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Montag, 30. September 2013

Spielfreiheit - wider die Spielbarkeit (Teil 2)

Eines der meistbemühten, sogenannten Grundpfeiler und Verbreitungsmaschine schlechthin von Rollenspiel ist die Spielfreiheit. Versprochen wird uns, alles sein zu können und alles tun zu können, meist untermauert, das Versprechen durch das gerade präsentierte Regelsystem einlösen zu können. 
Spielfreiheit hat nicht nur einen guten Klang, sondern enthebt den Rollenspielentwickler auch zweckdienlich davon, allzuviel Arbeit aufwenden zu müssen oder für irgendeines der Resultate seines Werkes mitverantwortlich zu sein. Denn es wird ja nichts vorgegeben. Dankbarerweise sieht das der Teil der Spielerschaft genauso, der die strapazierten Regeln sowieso auf Anhieb über Bord wirft, sobald diese der "Spielfreiheit" im Wege stehen und bestätigt dieses Vorgehen dadurch. 
Das uns in diesem Klima Rollenspiele wie Eintagsfliegen um dem Kopf schwirren, und ebenso nahrhaft sind, die keine Fragen beantworten, keine Hilfestellung geben können und wollen, verwundert da nicht. Denn sie könnten ja die Spielfreiheit einschränken. 
Das man von Rollenspielen keine Spielhilfen mehr an die Hand bekommt wie man leitet, Dramatik aufbaut, beschreibt, taktisch und strategisch vorgeht, wie man Spieler einbindet, wie man sich selbst einbindet, was Rollenspiel IST, darüber wundere ich mich schon lange nicht mehr. Denn dies würde die Möglichkeit implizieren etwas falsch machen zu können, würde eine Wertung in die Nutzung des Rollenspiels bringen und das passt nicht in unsere alles tolerierende Gegenwart. 

Lasst sie reden und machen. 
Ganz unromantisch betrachtet bedeutet Spielfreiheit in erster Linie eines: Mehraufwand für die Spielrunde. 
Meist muss die Runde nicht nur entscheiden, welche Konflikte und Persönlichkeiten in ihrer Spielwelt (so vorhanden !) auflodern und wüten, sie muss sich auch die Details, die eine Spielwelt erst lebendig machen, aus den Fingern saugen. Regeln muss sie entweder brechen oder mühselig mit Hausregeln ergänzen oder im Zweifelsfall einfach eine Münze werfen und Spielfigureigenschaften und Entscheidungen damit im Endeffekt aushebeln. Und manchmal muss sie die Regeln auch gleich noch vollständig konvertieren, um sie überhaupt benutzen zu können. Obendrein muss sie untereinander die Spielercharaktere in Bezug auf Persönlichkeit, Aufgabengebiet und Stärke abstimmen, muss sich über die Stimmung des Spieles (lustig/ernst ... ) klar werden und muss entscheiden, welche Rechte und Pflichten jeder Teilnehmer hat, so sie sich denn überhaupt bewusst ist, was das alles bedeutet und welchen Einfluss es auf das Spiel haben wird. Auch sind die meisten von uns weder Dramatiker noch Mathematiker oder Regeleentwickler um die anderen Probleme eigenständig lösen zu können (zu unserem Leidwesen: Die meisten Rollenspielautoren auch nicht). 

Freiheit kann man einem zwar lassen, aber nicht geben.
- F. Schiller 

Und gerade dieser Mehraufwand sollte insbesondere bei älteren Semestern ein Thema sein, bei denen Motivation und Freizeit natürlich ein großes Problem ist. Gerade heute, in der Freizeit neben Smartphone und AppleStore auch für jünge Leute ein immer wichtigeres Gut wird, ist es nicht verkehrt, die Spielfreiheit hinter die Spielbarkeit zu stellen.
Ich kann nicht behaupten, in den letzten Jahren eine gute Runde gehabt zu haben, die "Spielfreiheit" auf die Fahne geschrieben hatte oder in irgendeiner Weise als Nebenaktivität spielbar gewesen wäre. Zu groß sind die Lücken im eigenen Erfahrungshorizont, zu kleinteilig die Absprachen, zu breit die Wissensgebiete und zu kryptisch die Spielregeln, als das eine Spielrunde etwas halbwegs wachhaltendes auf die Beine stellen könnte. Die interessanten Abende waren immer diejenigen mit klaren Vorgaben und klaren Zielen. 

