errichteten und wieder zu Fall brachten.
Giovanni Battista Piranesi (Italy, Mogliano, 1720-1778), The Pier with Chains.
Source: Wikimedia Commons 
Dabei wird die Hybris jener vergangener Zivilisationen und ihrer Erbauer offengelegt, oder auch der Größenwahn zeitgenössischer Herrscher angedeutet.
Hubert Robert (1733-1808), Imaginary View of the Grand Gallery of the Louvre in Ruins
Source: Wikimedia Commons
All dies fand schließlich Eingang in das sich erst entwickelnde Horror- und Science-Fiction-Genre bis hin zum modernen Pulp und Fantasy, aus denen RPG bis heute zehrt. Was nichts anderes heißt, als dass Ruinen auch heute keine Selbstverständlichkeit sind, die einfach nur die Landschaft verzieren, sondern dass der ganze Umgang mit ihnen eine Grundlage und selbst eine Geschichte hat, die wir im RPG als Hobby weiterführen können, anstatt ihnen einfach einen Hack'n Slay Stempel aufzudrücken. Im Old School D&D Bereich werden diese Konzepte aufgegriffen und diskutiert, z. B. den Dungeon als mystische Unterwelt, natürlich um ihn zu rechtfertigen, aber vor allem um Interpretationsmöglichkeiten zu erschließen.


In diesem Sinne können Ruinen selbst auch eine Spielrunde bereichern. Dies muss nicht allzu verkopft sein und soll Spaß machen, denn die Spielercharaktere haben etwas zu entdecken und zusammenzufügen, was spieltaktische Vorteile bringen kann oder es werden Fragen und Details aufgeworfen, auf die es möglicherweise keine Antworten gibt oder deren Bedeutung verloren ist, was der Spielwelt Tiefe verleiht.
Ich versuche das in einer eigenen RPG-Kampagne auszunutzen und überhaupt jedem Dungeon und jeder Ruine eine Geschichte zu geben. Als stimmungsgebende Atmosphäre in dieser spätantiken Fantasywelt blicken die Bewohner auf eine kulturell höher entwickelte, verlorene Vergangenheit zurück, da ihre Gegenwart in Ruinen liegt und die Zukunft noch unsicher ist, während ganze Völker ziellos umherziehen. Mit jedem Stein, den die Spieler umdrehen, erzählt die Welt damit auch etwas von sich und zwar andere Dinge, als man in einem Tavernentratsch abhandeln kann. Man muss nur zuhören.

Dienstag, 25. August 2015

Die vergessene Revolution

Es gibt da diese Umfrageaktion RPGaDAY2015, die im Wesentlichen ein reiner Präferenzfrageboben ist, den man auch im Block beantworten könnte. Aber sei's drum, ausnahmsweise beteilige ich mich daran, denn die heutige Frage lautet "favourite revolutionary game mechanic". Und dazu gibt es etwas zu sagen.

Das ist natürlich die level vs armor class Tabelle aus Basic D&D und ähnlichen Derivaten.
Auf einer Tabelle lässt sich ablesen, welche Zahl man mit einem entsprechenden character level würfeln muss, um den Gegner zu treffen.
Ich wähle sie nicht, weil sie revolutionär für das Rollenspielhobby war, oder weil das character level und die armor class verglichen wurden, sondern weil das Prinzip im RPG hätte revolutionär sein sollen. Spätestens seit Verwendung zuvor in Wargames waren Zahlentabellen sowieso revolutionär. So revolutionär, dass die Methode im Brettspielbereich auch heute noch immer wieder gerne benutzt wird und Battletech Spieler können davon sowieso ein Lied singen.
Im Rollenspielbereich läuft das natürlich alles anderes. Denn im Rollenspielbereich ist jeder ein "Designer". Ich zitiere sinngemäß folgenden Kommentar zu dieser Tabelle, den ich beim Netzsurfen leider wieder aus den Augen verloren habe: "Ich nutze lieber die Treffertabelle aus Labyrinth Lord, weil darin nicht solche Sprünge sind, wie in den alten D&D Versionen".
Sprünge. 
Auf die Idee, eine Zahlentabelle mit Abstufungen in 1er Schritten überhaupt aufzusetzen, muss man erst einmal kommen! Zugegeben, hinter der Labyrinth Lord level vs. armor class - Tabelle steckt noch mehr, aber das ist genau der Punkt: Habt ihr euch schon einmal gefragt, warum die armor class "Klasse" heißt? Weil sie eine Gruppe von Modifikatoren umfasst. Die "Zahl" der Klasse selbst, die in aktuellen Rollenspielen gerne verrechnet wird, ist vollkommen irrelevant und man hätte sie auch besser A, B, C, D,... nennen können. Sprünge in solchen Wertetabellen dienen dazu, auf aller einfachste Weise nicht lineare Progressionen umzusetzen. Das ist insbesondere Wichtig, wenn man ein großes Spektrum von Kapazitäten (Größenklassen, Geschwindigkeiten, Stärke etc.pp.) handhabbar machen will. Daher nutzen wir zum Beispiel in unserem eigenen Rollenspiel SchildWacht (zurzeit "closed beta") auch eine Wertetabelle, welche Fertigkeitsstufen logarithmisch darstellbar macht ohne den Spieler komplexe Rechen- oder Würfelmethoden durchexerzieren lassen zu müssen. Vielen nachfolgenden Rollenspielern von OD&D waren diese Tabellen trotzdem zu "langsam" oder eben sprunghaft in der Anwendung, also ersetzten sie sie durch einfache Arithmetik mit dutzenden Modifikatoren, dabei jegliche Skalierbarkeit über Bord werfend.

Daher wünsche ich mir, man würde diese sehr einfache und sehr effektive Methode der Wertetabellen auch im RPG Bereich weiterentwickeln, so wie es die OSR (old school renaissance) hin und wieder zumindest versucht.

Mittwoch, 1. Juli 2015

Des Spielleiters neue Kleider

Auch, wenn es nicht immer zum Ziel führt, finde ich es gut und wichtig, auch die Grundlagen des Rollenspiels zu hinterfragen. Vor einigen Wochen schrieb ich etwas über mein Selbstverständnis als Spielleiter. Ich beschrieb einen Spielstil, der auf Gleichberechtigung, Zusammenarbeit, gegenseitige Inspiration und Respekt aufbaut. Ein Spielstil, bei dem der Spielleiter (SL) ebenfalls wichtig, sogar notwendig ist, bei dem er allerdings nur ein Mitspieler wie jeder andere in der Spielrunde ist.
Wem dies nun nicht übermäßig revolutionär erschien - und das ist genau der Punkt - spielt vermutlich bereits in einer sehr mündigen Spielrunde und das freut mich. Das dies dennoch nicht selbstverständlich ist, hatte ich ebenfalls angemerkt. Denn manchmal rufen selbst vermeintliche Banalitäten wie diese weiße Ritter auf den Plan, die ihren Zweck darin sehen, im Namen anderer den Status Quo zu verteidigen. In eben jenem Beitrag richtete ich die Aufmerksamkeit auch auf diese Apologeten des klassischen Rollenspiels, durch deren Spielstil eine Unterscheidung zu einem gleichberechtigten eben erst notwendig wird. Klassischer Status Quo bedeutet in diesem Falle, dass es innerhalb der Spielrunde den SL als omnipotenten Allesentscheider gibt, der seinen Mitspielern die Art und Weise vorschreibt, wie man in "seiner" Spielrunde zu spielen hat. Um zu beweisen, dass es dieses Selbstverständnis gibt, hatte ich auch einen Beweis verlinkt. Das diese Art RPG zu betreiben nicht funktionieren kann, weil es beim Spielen eines Spieles um eine freiwillige Aktivität geht, kann man sich leicht selbst erschließen. Das wäre weiterhin nicht fatal, denn so würde sich der Ansatz des Allmachts-SL mit der Zeit von ganz alleine aus dem kollektiven Bewußtsein des Rollenspieles verabschieden und das Hobby würde sich weiterentwickeln.
Nun besteht der Ansatz aber seit vielen Jahrzehnten als verbreitetste Art ein Rollenspiel zu gestalten (nicht zu spielen!) und das ist das eigentlich Interessante. Denn das Fatale an der Situation ist, dass klassische Rollenspielentwickler selbst unter ihren restriktiven Prämissen in leider nicht selbstironischer Weise die Spielqualitäten eines gleichberechtigten Spiels beanspruchen. Ziel ist es dabei, den klassischen SL-Ansatz aufrechtzuerhalten, dafür zu sorgen, dass alles so bleibt, wie es ist. Der klassische Allmachts-SL ist tief in den am meisten gespielten Rollenspielen verankert, sprachlich, wie spielmechanisch. Eine Weiterentwicklung des Rollenspiels als soziales Ereignis ist unter diesen Bedingungen nur schwierig möglich. Glücklicherweise sind solche Apologeten sehr leicht auszumachen. Dabei fallen Beißreflexe wie die folgenden, die der ein oder andere sicher schonmal gehört hat:

- Ich spiele sowieso nur mit guten Freunden
- Ich spiele nicht mit Idioten (Regel 0)
- Ich vertraue meinem Spielleiter
- Solange der SL keinen Mist macht, akzeptiere ich die Entscheidung
- Wir ändern die Spielregeln einfach (goldene Regel)
und mein Lieblings"argument"
- Die Hauptsache ist, wir haben Spaß!

Jedes einzelne dieser Argumente setzt eigentlich die Aufhebung des Spielleiters als Alphatier der Spielrunde voraus. Sie beruhen also auf der Aufhebung genau des Ansatzes, den sie rechtfertigen sollen. Keines dieser Argumente ist zumeist innerhalb der Mechanismen eines RPG-Systems verankert, so dass nichts geändert werden muss, denn darum geht es. Viele Rollenspieler werden sich bei diesen Argumenten in ihren Rollenspielerfahrungen auch wiederfinden. Kein Machtwort eines Spielleiters kann Missverständnisse und Diskussionen in der Spielrunde verhindern. Kein Spielleiter ist jemals besser geworden, wenn er bei seinen Entscheidungen auf die Beiträge und Hilfe seiner Mitspieler verzichtet. Kein Belohnungspunktmechanismus hat irgendwo, irgendeinem Spieler mehr Rechte gegeben, als er sowieso schon hat.

In diese Zusammenhang muss auch das durch zahlreiche, halbherzige Regelexperimente im Bereich der erzähllastigen Rollenspiele entwickelte "player empowerment" - also die Ermächtigung der Spieler am Spielgeschehen teilzunehmen - als nichts anderes als die Umarmung des Allmachts-SLs betrachtet und schlussendlich als Nebelkerze bezeichnet werden. Denn die Aufhebung der Spielrundenhierarchie war schon lange im Kern des Rollenspielens angekommen und völlig zu Recht, denn der Status des Allmachts-SL setzt ein Vertrauen und eine Kompetenz voraus, die sicher nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt und vorhanden sind, dafür aber auch Würfeldrehern und Selbstbespaßern Tür und Tor öffnet.

An der offenen Akzeptanz dieser nicht vorhandenen Hierarchie fehlt es allerdings oft. Aus diesem Grunde werden die Rechtfertigungen des klassischen SL-Ansatzes auch immer bemühter und gezwungener. Um noch einmal zu zeigen, dass ich mir das alles nicht ausdenke und es keine Verschwörungstheorie ist, hier ein weiteres, aktuelles Beispiel, das uns Monte Cook mit seinem Cypher System bescheren wird:

Zunächst stellt er diese, für uns Rollenspieler altbekannte Tatsache fest:

Monte Cook: The number one strength of a tabletop RPG is the fact that there’s a living, breathing person sitting at the table next to you that can arbitrate the rules [...] Tabletop rules systems that try to cover every contingency can end up putting similar restrictions on players.

Die Person am Spieltisch, die eine Vielzahl an Spielsituation intuitiv bewerten und verregeln kann, ist die größte Stärke des Rollenspiels. Festgelegte Spielregeln schränken eine Spielrunde in der Darstellung einer komplexen, fiktiven Spielwelt ein. Eine Erkenntnis, so simpel, wie wahr. Was könnte eine Spielrunde alles erreichen, wenn sie mit diesem Wissen an ihrer Spielwelt bastelt? Ein vielversprechender Designansatz.
In der Folge beschränkt er dieses große Potenzial unmittelbar alleinig auf den Spielleiter. Warum tut er sowas Verrücktes? Wegen des rückwärts gewandten Denkens, dem der klassische SL-Ansatz zu Eigen ist: weil man das schon immer so gemacht hat. 
Monte Cook: A great game can be designed to embrace the GM and his or her logic and reasoning—that’s the way virtually all tabletop games were designed for decades. 
Zunächst bestätigt er, dass buchstäblich jedes "tabletop game" über Jahrzehnte hinweg diesen Designansatz des Allmachts-SL nutzt. Von diesem Grundprinzip ausgehend kommt Monte Cook dann zu folgendem, dramatischen Drahtseilakt eines Gedankenganges, nur um den Status Quo des klassischen SLs aufrechtzuerhalten:

Monte Cook: If we put more authority into the hands of the GM, aren’t we taking it away from the players? I don’t believe so. In fact, I think the opposite is true. By giving GMs the ability to interpret the actions in the game world using logic and reason, it gives players the authority to come up with creative responses to game situations rather than simply relying on what the game’s designer thought they should (or were most likely to) do.

In allem Ernst begründet er die Ermächtigung des SLs (über dessen Logik) damit, dass es die Spieler ermächtige. Und zwar, weil sie nun ihre Kreativität nutzen könnten. Als Strohmann dient hier das komplexe, fest verregelte Spielsystem, durch welches ein Designer der Spielrunde die Art und Weise zu spielen festschreiben würde.
Das die flexible Anwendung von Regeln bei einer theoretisch beliebig komplexen, fiktiven Spielwelt jedem fest verregelten Spielsystem überlegen ist, ist zwar folgerichtig. Daraus kann man aber nicht ableiten, dass es infolge eine einzelne Person geben muss, die alles entscheided. Genausowenig kann man daraus ableiten, dass, wenn es nur eine solche Person gibt, andere dadurch ermächtigt werden würden.
Selbstverständlich haben die Mitspieler nur dann den größten Einfluss zur Mitgestaltung, wenn sie sämtliche Aspekte mitentscheiden dürfen, nicht nur die "kreativen", sondern auch die "logischen" Aspekte. Das ist die einzige Antwort auf ein fest verregeltes Spielsystem. Dieser Gedanke muss Monte Cook natürlich auch gekommen sein, denn er schreibt diese unscheinbare Bemerkung:
The Cypher System is designed to put the power in the hands of GM and the players (probably in that order). (Die Hervorhebung stammt von mir)
Er ist sich selbst nicht sicher, ob diese Hierarchie der richtige Ansatz ist, ist sich aber nicht zu schade, ihn mit jedem Winkelzug zu rechtfertigen. Einfach, weil "that's the way virtually all tabletop games were designed for decades".
Bitte nicht falsch verstehen: Aus Mangel an Alternativen halte ich einen Spielleiter auch für unverzichtbar. Dabei ist die Aufgabenverteilung aber das Relevante und nicht die Authoritäten. Alleine diese beiden Perspektiven wirken sich jedoch schon daramatisch auf die Art und Weise aus, wie man ein Rollenspiel verfasst, was man darin kommuniziert und wie man schlussendlich spielleitet.
Unter uns: Warum lasst ihr euch von euren Spielleitern sagen, wie ihr zu spielen habt? Tut ihr nicht, richtig? Ihr seid ja alle Freunde. Und ihr ändert die Regeln. Schon klar. In Diskussionen zeigt sich, dass ohnehin niemand wirklich ein Interesse daran hat, diese in allen möglichen Regelsystemen verbaute Hierarchie, im Duktus wie spielmechanisch, wirklich einzuhalten. Wenn euch das nächste Mal also jemand oder ein Rollenspielbuch beschreibt, dass es unbedingt notwendig ist, dass eine Person in einer Spielrunde alles alleine entscheiden muss, weil dadurch das Spiel besser werden würde und ihr dadurch mehr Rechte und Freiheiten hättet (die man euch als Mitspieler sowieso nicht nehmen kann!), das alles spielmechanisch untermauert und euch gleichzeitig den Hinweis gibt, dass man diese Tatsache auch einfach jederzeit ignorieren könnte, sobald eben jene Spielmechanismen zu Störungen führen, dann hinterfragt doch einmal die Logik und die generelle Fähigkeit des SLs/Designers dahinter. Denn die Gefahr ist groß, dass er euch nur den alten Spielleiter-Whine in neuen Schläuchen erneut andrehen will.
Diskutiert darüber im RSP-Blogs Forum

Mittwoch, 25. März 2015

Kein wahrer Spielleiter


Ich finde es kurios, dass die Behauptung "früher war alles besser" auf Rollenspiel selbst dann nicht zutreffen mag, wenn man die rosa Brille aufbehält. Das Rollenspiel hat sich sicher angepasst, eingegliedert, erweitert: an Brettspiele, an Bücher und Fernsehserien, graphic novels oder Erzählspielen. Aber an den grundlegenden Prinzipien hat sich nie etwas getan, obwohl sie m.E. ohne Frage verbesserungswürdig wären. Vielleicht ist das so, weil es im Rollenspiel eine zähe Masse an Spielern gibt, die dafür sorgt, das alles so bleibt, wie es ist. Und diese ist system-, genre-, und settingweit homogen.

Eines dieser Prinzipien ist das hohe Lied des Spielleiters, das in jeweils abgewandelten Formen seit 40+ Jahren einstimmig - und damit monoton - gesungen wird. Sei es als Meister, der immer Recht hat oder als dungeon master, der das letzte Wort hat oder als Erzählonkel, der seine Mitspieler für den Preis eines Plotpunktes nach ihrer Meinung fragt; im Grunde ertönt immer dieselbe Leier: Da man eine Rollenspielwelt nicht vollständig mit einem Regelsystem darstellen kann, muss die Lücken jemand füllen, der das besser kann, eben jener Spielleiter (SL). Und er muss das alleine tun.
because of reasons.

Diese Begründungen wurden mit den Jahren und notgedrungener Weise immer phantastischer, da sich nunmal auch Rollenspieler nicht ewig lange für dumm verkaufen lassen. Die wirklichen Stolperfallen beim miteinander Spielen wurden mit dem SL Konzept freilich nicht gelöst. Doch es besteht Hoffnung, dass den grauen, Zigarre rauchenden Herren, die uns unsere Spielzeit stehlen, allmählich die Ideen ausgehen. Eine letzte dieser kuriosen Ideen hatte kürzlich die uruguayische Rollenspielbefreiungsfront aufgetan:
Weil Mitspieler Arschlöcher seien, die nur an sich denken, um im Rahmen der Absprachen (z.B: ein  Regelsystem) möglichst viel persönlichen Spaß herauszuziehen, bräuchte es den SL als Lichtgestalt, die sich um den Spaß aller sorge. Ein SL benötigt also nicht nur andere Fertigkeiten, er muss auch ein besserer Mensch sein. Um nun den Spielspaß aller zu gewährleisten, benötigt er dazu mal wieder die unangefochtene Entscheidungsgewalt. Außerdem sei es auch viel einfacher, nur lediglich einen souveränen Posten am Spieltisch mit einer Lichtgestalt besetzen zu müssen, als alle. Die Rollenspielwelt ist wieder in Ordnung und alles kann so bleiben, wie es immer war.