Wie immer ist das kein neuer Ansatz und führt uns zu den Ursprüngen zurück. Schon D&D führte z.B. Klassen, Gesinnungen und Umgebungen ein (der Dungeon). Jedem war klar: Ich spiele diesen Spezialisten, der jenes kann, dort hingeht und die Welt auf diese oder jene weise sieht und sich entsprechend verhält. Gerade letzteres (die Gesinnungen) allein stellen schon eine immens solide Basis als Entscheidungshilfe für einnehmendes, konsequentes Charakterspiel dar ohne auch nur ein Wort über Spieler-/Charakterwissen, Player Enpowerment, Kickers, Bangs usw. zu verlieren. 
Nur um alles davon irgendwann auf dem Altar der Spielfreiheit zu opfern. 

Wenn ich gegenwärtig ein Abenteuer erleben will, in dem ich atmosphärisch aufgehen kann, dann setze ich mich eher zu einer Runde thematischer Brettspiele wie Prophecy, einer Partie Resistance, Konvoi, Junta oder Space Infantry. In gewissem Sinne kann ich sogar Strategiespielen wie Rune Wars, Core Worlds, Dungeon Lords, Richard III. oder Warrior Knights mehr Spielweltatmosphäre abgewinnen, als mich in ein völlig unbeschriebenes Blatt von Spielwelt und Spielrunde mühsam und ohne Erfolgsgarantie einarbeiten zu müssen. Gerade Gesellschaftsspiele haben sich immens weiterentwickelt, sind nicht mehr selten "wie Rollenspiele, aber ohne den langweiligen Teil". 

Wenn ich in einer Kartenpartie Netrunner mehr Cyberpunkatmosphäre atme, als in einer Kampagne Shadowrun, dann liegt das meines Erachtens daran, dass erstes in Sachen Spielmechanik um Lichtjahre durchdachter und weiter ist, als die Krücken, mit denen wir überwiegend seit Jahrzehnten versuchen, zuverlässig Abenteuererlebnisse zu produzieren. 

Rollenspiel gewinnt für mich nicht an Mehrwert, nur weil ich mehr machen kann. Mit der Spielfreiheit bin nach Jahren des Herumexperimentierens, Diskutierens und Recherchierens deshalb auf Erstes durch.
Ich würde mir wünschen, dass Rollenspiele noch klarere Vorgaben, noch bessere Hilfestellungen machen und mutiger sind, den Spielern auch einmal zu sagen: Du kannst DAS nicht, du BRAUCHST das jetzt aber auch NICHT.
Rollenspiel in kontrollierter Umgebung um bestimmte Spielerfahrungen zu erzeugen, gerade für Leute, die keine Erfahrung mit und auch kein Interesse an Theaterkursen, Literatur-Workshops oder Statistikseminare haben. Ich rede dabei nicht von schwammigen, thematischen Indie-Rollenspielen, sondern durchaus umfänglichen Rollenspielen, die fachkundig geschrieben sind und die Spielrunde als Ratgeber führen und in denen sich die Thematik aus den Regelmechanismen ganz natürlich ergibt - in denen unterschiedliche Runden dennoch vergleichbare Ergebnisse erspielen.

Das man dabei dennoch nicht kreativ eingeschränkt sein muss, zeigen Rollen-/Brettspielhybriden wie Battlestations. Doch so etwas ist nur ein kleiner Ausblick, in welche zeitgemäße Richtung sich Rollenspiel in der sehr schnellen Welt entwicklen kann. Ob dies mit den antiquierten Riten und Ansichten durchführbar ist, die all' die Bierdeckelsettings, Charakter-Punktekaufsysteme,  Sandboxen, Simulationsmonster und Erzählregeln hevorgebracht haben, die Rollenspiele auch nach mehreren Wellen der Aufklärung weiter fest in ihrem Griff haben, steht noch aus. Wir können natürlich warten.
Aber ich bin lieber aktiv.