Diese Begründung scheitert meiner Meinung nach an den Grundannahmen und ist auf so viele Weisen verdreht, dass einem schwindelig werden kann:
1. Es gibt keine Lichtgestalten. Jeder Mensch macht Fehler, also auch SLs. Zu dem obligatorischen Beißreflex "daran erkenne man doch gute und schlechte SLs" sei gesagt: Es ist wie mit dem "wahren Schotten", es ist ein Trugschluss, denn offensichtlich gibt es SL, welche die persönlichen Anforderungen einzelner nicht erfüllen, die aber trotzdem leiten. Die reine Forderung nach einem perfekten SL führt also nicht automatisch zu einem besseren Rollenspiel. Außerdem: Wisst ihr, woran man gute Spieler erkennt? Genau, dass sie ihren Teil zu einem guten Spielabend beitragen. Warum sollte man sie also NICHT an den Entscheidungen teilhaben lassen? Diesen Strohmann "Guter Mitspieler" kann man nach belieben in eine Richtung drehen, die einem gerade in den Kram passt, wovon auch ausgiebig Gebrauch gemacht wird.
2. Es ist völlig irrelevant, dass man "rechnerisch" weniger gute SL braucht, als gute Spieler, da bereits ein schlechter Mitspieler in der gesamten Spielrunde genügt, um einen normalen Spielablauf zu verhindern, ganz gleich, welche Aufgaben er in der Spielrunde übernimmt. Außerdem: ein Mitspieler, der nur an seinen Spaß denkt, aber trotzdem gut spielen soll, ist ein Oxymoron. Was uns direkt zu der nächsten, falschen Annahme führt...
3. der SL ist nicht Souverän. Das ist ein altes Märchen, das sich schon ziemlich lange hält (knapp über 40 Jahre). Genaugenommen hat er kein zusätzliches Wort mehr mitzureden, als jeder andere am Tisch. Und die Rollenspieldiktatur funktioniert eben insbesondere dann nicht, wenn man mit den oben prognostizierten Arschlöchern zusammenspielt. Wie man überhaupt nur auf die Idee kommen kann, dass unkollegial veranlagte Mitspieler die Entscheidungsgewalt eines SLs akzeptieren würden, kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Wenn der SL etwas mitentscheiden kann, dann einzig und allein deswegen, weil sich die gesamte Runde damit einverstanden erklärt hat. Das ist aber niemals ein pauschaler Freifahrtschein und muss ständig neu verhandelt werden, weil keiner der Beteiligten weiß, welche Entscheidungen anstehen werden.
Erneut, zu dem Beißreflex "also, ich spiele nicht mit Idioten und meine Mitspieler vertrauen mir die absolute Entscheidungsgewalt an" (Anm.: Regel Null) sei gesagt: Gut, wenn man nicht mit Idioten spielt und sie mir trauen, wieso darf ich als SL dann nicht ihnen trauen und sie mit einbeziehen? Wieso muss ich über ihren Kopf hinweg entscheiden? Das ist doch vollkommen widersprüchlich zur Grundannahme, dass sie Arschlöcher seien.

Daraus ist schlusszufolgern:
Der SL ist auf seine Mitspieler angewiesen, weil er Fehler macht.
Der SL ist auf soziale Mitspieler angewiesen, um überhaupt akzeptiert zu werden.
Damit nicht wiederholt behauptet werden kann, hier gäbe es keine Alternativen, ein Gedankenspiel bzw. den Spielstil, den ich als SL, offensichtlich einsam auf weiter Flur, betreibe:
Die Schlussfolgerungen führen uns zu einer optimalen Situation, die sich von ganz alleine einstellt. Eine, in der kein Mitspieler eine Sonderrolle hinsichtlich der Entscheidungen einnimmt. In der auch der SL lediglich ein Mitspieler innerhalb der Spielrunde ist und während des Spiels gemeinsam mit allen anderen die geeignetste Lösung für eine Spielsituation findet. Eine, in der Spielregeln nicht prozedural sondern situativ konzipiert sind.
Das bedeutet nicht, dass ein SL keine eigenen Entscheidungen treffen kann, dass er keine geheimen Entscheidungen treffen darf, oder dass er nicht gebraucht wird, aber es heißt, dass er sich darauf einstellen muss, seine Mitspieler jederzeit mit seinen Entscheidungen zu überzeugen oder die Entscheidung zu ändern. Denn befehlen kann er es ihnen nicht, so sehr sich das manch einer an  "seinem" Spieltisch wünscht oder herbeiredet. Jeder, der schon mal eine Diskussion am Spieltisch hatte, obwohl es doch den perfekten Allesentscheider gab, kann das sicher nachvollziehen. Das ist die Selbstkontrolle im Rollenspiel, die jeden Nischenschutz überflüssig macht. Und wenn der SL das Vertrauen der Mitspieler genießt? Na dann geht es doch umso einfacher.
Und kein starres Spielkonstrukt, dass unsere Rollenspielfreiheit in irgendwelche mechanistischen Scheuklappen verpacken will, in der immer irgendetwas "muss" und niemals etwas "darf", kann an diesen natürlichen Gleichgewichten etwas ändern.

Von daher bin ich (ausnahmsweise) optimistisch, dass dieses fremdartige Konzept, das sich "das soziale Miteinander" schimpft mit der Zeit diese eingeschränkten (Spiel)Weltbilder mit ihren Konzepten von Gehorsam- und Folgsamkeit, Verboten und Erlaubnissen verdrängt. So etwas verträgt sich nicht mit der Spielfreiheit im Rollenspiel. Und es ist das, was an den Spieltischen seit Jahr und Tag sowieso passiert und was der eigentliche Grund ist, warum das Rollenspiel trotz, nicht wegen selbsternannter Entscheider und starrer Spielsysteme funktioniert. Allein, wir werden sie einfach nicht los.

ein Platz für Kommentare:
http://forum.rsp-blogs.de/diskussion-und-kommentare/(hoch-ist-gut)-kein-wahrer-spielleiter/msg14856/#msg14856

Montag, 1. September 2014

I reject your reality and substitute my own, Part II

Ich habe mich in letzter Zeit oft darüber geärgert, dass im Bereich Rollenspielentwicklung nichts nennenswertes mehr passiert. Zu beschäftigt sind die Verlage, ihre bunten Boxen zu "promoten", zu beschäftigt die Konsumenten, sie auszupacken und zu bestaunen.
Was mich in diesem speziellen Fall frustrierte, war die Vermutung, dass es keinen "Regelansatz zur Verhandlung und Konsensfindung bei der Bewertung von Spielsituationen" gibt. Ich schrieb, dass gescheiterte Verhandlungen der Grund für eine gescheiterte Spielrunde sind. Was mir jedoch fehlte, war ein Ansatzpunkt, nämlich der eigentliche Gegenstand der Verhandlung.

Und fast im Verborgenen hat bei den deutschen RPG Bloggern nun m.E. eine wichtige Diskussion über Rollenspielentwicklung gezündet. Eine Diskussion, die mindestens implizit seit dem Scheitern (?) von D&D 4 und dem Entwicklungsstart von D&D Next als Taktgeber der globalen Rollenspielcommunity mitschwingt, sei man nun ein Spieler derselben oder nicht. Nämlich die Diskussion, wie Spielinhalte ihren Weg in das Rollenspiel finden. Und mit der Diskussion werden Fragen aufgeworfen, die darüber hinausgehen, ob eine +4 Modifikation nun gestalterisch sinnvoller ist, als ein Nachwürfeln, oder ob das Würfeln von 3W20 gegenüber 1W20 nicht vielleicht doch eher "komplizierter" anstatt "einfacher" ist.

Andreas von RPGnosis hat hier mit einer wundervollen, perspektivischen Verschiebung einen großen Teil alter Zöpfe abgeschnitten und Inspiration für neue Ansätze geschaffen. Im Wesentlichen ist die Grundlage, dass der sogenannte "Gemeinsame Vorstellungsraum" (http://ptgptb.org/0026/theory101-01.html) nicht existiert und für das Rollenspieldesign auch gar nicht benötigt wird. Stattdessen ist der Rollenspielprozess abhängig von den individuellen Gedanken eines jeden Mitspielers. So weit, so einleuchtend. So gesehen gibt es am Spieltisch nicht "das Rollenspiel", sondern jeder spielt dementsprechend sein eigenes Rollenspiel und versucht dieses seinen Mitspielern zu vermitteln und deren Rollenspielversionen aufzunehmen (soweit ihm das durch unwillkürliche Annahmen in seinen Vorstellungen überhaupt möglich ist). Daraus können diverse Unstimmigkeiten und Missverständnisse erwachsen, die das gemeinsame Spielen stören oder unmöglich machen können. Craulabesh merkt hier außerdem an, dass diese Störungen der kreative Motor des Rollenspieles ist (der Beitrag ist überhaupt ein guter Einstiegspunkt für die Leser, um wieder in das Thema zu kommen).

Warum ist das nun wichtig? 
Das eine Spielrunde gemeinsame Absprachen treffen muss oder die Inhalte so überschaubar wie möglich halten soll (K.I.S.S. = keep it straight and simple) oder im Zweifelsfall "der Meister immer Recht" hat, ist keine neue Erkenntnis und ergibt sich quasi als Notwendigkeit daraus, dass am Spieltisch nichts handfestes geschieht, wie z.B. bei einem Brettspiel oder Computerspiel. 
Es ist wichtig, weil dieses "Absprechen" im Rollenspieldesign häufig nicht verankert wird, sondern vielmehr diese Absprachen als Maßnahme gegen das Regelsystem genutzt werden müssen, welches die Spielrunde meist einschränkt oder ausbremst.

Bei einem klassischen Regeldesign stehen die Regeln als Steuerung des gemeinsamen Konsens im Vordergrund. Mit anderen Worten: Die Spielregeln geben vor, wie sich die Mitspieler bestimmte Situationen vorzustellen haben. Es gibt komplexere Systeme und abstraktere Systeme, aber meist haben sie den Anspruch, alles oder "alles Wichtige" vorweg zu verregeln (also bevor es überhaupt im Spiel auftritt). Diese Systeme lassen sich abermals unterteilen in solche, welche die Funktionen der Spielwelt und solche am Spieltisch zwischen den Mitspielern regeln. Und natürlich alles dazwischen.

Entgegen der irrigen Annahme, ist Rollenspiel allerdings kein "Spiel" (im Sinne von "Game"), sondern Verhandlungssache und das bemerkt man ziemlich schnell in der Praxis. Unter dieser Annahme stößt man erfahrungsgemäß nämlich sehr schnell an die Grenzen des "Spiels", da zum Einen die Vorstellungen eines Spielers (gar nicht zu reden von gleichzeitigen, unterschiedlichen Vorstellungen mehrerer Spieler!) um einiges vielfältiger und detaillierter sein können, als jeder Regelkatalog vorgibt. Sich an vorgegebene Regeln zu halten, ist also immer eine Einschränkung der Optionen. Zum Anderen berücksichtigen diese Spielregeln selten (insbesondere solche des Spieltisches selbst, Erzählrechte und Player Empowerment, ich schaue auf euch), dass kein Spieler eine Regelung akzeptiert, nur weil sie da ist. Auch hier mit anderen Worten: Man muss nicht alles hinnehmen, was in einer Spielrunde gesagt wird, nur weil in einem Moment ein Spieler ein "Erzählrecht", "immer Recht" oder ähnliches hat. Man muss seine Mitspieler überzeugen.

Damit jemand diesen "Regel überschreibt Vorstellungswelt"-Ansatz überhaupt für Voll nimmt, hat man sich viele argumentative Strohmänner erarbeitet, wie den "guten und schlechten Rollenspieler", die "goldene Regel" (ignoriere Regeln, die dir nicht gefallen) oder "Spaß ist wichtiger als Regeln" (ich weiß immer noch nicht, was das eine mit dem anderen zu tun hat). Diese Tricks implizieren bereits den eigentlichen Vorgang, den Andreas nun übersichtlich dargestellt hat:

Nämlich das Verhandeln und das verständlich Machen des Spielinhalts. Das die Vorstellungen der Spieler der Kern des ganzen Rollenspieles ist und nicht andersherum ihre Vorstellungen anderen Spielaspekten (wie Regeln) untergeordnet sind. Es geht im Regeldesign nicht darum, Probleme bei unterschiedlichen Spielervorstellungen zu vermeiden, sondern sie möglichst effektiv zu lösen. Das ist das, was wir alle im RPG tun, was uns die meisten Regelsysteme aber nicht tun lassen.

Spielregeln und Hilfsmittel (Spielfiguren, Skizzen, Hintergrundbücher) können hierbei eine Sprache sein, aber kein eigenständiger Spielmechanismus. Eine Spielregel wie "Stromschnellen erschweren das Schwimmen um X" benötigt vor der Anwendung eine Beurteilung darüber, wann man überhaupt von Stromschnellen spricht. Die Vorstellung steht also an erster Stelle und dann kommt erst die Regel. Regeln und Hilfsmittel können die Spielrundenkommunikation nicht starr steuern, sie sind ein Teil oder Werkzeug derselben. Zum Beispiel garantiert kein Hintergrundbuch einer Spielwelt, dass die Spieler alles darin auch gleichartig in ihre Vorstellungen einbauen. Aber sie können sich darauf als Vokabular berufen ("aber auf Seite X. steht doch...").
Das ist ein eklatanter Perspektivwechsel bei der Gestaltung von Spielregeln und -inhalten und was sie zu leisten haben. Wichtig ist nun nicht mehr, dass ein Rollenspiel z.B. mit seinen 235 Kampfmanövern thematisch alles abdeckt, was existiert, sondern aus welchen Bausteinen (auch begrifflichen!) diese bestehen, damit sich die Spieler möglichst eindeutig verständlich machen können. Auch ist nicht wichtig, wie die einzelnen Regeln miteinander in Zusammenhang stehen, sondern dass sie leicht und übersichtlich in Zusammenhang gebracht werden können.

Ist mit einem Regelsystem und den Hilfsmitteln einmal ein Vokabular geschaffen, so können diese zur Verhandlung eingesetzt werden, also dem eigentlichen Rollenspielprozess. Eine Verhandlung setzt voraus, dass alle Verhandlungsseiten gegensätzliche Interessen haben und diese durchsetzen wollen. Als Ergebnis kann ein Regelmechanismus entstehen oder auch eine Abstimmung und vieles andere. Old-School Spiele gehen so schon seit Langem (halbherzig) vor.
Doch zunächst ist zu klären, was die Interessen in der Verhandlung eines jeden einzelnen sind. Auf Seiten der Spieler sehe ich hier zum Beispiel ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
- situative Spannung
- gestalterische Gewalt
- Eskapismus / Entspannung
- seine Mitspieler zu unterhalten

Und auf der Spielleiterseite (SL)? 
Beim Hofrat las ich vor Urzeiten einmal, dass ein SL keine Interessen haben darf. Er muss absolut unparteiisch sein (zwischen Spielwelt und Spielern). Eine Spielwelt hat aber keine Interessen. Ohne gegensätzliche Interessen aber gibt es keinen Verhandlungsgrund und demnach kann auch die Verhandlung der Spielvorstellungen nicht in Gang gesetzt werden. Offensichtlich passiert dies aber. Welches Interesse also hat der Spielleiter? Das offensichtlichste Interesse wäre eine Art Wettbewerbsposition, in der der SL tatsächlich der Gegner der Spieler ist. Das schließt sich allerdings dadurch aus, dass die gestalterische Gewalt zu einem großen Teil in seinen Händen liegt und er sämtliche Inhalte beurteilt und bewertet. Ist Unparteilichkeit ein Interesse, aber welche Parteilichkeit, wenn es dann doch nur noch die Partei der Spieler gibt?

Ich denke, dass die Diskussion über das Thema erst am Anfang steht und schlage daher vor, zunächst einmal zu klären, warum der Spielinhalt überhaupt untereinander ausgehandelt werden muss und welche Rolle dabei die Position der Mitspieler einnimmt (Spieler/Spielleiter).

Befeuert die Diskussion, so lange sie heiß ist. Am Besten an einem gut überschaubarem Ort, wie dem RSP-Blogs-Forum.
http://forum.rsp-blogs.de/diskussion-und-kommentare/httphochistgut-blogspot-de201409i-reject-your-reality-and-substitute-my-ht/msg13806/#msg13806

Mittwoch, 9. April 2014

RPS-Blogs Karneval [Apr2014] - Es ist nicht deine Schuld...

... dass das Rollenspiel ist, was es ist. Es wär' nur deine Schuld, wenn es so bleibt."
- frei nach den Ärzten

Der diesmonatige Karneval der Rollenspielblogs befasst sich mit dem Thema Tabus. Und das ist insofern ein treffendes Thema, denn als ich in den 90igern mit dem Rollenspielen (RPGs) anfing, hätte ich mir noch nicht vorstellen können, dass ich mal wie momentan vor einer mittelalterlichen Tabuwand ende, welche die Rollenspielgemeinschaft vor sich hochgezogen und auf ihr Fundament abgesetzt hat. Und diese Tabus sind Glaubenswahrheiten, so wie die Glaubenswahrheit, dass eine "gute Geschichte" über den Spielregeln steht oder Spass über den Regeln steht oder willkürliche Entscheidungen oder der lauteste Mitspieler ... oder eben alles, was in einem Moment nicht zufriedenstellend verregelt ist. Also eben, dass unverregelte Situationen nicht in dem Verantwortungsbereich des Rollenspielentwicklers liegen, so paradox es klingt.
Und wer dabei nicht mitgeht, der spielt eben "falsch" oder "hat es nicht verstanden". Dabei müsste es heissen: Er glaubt nicht daran. Es ist das Dogma der "Besserspieler".

Lass uns diskutieren
Denn in unserem schönen Land
Sind zumindest theoretisch
Alle furchtbar tolerant

Ich für meinen Teil: Ich weiss es nicht. Das hindert mich aber nicht daran bzw. spornt mich an, die Konventionen ständig zu hinterfragen und zu versuchen, die Fragen neutral zu beantworten.
Und ich fragte mich kürzlich, wie wohl heute ein absoluter Neuling, der aber durchaus Interesse an und auch Erfahrung mit Spielen und Spielregeln im Allgemeinen hat, an diese Spielleiterwillkür-Geschichte herangehen würde. Ihr wisst schon, diese Zahlen, die sich ein Neuling aus dem Regelwerk zieht und sich dabei denkt, "Wow, hiermit bekomme ich +12 Bonus auf Kuchen backen, das nehme ich" - und er dann in 8 von 10 Kuchenbackfällen mal gar nicht, mal ohne Bonus und mal "ok, weil du es bist, aber nur mit Malus" würfeln darf, seine +12 also in Wirklichkeit irgendwo bei einer + 7,56532 landet. Was er natürlich nicht nachhalten kann und dementsprechend nur insofern mitbekommt, dass irgendetwas nicht so läuft, wie er sich das vorgestellt hat.
Und wenn er beim ersten Mal die Veteranen und Gurus in der Spielrunde fragt: "Wieso muss ich jetzt darauf würfeln?" oder "Warum denn +7 und nicht +12?", wieviele würden die Antwort "Is' halt so" so hinnehmen und wievielen käme das komisch vor? Und wie lange musste es dauern, bis der Satz "der Meister hat immer Recht" seinen Weg in den Rollenspiel-Jargon gefunden hat?

Ich habe jedenfalls damals so da gesessen und habe es nicht hingenommen und habe mich gefragt, was denn da nicht so läuft, wie ich es mir vorgestellt hatte. Aber ich war ja auch so naiv und dachte zunächst, in dieser Schwerter&Helden-Box stehe alles drin, was man bräuchte, um Abenteuer zu spielen, ohne großartig viel selbst dazuzutun, man müsse sich nur an die Spielanleitung halten. So kannte ich das auch von Brettspielen und Tabletops. Gleichzeitig hätte man aber die Freiheit, sich kreativ auszutoben. Ein idiotensicheres, ein ultimatives Spiel sozusagen.
Leider war es nicht iditionsicher und ich habe gerade in den ersten Jahren deswegen viele Spielrunden getrennte Wege gehen sehen. Und obwohl ich mich bis heute an kein Spielsystem erinnere, an dem ich uneingeschränkt Spass hatte, habe ich nie aufgegeben, dieses theoretische Potenzial der Verregelung aufzudröseln. Wenn ich dieses Ziel nicht gehabt hätte, hätte ich vor Jahren aufgehört zu spielen. Und ich habe den Fehler stets im Regelsystem gesucht, da ich nicht davon ausgehe, dass Mitspieler von Natur aus Ansprüche Anderer vor die eigenen stellen müssen - hierbei für Ausgleich zu sorgen, ist ja ein Sinn und Zweck von Regeln.
Was brächte mir also ein Rollen"spiel", das ich nur mit Leuten spielen könnte, mit denen ich auch ohne die Grenzen dieser Spielregeln Geschichten erfinden könnte?