Was ist euer Für und Wider? Diskutiert es im RSP-Blogs Forum:
http://forum.rsp-blogs.de/diskussion-und-kommentare/(hoch-ist-gut)-spielfreiheit-wider-die-spielbarkeit/msg10414/#msg10414

p. S:
Dieser Beitrag ist die Fortsetzung des Beitrags:
Über den Tellerrand: Was wir von Brettspielen lernen können Teil 1
http://hochistgut.blogspot.de/2012/06/uber-den-tellerrand-was-wir-von.html


Sonntag, 17. Juni 2012

Über den Tellerrand: Was wir von Brettspielen lernen können Teil 1

Ich bin ja ein Freund von guten Erzählmechanismen in Rollenspielen. Das merkt man sicher, wenn man hier öfters liest. 
*BAFF* Was schreibt er?
Ja, die Betonung liegt dabei allerdings auf GUT. Ich spiele nicht jedes Rollenspiel, nur weil "Erzählspiel" darauf steht. Aber würde ich sie nicht mögen, würde ich mich nicht so intensiv damit beschäftigen, wie manch ein kritikloser Jubelperser.

Und meinem Empfinden nach kommt wieder etwas in Bewegung. Nach einer (abermaligen), hitzigen Diskussion in einem RPG-Forum über das Marvel RPG in seinem Versuch "Comic-Action" abzubilden; dem Vorhaben eines "Kartenrollenspieles" namens TriCard des Users Merimac im RSP-Blogs-Forum und in seinem Blog ; dem Rollenspiel Trading Card Game Path to Power über Kickstarter; dem Abenteuerbrettspiel Battlestations von 2004, über das ich vermutlich noch berichten werde; dann dem John Sinclair RPG sowie dem Justifiers RPG von Ulisses oder gar dem Einsteigerrollenspiel "Quest" von Pegasus Spiele ...
*lufthol*

... habe ich den Eindruck, dass Rollenspielhybriden zur Zeit in Mode sind, kommen oder kamen. Ein RPG-Hybrid besitzt Elemente eines Rollenspieles (man spielt eine Rolle mit Fähigkeiten, auf die getestet wird und agiert frei in einer Spielwelt) aber stellt gleichzeitig nur einen begrenzten Handlungsspielraum zur Verfügung wie ein Brettspiel. Die Einschränkungen orientieren sich am abgebildeten Genre. In einem Marvel-Brettspiel könnte der Hulk vermutlich kein Sturmgewehr benutzen, weil der Hulk das nicht tut. Grundsätzlich hindert ihn kein physikalisches Gesetz der Marvelwelt daran, ein Sturmgewehr abzufeuern, vermutlich würde er es aber eher als Zahnstocher benutzen. Das nennt man Konvention.
Übertragen auf einen RPG-Hybrid könnte ein Spielercharakter zum Beispiel nur aus einem Kampfwert und einem Sozialwert, aber keinem "Fahrenwert" bestehen, obwohl es im Spiel Autos gibt,  man aber einfach gar nicht in die Situation kommt, Autos zu fahren.