Diese Makulatur von Rollenspielsystemen, welche die Einigung der Spieler unteinander voraussetzt, um zu funktionieren, ist vermutlich die am weitesten verbreitete Designgrundlage und größtes Tabu von Rollenspielern. Echte Spannung und Ergebnisoffenheit kann hier nicht entstehen. Auch Lösungsversuche, wie die Regel "der Meister hat immer Recht" oder "Erzählrechte" ändern nichts daran, dass es nicht vorran geht, wenn ein Spieler mit einer Situation nicht einverstanden ist. Aber zugegeben, es sind Ansätze.

Jede Spielrunde kann sich für irgendwelche Zahlenwerte entscheiden, z.B. Prozentwerte für eine bestimmte Spielsituation, und dann darauf würfeln. Dazu bedarf es keines komplexen RPG-Systems. Jedes weitere Detail auf diesem Grundsatz ist lediglich eine Verschleierung dieser Beliebigkeit und damit unnötig. Aber was passiert, wenn mindestens ein Mitspieler mit einer Entscheidung unzufrieden ist oder nicht gehört wird? Und was passiert, wenn ein detaillierteres Rollenspielregelwerk als das oben genannte "Prozentsystem" seine Grenzen erreicht? Auf diese wichtigen Fragen geben Rollenspiele keine Antworten. Die Spielrunden müssen die Probleme lösen, die Rollenspielregelwerke erst hervorrufen.

Um dieses Dilemma zu lösen, habe ich das RPG aus allen erdenklichen Perspektiven betrachtet, bis hin zu Spielmechanismen, bei denen man sich an den Füßen spielen muss (dieses zum Glück nur in der Theorie, die spinnen, die Skandinavier). Ich habe auch durchgehend die Seiten gewechselt und fühlte mich auch keiner RPG-Glaubensrichtung zugehörig, obwohl ich in fast jedem Systemkrieg dabei war. Aber das RPG scheint sich jeder Rationalität zu entziehen, stellt man eine Frage, wachsen zwei neue Rechtfertigungen aus dem Hydrakopf. Unterstützung findet man bei der Suche nach Antworten selten, denn die Willkür ist und bleibt ein Tabu, das unangetastet bleiben muss.
Schlussendlich heisst es: Entweder man glaubt daran, dass RPG funktioniert oder man glaubt nicht daran. Glauben kann ich nicht, ich kann allenfalls Vermutungen anstellen. Und ich habe die Vermutung, dass RPG nie das Spiel sein kann, was manche Wenige von uns sich davon erhofften. Manche, dass sind die, die Regelsysteme mit hunderten bis tausenden von Seiten geschrieben haben, in der Hoffnung, eines Tages wäre "alles" verregelt oder die, die "Erzählrechte", "Dramapunkte" und "Vetoregeln" erfunden haben, als würde das in irgendeiner Weise die rundeninterne Kommunikation steuern können.

Die große RPG-Evolution ist leider ausgeblieben, das strikte Tabu der Systemmakulatur herrscht vor. Technologisch, also software-technisch, blieb man auch auf der Strecke, dafür haben die Papierwütigen und Ewiggestrigen gesorgt. Das RPG keine Computertechnik bräuchte, ist ein weiteres dieser zahlreichen Tabus der Rollenspielentwicklung. Computerrollenspiele hingegen haben sich dabei von ihrem Ursprung beinahe vollständig gelöst und gehen ihren eigenen, erfolgreichen Weg. Tablets und Smartphones fehlt es noch an kompetenten RPG Designern (ein RPG schreiben meint jeder zu können, aber eines programmieren?). In über 40 Jahren hat sich keine für mich nennenswerte Weiterentwicklung des einst genialen Grundgedankens ergeben, dafür jede Menge Sackgassen und Ausprägungen. Ich rechne auch nicht damit, dass die nächsten Jahre ein neuer Rollenspielregelansatz entsteht, da die Rollenspielentwicklung von meiner Warte aus zurzeit den Schlaf des (Selbst)Gerechten führt.

Aber wohin sollte sich RPG auch entwickeln? Jeder Rollenspielmechanismus, jedes Spielleiterkapitel und jede interne Rollenverteilung beläuft sich schlussendlich immer wieder auf den Punkt der persönlichen Evaluierung einer Spielsituation. Und diese kann man entweder vor seinen Mitspielern erfolgreich rechtfertigen oder halt eben nicht. Mit anderen Worten: Niemand wird gezwungen mitzuspielen, bist du nicht für uns, bist du gegen uns.

Also stehe ich noch exakt an dem Ort, wo ich vor ca. 18 Jahren angefangen habe bzw. jetzt habe ich das Gefühl, an diesen Ort zurückgekommen zu sein. Ich bin zwar der Meinung, dass sich das Ganze trotzdem gelohnt hat, aber ebenso hat der Hydra-Götze in der Kirche der Besserspieler mittlerweile so viele Rechtfertigungen am Kopf, dass ich im Moment nicht weiß, wie man ihn noch erschlagen kann. RPG ist und bleibt wohl Verhandlungssache und kann kein herausforderndes, ergebnisoffenes Gesellschaftsspiel sein.

Und das ist die Krux.
Was weiterhin fehlt, ist ein Regelansatz zur Verhandlung und Konsensfindung bei der Bewertung von Spielsituationen (ist kein fancy Theoriebegriff, ich weiß), möglicherweise auf diskurstheoretischen Grundlagen, und Rollenspielentwickler, die ernsthaft daran arbeiten. An Etwas, dass alle Teilnehmer wirklich als gleichberechtigte Mitspieler, mit gleichen Möglichkeiten ihre Ansprüche einzubringen, behandelt.
Ich habe hier keine Patentlösung, aber ich bewundere weiterhin das Problem. Es ist lediglich ein Denkanstoß für Rollenspielentwickler, die bereit sind, die Willkür am Spieltisch mit einzubeziehen und nicht zu tabuisieren.

Glaub' keinem, der dir sagt
Dass du nichts verändern kannst
Die, die das behaupten
Haben nur vor Veränderung Angst

frohes Schaffen.

Donnerstag, 3. April 2014

Stats Without Numbers


See the new (first!) edition of Sw:N (read 'swinn') by the acclaimed author and design genius of Elaborate Lord (EL), Caprice & Calculations and Slayers of GoodSensia: James S. "Nold" Carter III.
As Nold told me there will be no sacred cows in his upcoming edition of Sw:N not to speak of artwork or layout of any kind. Stats Without Numbers' deep laid mechanic enables the gaming group to implement ideas and concepts like never seen before in any classical or story game and without struggling with understanding the math. Nold drives the old-school renaissance to it's indie revolution as he combines nostalgic arbitrariness with modern whateverism.

The Old School
Sw:N is as easy as publishing a retro clone. In case of a game event with uncertain outcome (like who has to get the beer from the fridge) one player casts a D20 adds a stat bonus (see below) and compares it to the difficulty level (DL). A result at least equal to the DL means success for the players, otherwise failure. This is called a test (even if it is not a test in a strictly sense of the word). The referee (he controls the game world) determines the height of the DL depending on the propability of one test outcome he considers to be of any importance for the gaming group. A low DL is easy to achieve and a high number might be quite a challenge. The referee may elaborate his decision but the other players have to live with his judgement anyway. At this point the players may not leave the game table yet (see below) otherwise the game can not commence.

The New School
Sw:N is progressive as it is down-to-earth. The aforementioned 'players' (see chapter 3.2 to 3.2.3.4 in the full document for precise definitions) each controls one character in the game world described by so called 'stats'. The players name these stats in any number as they see fit to portray their own character in an entertaining manner (there is no obligation to change a stat if no one is entertained, though). Then they distribute numbers among the stats, beginning from a low digit. A high number means the character is good at something in a way.
After the referee set up the DL the player/s try to overcome the said DL to accomplish the outcome at stake. To do this one player involved in the 'conflict' (any game event) chooses one of his character stats and adjusts the stat number like he thinks his character would hold up. Again, a higher stat means a more likely success (don't wonder how, it's true!). After the test the stat reverts to its former number.

The Nold School
After the DL and stat number are set one, few (or each?) of the players/referee might be discontented with the situation. At this point each person at the gaming table has a veto against the set up (though someone can insist that his veto is 'double important', see full document for explanations). The game mechanic opens to the negotiation phase: As no one may alter the numbers set beforehand everyone involved (or uninvolved) tries to make a compromise on a new number, called bonus. The bonus alters the die result and depicts some kind of luck, fate, heroic incentive or just the opposite if it is negative (it is still called bonus).
At this moment a participant may point out again that he is still not entertained by some of the stats of other player's characters. This may affect the negotiation. If still no agreement is coming up there are three options:
1. every participant except the host has the option to leave the table and go home at any time thus optimizing the conflict resolution [CR] (this is not a game term)
2. every participant may demand that the outcome in question has to change to an outcome with which the group more easily agrees on a bonus
3. if there is still no agreement about the final numbers or outcomes the negotiation phase is concluded as a success as any participant is playing together for 'fun' [FU] (see definition in full document) and not against each other (and otherwise the game mechanic would not work).

Bringing it all together (or 'what 50+ years of gaming brought us.. in a nutshell')
If the test with D20 + stat +/- bonus comes up with a number the player who rolled the die or the referee may narrate something (every other player may talk as well in the course of the whole game of course and even talk their fellow players into contents they prefer). Everything someone narrates is true (hence narrative truth, d'uh!) unless he is lying and success and failure is a matter of perspective anyway.
When the gaming group end the adventure (this means narrating over the course of several tests and in between) the players may raise their stat numbers and/or change their stat descriptions. If one player had no fun, he is playing the game WRONG! (for full explanations see wikipedia or any RPG discussion board).

- J.S."Nold"C.III.



Habt ihr Fragen zu Sw:N? Dann stellt sie doch im RSP-Blogs Forum und ich leite sie weiter. Verbesserungsvorschläge sind jedoch aus offensichtlichen Gründen unnötig.
http://forum.rsp-blogs.de/diskussion-und-kommentare/(hoch-ist-gut)-stats-without-numbers/msg13115/#msg13115

Mittwoch, 9. Oktober 2013

Mit Battlemap auf Abwegen

Der September-Karneval der RSP-Blogs zum Thema "Battlemap-Alternativen für Battlemap-Muffel" ist vorüber und ich habe gespannt zugeschaut ... und zugelesen ... und ein wenig zugehört, ohne selbst etwas beizutragen. Da all mein Tun im Hobby und in diesem Blog schlussendlich darauf abzielen wird, sich in Zukunft von einer Kartennutzung (Battlemap, Skizzen, Zonen, "Range Bands") zu trennen und das Rollenspiel in den Bereich zu hieven, in den er hingehört - nämlich in die Köpfe der Mitspieler – will ich mich naträglich noch dazu äußern.