Jetzt könnte man sagen, die Brettspiele Drachenhort, HeroQuest oder Talisman wären dann ja bereits RPG-Hybriden, aber der Unterschied liegt darin, das ein Rollenspiel eben kein Spielziel vorgibt und auch die Szenarien und Abenteuer frei erfunden werden und oft inhaltlich miteinander zusammenhängen. Zudem kann, muss aber nicht, in einem Rollenspiel auch schauspielerisch ausgespielt werden, was in Brettspielen nur in speziellen Umsetzungen vorkommt..
Man könnte auch mit Drachenhort oder HeroQuest Ausspielen und Abenteuerkampagnen spielen, aber genau dann wird es ja auch zu einem RPG-Hybrid und wird nicht mehr in seiner ursprünglichen Intention gespielt. Manche Spieler tun das sogar seit vielen Jahren. Diese bauen dann zum Beispiel eine Dorfphase in HeroQuest ein, in der sich die Helden ausrüsten können. Interessanterweise gibt es solche Spieler, die wiederum mit klassischem Rollenspiel nichts am Hut haben. Dahinter befindet sich mutmaßlich eine Art dritte Community zwischen Tabletop und Rollenspiel. Fakt ist, zahlreiche Internetseiten bauen diese Abenteuerspiele mit Rollenspielelementen aus:
zu HeroQuest:

Das sind natürlich nur Krücken und bieten nur ein sehr eingeschränktes Rollenspielerlebnis, da sie nicht wirklich dafür konzipiert sind. Was können wir also daraus lernen? Ich frage mich, ob ein Hybrid nicht ein gutes Rollenspielkonzept ist. Dazu muss man verstehen, was Spielfreiheit als das Merkmal von Rollenspielen schlechthin ist. Spielfreiheit im Rollenspiel bedeutet, dass ein Spieler alle Handlungen ansagen kann, die seine Rolle theoretisch auch durchführen könnte. Die Regeln stehen dann in der Pflicht, diese Handlungen so umzusetzen, dass sie charakteristische Auswirkungen auf die Spielwelt haben. Daran scheitern grundsätzlich alle Rollenspiele, manche mehr, manche weniger und das ist schnell erläutert:
Unendliche Spielfreiheit bedeutet unendliche Komplexität oder absolute Trivialität, je nach Spielansatz. Jedes Rollenspiel muss damit an seinem eigenen Anspruch scheitern. Manche Rollenspiele versuchen die Komplexität abzubilden und scheitern an Unspielbarkeit, die anderen gehen den Weg über die Abstraktion und vernachlässigen dabei einen Großteil der Auswirkungen der Entscheidungen eines Spielers, wodurch sie trivial werden. In beiden Fällen kommt es so immer wieder zu Diskussionen und/oder Missverständnissen darüber, warum gerade eine fragliche Handlung sich nun nicht so auswirkt, wie sich der Spieler es gerade vorstellt => Es sind einfach keine Regeln vorhanden, um es umzusetzen.

Wenn wir also kein Rollenspiel schreiben können, das die Bedingung eines Rollenspieles erfüllt, dann sollte man Alternativen ins Auge fassen. 

Man muss sich überlegen, was man für den Verzicht der (illusorischen) absoluten Spielfreiheit im Gegenzug erhält. Das wichtigste Merkmal ist, dass so gut wie alle Missverständnisse über den Spielstil eliminiert werden, die eine RPG-Runde haben kann. Niemand hat mehr die Möglichkeit aus dem Stil auszubrechen und die klaren Regeln lassen keinen Spielraum für Interpretationen. Diskussionen über den Spielverlauf im Brettspiel Talisman sind zum Beispiel weitestgehend unbekannt, in Rollenspielrunden dagegen sind sie an der Tagesordnung. Auch lösen Brettspiele die Frage der Spielbalance und der fairen Beteiligung aller Spieler meist wesentlich eleganter. Man muss die Frage stellen dürfen: Warum sollte ich im RPG auch etwas tun dürfen, was weder dem Spielstil, noch der Spielbalance, noch der Fairness nützt? Rollenspiele erkaufen sich ihre angebliche Spielfreiheit damit sehr teuer.
Ein RPG-Hybrid wäre natürlich kein Ersatz für klassisches Rollenspiel, aber ich denke, eine sehr effektive Art, seichte Rollenspielerlebnisse zu haben und ein Genre punktgenau abbilden zu können. Denn, wenn niemand aus der Reihe tanzen kann, dann kann auch das Genre nicht verfehlt werden. Es wäre auch das One-Shot Spiel schlechthin, wenn es universell ist.