Das Karnevalsthema forderte explizit Alternativen für eine Battlemap ein. Das bedeutet: einen gleichwertigen Ersatz. Ich sage selten, dass etwas unmöglich ist, aber nach jahrelangem Suchen, Recherchieren, Basteln, Entwickeln und Diskutieren sehe ich zurzeit keinerlei Möglichkeiten, das zu bewerkstelligen. Dementsprechend unergiebig war dann auch die Ausbeute des Karnevals. Vielleicht sehe ich den Begriff "Alternative" aber auch zu eng.
Der Nutzen einer Battlemap ist offenkundig und sie stellt das optimale Werkzeug dar in dem, was sie erreichen will, nämlich die möglichst genaue Verortung von Objekten.

Ich gestehe, dass ich Out-time-Kartendarstellungen (also auf Spielerbene) nie sonderlich mochte (aber ich LIEBE In-time Karten). Sie können das Spiel bis hin zum Stillstand verlangsamen, sie verleiten Mitspieler zu Charakter übergeordneten Überlegungen, z.B. das Einbeziehen von Widersachern, die sich hinter einer Häuserecke befinden. Es gehen Spielweltdetails verloren, wie Blogger Andreas(SG) hier erläutert. Sie können eine dramatische Situation zunichte machen, weil einem zwei Zentimeter Bewegungsreichweite fehlen und vieles mehr.
Hier stelle ich die Frage, warum es Spieler gibt, die all das einer Battlemapnutzung unterordnen:

Was will man mit dieser Verortung eigentlich erreichen? 

Da sehe ich folgende Gründe:

- Man will Missverständnisse im Spiel unterbinden. Das ist meines Erachtens das vorrangige Ziel einer Battlemap. Verbal lassen sich nur eine begrenzte Anzahl an räumlichen Details kommunizieren und abspeichern. Schnell passiert es, dass ein Spieler alles spiegelverkehrt sieht oder die falsche Anzahl von Widersachern im Kopf hat und Ähnliches. Das kann zu langen Diskussionen und einem frustrierenden Spielabend führen. Eine Battlemap räumt hier mit vielen Missverständnissen (aber nicht allen, z.B. in der dritten Dimension) auf.

- Man will das Spielerlebnis realitätsnaher darstellen im Sinne der Spielweltrealität. Es ist selbstredend erst einmal "realistischer", wenn ich eine Spielfigur auf einen Meter genau (oder Zentimter, oder Millimeter?...) plazieren kann, als wenn er in einem hypothetischen Teilchennebel schwebt, der sich erst durch das "Hinschauen" beim Beschreiben manifestiert und sich danach sofort wieder verflüchtigt. Es ist nichts anderes als eine Modellierung, ein gradueller Vorgang, an dessen Ende die vollständige Nachbildung der Spielwelt steht. Die Battlemap transportiert hier eine Art primitiver Vorstufe dieses Erlebnisses.

- Man will bindende Konsequenzen der Spielerentscheidungen. Dieser Punkt ist nicht zu unterschätzen, da er am Fundament des Rollenspieles gräbt: Der Selbstbestimmung des Spielers über seinen Charakter. Lässt sich die räumliche Darstellung nicht mehr bindend festlegen, so sind auch ALLE anderen, taktischen Entscheidungen, die der Spieler auf dieser Grundlage trifft (zu welchem Ort bewege ich meinen Charakter mit welcher Motivation, um was zu tun?) auch nicht mehr bindend für alle anderen Mitspieler oder einem selbst. Ist ein verletzter Kamerad noch rechtzeitig erreichbar? Dann rede ich einfach lange genug auf meinen Spielleiter ein, bis er mir erlaubt, dort anzukommen. War der Notausgang links? Ist doch egal, wenn ich es gerade brauche, dann setze ich ihn einfach neben meinen Charakter, vielleicht merkt es ja keiner.
Die Battlemap verschafft dem Rollenspiel hier in gewisser Weise also zu seiner Bestimmung.

Und letzteres ist mein vorrangiger Grund, warum ich mich genötigt sehe, eine Karte in irgendeiner Form zu benutzen. Weil ansonsten die Gefahr besteht, dass man das aus den Augen verliert, was Rollenspiel eigentlich ausmacht, nämlich Entscheidungen und Konsequenzen. Könnte ich es durch etwas ersetzen, was mich nicht nötigt, unzählige Figuren und Skizzen auf dem (viel zu kleinen) Spieltisch auszubreiten, was meine Mitspieler nicht für 1, 2, 3 Stunden am Stück grübelnd gebeugt über der Tischplatte hängen lässt, ohne auch nur einen Zentimeter (no pun intended) im Abenteuer vorwärts zu kommen - ich würde es sofort tun.

Diskutiert mit uns darüber im RSP-Blogs Forum
http://forum.rsp-blogs.de/diskussion-und-kommentare/(hoch-ist-gut)-mit-battlemap-auf-abwegen/

Montag, 30. September 2013

Spielfreiheit - wider die Spielbarkeit (Teil 2)

Eines der meistbemühten, sogenannten Grundpfeiler und Verbreitungsmaschine schlechthin von Rollenspiel ist die Spielfreiheit. Versprochen wird uns, alles sein zu können und alles tun zu können, meist untermauert, das Versprechen durch das gerade präsentierte Regelsystem einlösen zu können. 
Spielfreiheit hat nicht nur einen guten Klang, sondern enthebt den Rollenspielentwickler auch zweckdienlich davon, allzuviel Arbeit aufwenden zu müssen oder für irgendeines der Resultate seines Werkes mitverantwortlich zu sein. Denn es wird ja nichts vorgegeben. Dankbarerweise sieht das der Teil der Spielerschaft genauso, der die strapazierten Regeln sowieso auf Anhieb über Bord wirft, sobald diese der "Spielfreiheit" im Wege stehen und bestätigt dieses Vorgehen dadurch. 
Das uns in diesem Klima Rollenspiele wie Eintagsfliegen um dem Kopf schwirren, und ebenso nahrhaft sind, die keine Fragen beantworten, keine Hilfestellung geben können und wollen, verwundert da nicht. Denn sie könnten ja die Spielfreiheit einschränken. 
Das man von Rollenspielen keine Spielhilfen mehr an die Hand bekommt wie man leitet, Dramatik aufbaut, beschreibt, taktisch und strategisch vorgeht, wie man Spieler einbindet, wie man sich selbst einbindet, was Rollenspiel IST, darüber wundere ich mich schon lange nicht mehr. Denn dies würde die Möglichkeit implizieren etwas falsch machen zu können, würde eine Wertung in die Nutzung des Rollenspiels bringen und das passt nicht in unsere alles tolerierende Gegenwart. 

Lasst sie reden und machen. 
Ganz unromantisch betrachtet bedeutet Spielfreiheit in erster Linie eines: Mehraufwand für die Spielrunde. 
Meist muss die Runde nicht nur entscheiden, welche Konflikte und Persönlichkeiten in ihrer Spielwelt (so vorhanden !) auflodern und wüten, sie muss sich auch die Details, die eine Spielwelt erst lebendig machen, aus den Fingern saugen. Regeln muss sie entweder brechen oder mühselig mit Hausregeln ergänzen oder im Zweifelsfall einfach eine Münze werfen und Spielfigureigenschaften und Entscheidungen damit im Endeffekt aushebeln. Und manchmal muss sie die Regeln auch gleich noch vollständig konvertieren, um sie überhaupt benutzen zu können. Obendrein muss sie untereinander die Spielercharaktere in Bezug auf Persönlichkeit, Aufgabengebiet und Stärke abstimmen, muss sich über die Stimmung des Spieles (lustig/ernst ... ) klar werden und muss entscheiden, welche Rechte und Pflichten jeder Teilnehmer hat, so sie sich denn überhaupt bewusst ist, was das alles bedeutet und welchen Einfluss es auf das Spiel haben wird. Auch sind die meisten von uns weder Dramatiker noch Mathematiker oder Regeleentwickler um die anderen Probleme eigenständig lösen zu können (zu unserem Leidwesen: Die meisten Rollenspielautoren auch nicht). 

Freiheit kann man einem zwar lassen, aber nicht geben.
- F. Schiller 

Und gerade dieser Mehraufwand sollte insbesondere bei älteren Semestern ein Thema sein, bei denen Motivation und Freizeit natürlich ein großes Problem ist. Gerade heute, in der Freizeit neben Smartphone und AppleStore auch für jünge Leute ein immer wichtigeres Gut wird, ist es nicht verkehrt, die Spielfreiheit hinter die Spielbarkeit zu stellen.
Ich kann nicht behaupten, in den letzten Jahren eine gute Runde gehabt zu haben, die "Spielfreiheit" auf die Fahne geschrieben hatte oder in irgendeiner Weise als Nebenaktivität spielbar gewesen wäre. Zu groß sind die Lücken im eigenen Erfahrungshorizont, zu kleinteilig die Absprachen, zu breit die Wissensgebiete und zu kryptisch die Spielregeln, als das eine Spielrunde etwas halbwegs wachhaltendes auf die Beine stellen könnte. Die interessanten Abende waren immer diejenigen mit klaren Vorgaben und klaren Zielen. 

Wie immer ist das kein neuer Ansatz und führt uns zu den Ursprüngen zurück. Schon D&D führte z.B. Klassen, Gesinnungen und Umgebungen ein (der Dungeon). Jedem war klar: Ich spiele diesen Spezialisten, der jenes kann, dort hingeht und die Welt auf diese oder jene weise sieht und sich entsprechend verhält. Gerade letzteres (die Gesinnungen) allein stellen schon eine immens solide Basis als Entscheidungshilfe für einnehmendes, konsequentes Charakterspiel dar ohne auch nur ein Wort über Spieler-/Charakterwissen, Player Enpowerment, Kickers, Bangs usw. zu verlieren. 
Nur um alles davon irgendwann auf dem Altar der Spielfreiheit zu opfern. 

Wenn ich gegenwärtig ein Abenteuer erleben will, in dem ich atmosphärisch aufgehen kann, dann setze ich mich eher zu einer Runde thematischer Brettspiele wie Prophecy, einer Partie Resistance, Konvoi, Junta oder Space Infantry. In gewissem Sinne kann ich sogar Strategiespielen wie Rune Wars, Core Worlds, Dungeon Lords, Richard III. oder Warrior Knights mehr Spielweltatmosphäre abgewinnen, als mich in ein völlig unbeschriebenes Blatt von Spielwelt und Spielrunde mühsam und ohne Erfolgsgarantie einarbeiten zu müssen. Gerade Gesellschaftsspiele haben sich immens weiterentwickelt, sind nicht mehr selten "wie Rollenspiele, aber ohne den langweiligen Teil". 

Wenn ich in einer Kartenpartie Netrunner mehr Cyberpunkatmosphäre atme, als in einer Kampagne Shadowrun, dann liegt das meines Erachtens daran, dass erstes in Sachen Spielmechanik um Lichtjahre durchdachter und weiter ist, als die Krücken, mit denen wir überwiegend seit Jahrzehnten versuchen, zuverlässig Abenteuererlebnisse zu produzieren. 

Rollenspiel gewinnt für mich nicht an Mehrwert, nur weil ich mehr machen kann. Mit der Spielfreiheit bin nach Jahren des Herumexperimentierens, Diskutierens und Recherchierens deshalb auf Erstes durch.
Ich würde mir wünschen, dass Rollenspiele noch klarere Vorgaben, noch bessere Hilfestellungen machen und mutiger sind, den Spielern auch einmal zu sagen: Du kannst DAS nicht, du BRAUCHST das jetzt aber auch NICHT.
Rollenspiel in kontrollierter Umgebung um bestimmte Spielerfahrungen zu erzeugen, gerade für Leute, die keine Erfahrung mit und auch kein Interesse an Theaterkursen, Literatur-Workshops oder Statistikseminare haben. Ich rede dabei nicht von schwammigen, thematischen Indie-Rollenspielen, sondern durchaus umfänglichen Rollenspielen, die fachkundig geschrieben sind und die Spielrunde als Ratgeber führen und in denen sich die Thematik aus den Regelmechanismen ganz natürlich ergibt - in denen unterschiedliche Runden dennoch vergleichbare Ergebnisse erspielen.

Das man dabei dennoch nicht kreativ eingeschränkt sein muss, zeigen Rollen-/Brettspielhybriden wie Battlestations. Doch so etwas ist nur ein kleiner Ausblick, in welche zeitgemäße Richtung sich Rollenspiel in der sehr schnellen Welt entwicklen kann. Ob dies mit den antiquierten Riten und Ansichten durchführbar ist, die all' die Bierdeckelsettings, Charakter-Punktekaufsysteme,  Sandboxen, Simulationsmonster und Erzählregeln hevorgebracht haben, die Rollenspiele auch nach mehreren Wellen der Aufklärung weiter fest in ihrem Griff haben, steht noch aus. Wir können natürlich warten.
Aber ich bin lieber aktiv.


Was ist euer Für und Wider? Diskutiert es im RSP-Blogs Forum:
http://forum.rsp-blogs.de/diskussion-und-kommentare/(hoch-ist-gut)-spielfreiheit-wider-die-spielbarkeit/msg10414/#msg10414

p. S:
Dieser Beitrag ist die Fortsetzung des Beitrags:
Über den Tellerrand: Was wir von Brettspielen lernen können Teil 1
http://hochistgut.blogspot.de/2012/06/uber-den-tellerrand-was-wir-von.html


Samstag, 1. September 2012

[Karneval der Rollenspielblogs September 2012]: Spass an Regeln

Das Gute an einer Blog-Gemeinschaft ist, dass man sich gegenseitig Themen zuschustert. In letzter Zeit sind mir mit Bedenken erregender Häufigkeit haarsträubende Aussagen über "Regeln im Rollenspiel" aufgefallen, konnte den wichtigen Punkt aber noch nicht ganz fassen.
Jetzt es wieder passiert und die Dinge fügen sich zusammen.
Tagschatten berichtete von einer religionswissenschaftlichen Untersuchung mit dem Titel "Ritualisierte Imagination: Das Fantasy-Rollenspiel "Das Schwarze Auge"

Er schreibt dazu: Implizit wird hier gesagt: Regeln seien dazu da, die Macht der Spieler zu begrenzen. Bei (fast) allen anderen Rollenspielen hätte ich aufgejault.

Was Tagschatten hier aufjaulen lässt, ist allerdings eine elementare Eigenschaft von Regeln. Regeln dienen dazu, einzuschränken und Ordnung zu schaffen. Regeln können keine Freiheit schaffen. Er spricht hingegen unwillkürlich von etwas Anderem. Und damit kommen wir zu einem grundsätzlichen Missverständnis in vielen Rollenspieldiskussionen der Regelspieler gegen die Freiform Apologeten: 

Den Anspruch an Regeln oder die Regeln als Spaßquelle.

Prinzipiell gibt es zwei große Bewegungen in der Spielerschaft: Solche Rollenspieler, die nach Regeln spielen und solche, die nach Richtlinien spielen.
Was ist der Unterschied?
Regeln sind Handlungsanweisungen ohne Interpretationsspielraum. Richtlinien sind im Grunde Vorschläge im weiten Sinne. Regeln führen unabhängig vom Benutzer immer zu demselben Ergebnis, Richtlinien sind im Grunde Auslegungssache und kaum reproduzierbar.
Ein Kochrezept wäre eine Richtlinie, ein physikalisches Gesetz wäre eine Regel.

In erster Linie sind das Anforderungen an unterschiedliche Spielstile.
Freiformer benötigen über Richtlinien größere Freiräume (was nicht gleichbedeutend ist mit "Freiräume schaffen"), um ihre unterschiedlichen Spielgeschmäcker gleichwertig einbringen zu können. Wenn eine Richtlinie sagt "ein Spieler erhält +1 auf einen Würfelwurf, wenn er etwas Cooles erzählt", dann ist das soweit gefasst, dass sich der Spieler lediglich auf etwas "cooles" beschränken muss und ein Roboter und Urmensch geichwertig einen Konflikt austragen können.
Für Rollenspieler, die ein Wettbewerbsklima in der Spielrunde möchten, in denen die Mitspieler also versuchen mit all ihren Möglichkeiten Vorteile zu erringen ähnlich einem Brettspiel, für die sind Richtlinien keine Alternative. Sie benötigen Regeln als Schlichter, Schiedsrichter und unabhängige Instanz. Hierbei ist es nicht wichtig wer diese Regeln geschaffen hat, denn schlussendlich ist auch der Regelentwickler subjektiv, sondern, dass sie exakt eingehalten werden können.

Zwischen diesen beiden Extremen pendeln sich alle Rollenspiele ein, wir haben also einen fließenden Übergang mit dem Parameter "Freheitseinschränkung". Die Fähigkeit "Kampf gewinnen" bietet mehr Freiraum als "Kämpfen" und mehr als "Kämpfen mit Schwert" und mehr als "Kämpfen mit Schwert auf 1 m Abstand" und so weiter.

Zu bedenken ist allerdings, dass kein Rollenspiel echte Regeln hat, also das eine Extrem niemals erreichen kann. Brettspiele haben Regeln (z.B. Schach: bewege den Bauer um 1 Feld nach vorne, lässt du ihn los, ist der Zug beendet). Die Freiheiten aber, die Spieler in ihren Rollen in der Spielwelt benötigen, können unmöglich vollständig mit Regeln abgedeckt sein. Es bleibt ein letzter Einfluss subjektiver Entscheidung (wie komme ich diesen Baum hoch, muss ich schon auf die Fähigkeit Klettern würfeln oder funktioniert es auch ohne Würfelwurf?).
Umgekehrt kann kein Rollenspiel echte Freiheit haben, also auch nicht das andere Extrem erreichen, denn Mitspieler müssen Vereinbarungen treffen, die sich nicht brechen dürfen, um miteinander spielen zu können.




Mir persönlich geht es so, das ich mich nicht bemühe, wenn etwas im Rollenspiel keinen Unterschied macht. Wenn ein Rollenspiel mit der Fähigkeit "Kämpfen" entscheidet, ob mein Charakter gewinnt, dann sehe ich keinen Sinn mehr darin noch zu beschreiben, ob ich das jetzt "flink mit meinem Dolch in der Nacht" oder "brüllend auf offenem Feld mit der Axt schwingend" durchgeführt habe, denn es wirkt sich ja nicht aus, aber genau daran haben Freiformer eben Spass.
Hinzu kommt, allerdings: Ist eine Richtlinie so weit gefasst, dass sie im Grunde nach jeder Ansage die Zustimmung der Mitspieler benötigt, dann sehe ich keinen Grund, sie überhaupt zu benutzen oder am Ende sogar noch Geld dafür zu bezahlen. Wenn die Mitspieler sich ohnehin einigen müssen, dann können sie das auch ohne das Rollenspiel. Und das ist zum Beispiel auch genau das, was regellose Rollenspieler tun wie im Rollenspiel Daidalos.
Problematisch werden diese Richtlinien zudem, wenn man Spielrunden oder Mitspieler wechselt, denn hier ist das Konfliktpotenzial am Größten. Dieser neue Spieler muss sich erst einmal in die ungeäußerten Annahmen der Spielrunde einfinden. Hätte er Regeln zur Verfügung, müsste er diese nur lesen und kann ohne Reibereien sofort teilnehmen.
Mein letzter Kritikpunkt an Richtlinien ist, dass den Spielern häufig die Grundlage fehlt, um überhaupt eine Entscheidung treffen zu können. Vielleicht können sie noch gemeinsam entscheiden, was eine "coole Beschreibung" ist, ohne sich gegenseitig an den Hals zu fallen. Sie können vermutlich auch entscheiden, dass man mit einem Schwert niemanden mit Schlägen heilen kann, aber was ist mit weniger offensichtlichen Situationen? Können sie auch entscheiden, wie weit man zum Beispiel pro Tag zu Fuß durch unzugängliches Gelände laufen kann, wenn sie nichts darüber wissen? Auch hier sind Regeln von Vorteil, da sie im Optimalfall aus der Hand einer Person kommen, die genug Zeit hatte, sich damit auseinander zu setzen, warum eine Regel wie wirken muss, um einen bestimmten Stil zu erreichen.
Der Kritikpunkt an Regeln hingegen ist, dass es sehr aufwändig ist, eine große Menge an Detail und Vorschriften in möglichst wenig Regeln zu binden, woran schlussendlich auch die meisten komplexen Systeme scheitern. Der zweite Kritikpunkt ist, dass der Entwickler im Vorfeld entscheiden muss, was in seinem Spiel wichtig genug ist, verregelt zu werden. Denn alles andere muss schlussendlich wieder über eine interne Abstimmung verhandelt werden. Zuletzt müssen diese Regeln natürlich auch erst einmal gelernt werden, während spielfertige Richtlinien bereits auf einen Bierdeckel passen. 