In D&D adventure paths (AP) findet man so etwas Ähnliches schon. Diese bestehen im Grunde nur aus Kampfencountern zwischen denen der SL erzählt, wie sie zusammenhängen. Ein Ausbrechen ist aber so gut wie unmöglich ohne den AP obsolet zu machen. Das ist natürlich ein sehr schlecht ausgenutztes Potenzial des Konzeptes, aber der Grundgedanke ist da.
Besser macht es da womöglich Ulisses mit seinem Justifier-"RPG". Die Spieler haben klar vorgegebene Möglichkeiten und können nicht mehr alles tun, was theoretisch möglich wäre, die Struktur des Spieles vermittelt aber dafür zuverlässig das entsprechende Genre. Ulisses versucht hier den Begriff Abenteuerspiel zu etablieren, was ich unglücklich finde und nicht fortführe, da Abenteuerspiele bereits durch Fantasybrettspiele wie Drachenhort oder HeroQuest abgedeckt sind und im Rollenspiel durch die OldSchool-Vertreter des ARS (Abenteuerrollenspiel !) besetzt sind. Doch auch die Ulisses RPG-Hybriden scheitern an zu enger Linienführung, die Freiheiten sind so gut wie gar nicht mehr vorhanden, das Abenteuer bereits vorgegeben.
Ein RPG-Hybrid, der die Stärke von Brettspielen, also klare Optionen mit klaren Auswirkungen und die Stärke von Rollenspielen, also Spielfreiheit und Konsequenzen, miteinander verbinden kann, wäre ein sehr mächtiges Werkzeug für imaginäre Abenteuer.
Wie uns auch dabei Brettspiele Anreize und Ideen geben können und wie auch Brettspiele Geschichten erzeugen können, versuche ich im zweiten Teil konkreter zu beschreiben.

Wie seht ihr die Zukunft von RPG-Hybriden? Zukunft oder Sackgasse des Rollenspieles?
Eine Diskussion gibts im RSP-Blogs-Forum
http://forum.rsp-blogs.de/diskussion-und-kommentare/(hoch-ist-gut)-uber-den-tellerrand-was-wir-von-brettspielen-lernen-konnen-teil/msg7351/#msg7351

Montag, 3. August 2009

Was ist freies Rollenspiel? [Teil2]

Hier ist der zweite Teil meiner Zusammenstellung von Spielkonzepten, die ich zur Zeit im freien Rollenspiel verwende. Der erste Teil findet sich hier


Hausregeln (einfach zu modifizierende Regeln)
Mit Hausregeln beschäftige ich mich erst seit kurzem. Früher waren sie für mich ein Mittel um Fehler in schlecht geschriebenen Rollenspielsystemen zu beheben und ich glaube, die meisten Rollenspieler komplexer Regelwerke benutzen sie auch so. Gleichzeitig schienen mir simple Regelwerke einfach unvollständig und weniger leistungsfähig als komplexe zu sein. Hausregeln zu benutzen kam mir bei ihnen gar nicht in den Sinn, da ich ja nicht dem Rollenspielautor die Arbeit abnehmen wollte. Und viele Rollenspieler, die ich kenne, bevorzugen leichte Systeme eben weil es gerade kaum Regeln gibt.
Ich stieß dann darauf, daß es zahlreiche Regelsysteme gibt, die absichtlich “unvollständig” geschrieben wurden, deren Grundmechanismus aber darauf ausgelegt ist, mit Hausregeln versehen zu werden. Der Anstoß dazu gab Risus für mich, bei dem das Prinzip bis zum Exzess getrieben wird. Und mir wurde klar, daß Hausregeln nicht als Fehlerkorrektur gedacht sind, sondern als Individualisierungselement und schnelle Stellschraube; Und das so ein, an die Gruppe anpasstes System, wie ein gut sitzender Anzug ist und genau so leistungsfähig und detailliert wie ein komplexes Regelwerk mit Aberhunderten von Seiten ist, aber leichter zu handhaben. Die Regeln passen sich der Spielwelt an, nicht umgekehrt.
Schnell wollte ich auch Hausregeln in anderen leicht zugänglichen Regelwerken benutzen wie D&D4 oder Savage Worlds. Das machte mich endlich unabhängig von Regelmonstern wie DSA oder GURPS.