Man muss sich über die unterschiedlichen Eigenheiten von Regeln und Richtlinien im Klaren sein, um entscheiden zu können, ob sie den eigenen Spielspaß schmälern oder erhöhen.

dieser Beitrag ist Teil des Karvenals der Rollenspielblogs auf RSP-Blogs.de
Der Thread im Forum

Sonntag, 17. Juni 2012

Über den Tellerrand: Was wir von Brettspielen lernen können Teil 1

Ich bin ja ein Freund von guten Erzählmechanismen in Rollenspielen. Das merkt man sicher, wenn man hier öfters liest. 
*BAFF* Was schreibt er?
Ja, die Betonung liegt dabei allerdings auf GUT. Ich spiele nicht jedes Rollenspiel, nur weil "Erzählspiel" darauf steht. Aber würde ich sie nicht mögen, würde ich mich nicht so intensiv damit beschäftigen, wie manch ein kritikloser Jubelperser.

Und meinem Empfinden nach kommt wieder etwas in Bewegung. Nach einer (abermaligen), hitzigen Diskussion in einem RPG-Forum über das Marvel RPG in seinem Versuch "Comic-Action" abzubilden; dem Vorhaben eines "Kartenrollenspieles" namens TriCard des Users Merimac im RSP-Blogs-Forum und in seinem Blog ; dem Rollenspiel Trading Card Game Path to Power über Kickstarter; dem Abenteuerbrettspiel Battlestations von 2004, über das ich vermutlich noch berichten werde; dann dem John Sinclair RPG sowie dem Justifiers RPG von Ulisses oder gar dem Einsteigerrollenspiel "Quest" von Pegasus Spiele ...
*lufthol*

... habe ich den Eindruck, dass Rollenspielhybriden zur Zeit in Mode sind, kommen oder kamen. Ein RPG-Hybrid besitzt Elemente eines Rollenspieles (man spielt eine Rolle mit Fähigkeiten, auf die getestet wird und agiert frei in einer Spielwelt) aber stellt gleichzeitig nur einen begrenzten Handlungsspielraum zur Verfügung wie ein Brettspiel. Die Einschränkungen orientieren sich am abgebildeten Genre. In einem Marvel-Brettspiel könnte der Hulk vermutlich kein Sturmgewehr benutzen, weil der Hulk das nicht tut. Grundsätzlich hindert ihn kein physikalisches Gesetz der Marvelwelt daran, ein Sturmgewehr abzufeuern, vermutlich würde er es aber eher als Zahnstocher benutzen. Das nennt man Konvention.
Übertragen auf einen RPG-Hybrid könnte ein Spielercharakter zum Beispiel nur aus einem Kampfwert und einem Sozialwert, aber keinem "Fahrenwert" bestehen, obwohl es im Spiel Autos gibt,  man aber einfach gar nicht in die Situation kommt, Autos zu fahren.

Jetzt könnte man sagen, die Brettspiele Drachenhort, HeroQuest oder Talisman wären dann ja bereits RPG-Hybriden, aber der Unterschied liegt darin, das ein Rollenspiel eben kein Spielziel vorgibt und auch die Szenarien und Abenteuer frei erfunden werden und oft inhaltlich miteinander zusammenhängen. Zudem kann, muss aber nicht, in einem Rollenspiel auch schauspielerisch ausgespielt werden, was in Brettspielen nur in speziellen Umsetzungen vorkommt..
Man könnte auch mit Drachenhort oder HeroQuest Ausspielen und Abenteuerkampagnen spielen, aber genau dann wird es ja auch zu einem RPG-Hybrid und wird nicht mehr in seiner ursprünglichen Intention gespielt. Manche Spieler tun das sogar seit vielen Jahren. Diese bauen dann zum Beispiel eine Dorfphase in HeroQuest ein, in der sich die Helden ausrüsten können. Interessanterweise gibt es solche Spieler, die wiederum mit klassischem Rollenspiel nichts am Hut haben. Dahinter befindet sich mutmaßlich eine Art dritte Community zwischen Tabletop und Rollenspiel. Fakt ist, zahlreiche Internetseiten bauen diese Abenteuerspiele mit Rollenspielelementen aus:
zu HeroQuest:

Das sind natürlich nur Krücken und bieten nur ein sehr eingeschränktes Rollenspielerlebnis, da sie nicht wirklich dafür konzipiert sind. Was können wir also daraus lernen? Ich frage mich, ob ein Hybrid nicht ein gutes Rollenspielkonzept ist. Dazu muss man verstehen, was Spielfreiheit als das Merkmal von Rollenspielen schlechthin ist. Spielfreiheit im Rollenspiel bedeutet, dass ein Spieler alle Handlungen ansagen kann, die seine Rolle theoretisch auch durchführen könnte. Die Regeln stehen dann in der Pflicht, diese Handlungen so umzusetzen, dass sie charakteristische Auswirkungen auf die Spielwelt haben. Daran scheitern grundsätzlich alle Rollenspiele, manche mehr, manche weniger und das ist schnell erläutert:
Unendliche Spielfreiheit bedeutet unendliche Komplexität oder absolute Trivialität, je nach Spielansatz. Jedes Rollenspiel muss damit an seinem eigenen Anspruch scheitern. Manche Rollenspiele versuchen die Komplexität abzubilden und scheitern an Unspielbarkeit, die anderen gehen den Weg über die Abstraktion und vernachlässigen dabei einen Großteil der Auswirkungen der Entscheidungen eines Spielers, wodurch sie trivial werden. In beiden Fällen kommt es so immer wieder zu Diskussionen und/oder Missverständnissen darüber, warum gerade eine fragliche Handlung sich nun nicht so auswirkt, wie sich der Spieler es gerade vorstellt => Es sind einfach keine Regeln vorhanden, um es umzusetzen.

Wenn wir also kein Rollenspiel schreiben können, das die Bedingung eines Rollenspieles erfüllt, dann sollte man Alternativen ins Auge fassen. 

Man muss sich überlegen, was man für den Verzicht der (illusorischen) absoluten Spielfreiheit im Gegenzug erhält. Das wichtigste Merkmal ist, dass so gut wie alle Missverständnisse über den Spielstil eliminiert werden, die eine RPG-Runde haben kann. Niemand hat mehr die Möglichkeit aus dem Stil auszubrechen und die klaren Regeln lassen keinen Spielraum für Interpretationen. Diskussionen über den Spielverlauf im Brettspiel Talisman sind zum Beispiel weitestgehend unbekannt, in Rollenspielrunden dagegen sind sie an der Tagesordnung. Auch lösen Brettspiele die Frage der Spielbalance und der fairen Beteiligung aller Spieler meist wesentlich eleganter. Man muss die Frage stellen dürfen: Warum sollte ich im RPG auch etwas tun dürfen, was weder dem Spielstil, noch der Spielbalance, noch der Fairness nützt? Rollenspiele erkaufen sich ihre angebliche Spielfreiheit damit sehr teuer.
Ein RPG-Hybrid wäre natürlich kein Ersatz für klassisches Rollenspiel, aber ich denke, eine sehr effektive Art, seichte Rollenspielerlebnisse zu haben und ein Genre punktgenau abbilden zu können. Denn, wenn niemand aus der Reihe tanzen kann, dann kann auch das Genre nicht verfehlt werden. Es wäre auch das One-Shot Spiel schlechthin, wenn es universell ist.

In D&D adventure paths (AP) findet man so etwas Ähnliches schon. Diese bestehen im Grunde nur aus Kampfencountern zwischen denen der SL erzählt, wie sie zusammenhängen. Ein Ausbrechen ist aber so gut wie unmöglich ohne den AP obsolet zu machen. Das ist natürlich ein sehr schlecht ausgenutztes Potenzial des Konzeptes, aber der Grundgedanke ist da.
Besser macht es da womöglich Ulisses mit seinem Justifier-"RPG". Die Spieler haben klar vorgegebene Möglichkeiten und können nicht mehr alles tun, was theoretisch möglich wäre, die Struktur des Spieles vermittelt aber dafür zuverlässig das entsprechende Genre. Ulisses versucht hier den Begriff Abenteuerspiel zu etablieren, was ich unglücklich finde und nicht fortführe, da Abenteuerspiele bereits durch Fantasybrettspiele wie Drachenhort oder HeroQuest abgedeckt sind und im Rollenspiel durch die OldSchool-Vertreter des ARS (Abenteuerrollenspiel !) besetzt sind. Doch auch die Ulisses RPG-Hybriden scheitern an zu enger Linienführung, die Freiheiten sind so gut wie gar nicht mehr vorhanden, das Abenteuer bereits vorgegeben.
Ein RPG-Hybrid, der die Stärke von Brettspielen, also klare Optionen mit klaren Auswirkungen und die Stärke von Rollenspielen, also Spielfreiheit und Konsequenzen, miteinander verbinden kann, wäre ein sehr mächtiges Werkzeug für imaginäre Abenteuer.
Wie uns auch dabei Brettspiele Anreize und Ideen geben können und wie auch Brettspiele Geschichten erzeugen können, versuche ich im zweiten Teil konkreter zu beschreiben.

Wie seht ihr die Zukunft von RPG-Hybriden? Zukunft oder Sackgasse des Rollenspieles?
Eine Diskussion gibts im RSP-Blogs-Forum
http://forum.rsp-blogs.de/diskussion-und-kommentare/(hoch-ist-gut)-uber-den-tellerrand-was-wir-von-brettspielen-lernen-konnen-teil/msg7351/#msg7351