Detaillierte, unbekannte Spielwelten
Wenn gute Regeln die Knochen des Rollenspiels sind, sind die Spielwelten das Fleisch. Die Charakterbeziehungen sind wesentlich unterhaltsamer, wenn sie eine Bühne haben um sich auszutoben. Gleichzeitig hat man durch viele Situationen mit “Sense Of Wonder” ein charakterunabhängiges Element, mit dem man sich beschäftigen kann. Zudem bieten funktionslose, atmosphärische Details wie Rituale, Legenden, Gepflogenheiten und Kultur im Allgemeinen eine Auflockerung der Charakterprobleme und verschaffen dem Spieler ein tieferes Eintauchen in die Spielwelt. Oberflächlich ausgestaltete Spielwelten hatten für mich seit jeher keinen besonderen Reiz und auch Spielwelten in der Gegenwart meide ich größtenteils wegen des Mangels an Sense Of Wonder. Der einzige Unterschied zwischen früherem und jetzigem Spiel ist, daß ich mehr Wert darauf lege, daß die Spielwelt den Spielern zu Anfangs verschlossen ist, um den Entdeckerdrang als zusätzliche Unterhaltungs- und Motivationsquelle anzutreiben. Als Spieler möchte ich die Spielwelt im Spiel erleben und nicht ausserhalb in Texten oder gar als Unterbrechung mit den Mitspielern rezipieren. Die Gefahr, daß dies zum zentralen Element des Spiels verkommt, ist dabei sehr hoch.

Und dies nur zur Klarstellung: Ich verlange nicht unbedingt ein Verlagsprodukt und lasse mich auch auf Spielwelten von normal sterblichen Rollenspielern ein, so lange es die Welt eines Spielleiters ist, die nur er kontrolliert und leitet! Zum einen vermeidet dies Inkonsistenzen und zum anderen benötigt man auch übrige Spieler, die diese Welt überhaupt entdecken. Zuletzt hat der Spielleiter auch einen Wissensvorschub, der ihm das Spiel in seiner Spielwelt verleiden würde.


Ergebnisoffenheit
Klar, man spielt, um spannende Geschichten zu erleben. (ganz) Früher spielte ich mit dem Gedanken, daß man dies erzwingen müsste, daß überhaupt nur dieses Ergebnis zählen würde und der Abend verloren wäre, wenn man es nicht geschafft hat, die Geschichte umzusetzen. Das führte zu zahlreichen Konstrukten und vielen Fertigabenteuern, in denen es nichts zu tun gab, ausser zu erleben, wie sich die Geschichte entfaltet (die zudem nur selten besonders interessant waren). Da die klassischen Regelwerke dem jedoch im Weg stehen (viele Handlungen von Charakteren sind in den wichtigen Momenten einfach nicht erfolgreich), griff ich in den folgenden Jahren zu Myriaden an speziell gestalteten Erzählrollenspielen, deren Mechanismen sich überhaupt nur darum drehen, eine spannende Geschichte zu erzählen, hauptsächlich indem sie Erzähl- und Gestaltungsrechte verteilen (gleichzeitig eliminierten sie so viele Regeln wie möglich, damit sie nicht im Weg stünden, häufig auch die für mich interessanten Spielereien, siehe Teil1).
Und erst in den letzten Jahren wurde mir klar, daß meine Handlungen als Spieler dadurch völlig belanglos wurden, gleichzeitig machte der Erfolgsdruck jeden zweiten Abend kaputt und ich hatte es dann irgendwann satt die Ergebnisse meiner Spieleraktionen schon vorher zu wissen und spielte stattdessen ergebnisoffen. Das bedeutet, daß jede Aktion unverändert in die Spielwelt übernommen wird, mit allen Konsequenzen die sich daraus ergeben und mehr, daß niemand den Erfolg dieser Aktionen durchwinken darf, sondern allein die Würfel (und im Zweifelsfall ein neutraler Spielleiter) darüber entscheiden. Das bedeutet aber auch, daß der Spielleiter in der Lage ist, den Ereignissen die entsprechende Bedeutung beizumessen. Als Beispiel sei hier die Wildnisreise genannt, die Spielleiter oft überspringen, damit sie schnell zu einem Endkampf gelangen, weil sie nicht erkennen welche Bedeutung die Reise für die Runde hat. Er übergeht den Spieler des Naturcharakters und seine Kompetenzen möglicherweise dabei völlig, der damit kein gleichberechtigter Mitspieler mehr ist, oder der Spielleiter übersieht die Gefahren, wenn solch ein Naturcharakter nicht dabei ist und insgesamt verarmt das Spiel an abwechslungsreichen Erlebnissen.
Eine spannende Geschichte kann, muss aber nicht entstehen. Der Weg ist das Ziel und der Erfolgsdruck fällt völlig weg, wird stattdessen durch Spannung ersetzt


hiermit vervollständige ich die Konzepte, die mir im Spiel (im Moment) wichtig sind. Vielleicht findet der ein oder andere Ideen, die ihm gefallen aber zumindest sollte es keine Unklarheiten über meine Ansprüche in einer Spielrunde geben.

Der Kommentarbereich steht offen.

Samstag, 1. August 2009

Was ist freies Rollenspiel? [Teil1]

Wie ich spiele, Spielerfahrungen aus dem Nähkästchen zum Nachmachen, Nachdenken und als Information für alle jetzigen Mitspieler und die da kommen. Mir ist wichtig, daß ich weiss, was ich im Rollenspiel will, daß ich weiss was meine Mitspieler wollen und das diese wissen, was ich im Spiel haben will. Dies ist eine Grundvoraussetzung für das Spielen.

Ein kurzer Überflug über meine bevorzugte Spielweise. "Frei" bedeutet erst einmal zugänglich für alle Rollenspielkonzepte. Selbstredend schliessen sich einige Konzepte untereinander aus (mit und ohne Würfel spielen z.b.), eine Auswahl fällt in diesem Fall meinem persönlichen Geschmack zum Opfer (der sich durchaus ändern kann, so daß ich die Konzepte einfach austausche).
Grundsätzlich gibt es keinen Grund sich künstlich einzuschränken. Bedient man sich beim sogenannten "Retrospiel", oder "Sandkastenspiel", beim viel gescholtenen "Erzählspiel" oder "thematischem Spiel", in einer individuellen Mischung kann es das eigene Spiel bereichern. Viele Dinge sind trotz zahlreicher Beteuerungen von allen Seiten miteinander kompatibel. Häufig vergisst man einfach, daß nicht alles gleichzeitig stattfinden muss und man so einen Haufen Konzepte in seinem Spiel unterbringen kann, auf die man sich nie getraut hat zu verzichten. Alle diese Elemente verschmelzen mit der Zeit und dem genutzten Regelwerk zu einer Einheit, die wie ein Fingerabdruck für die entsprechende Runde ist.


Viele regeltechnische Charakteroptionen
Seit der Anfangszeit versprühen Regelmechanismen für mich eine große Anziehung. Angefixt durch hohle Versprechungen komplexer Regelwerke kam schnell die Ansicht auf, daß sich jede Situation mit entsprechend aufwändigen Regeln darstellen ließe. Davon habe ich mich nahezu vollständig entfernt. Was aber blieb sind die liebgewonnen Optionen, mit denen man einen Charakter beim Bau und Steigern ausstaffieren kann. Dies hat den Vorteil, daß man sich auch ausserhalb der Spielabende spielerisch mit seinen Charkateren auseinander setzen kann und auch währenddessen der Begriff des Spiels weiter in den Vordergrund rückt.

simulatorische Regeln
Ja, es stimmt, ich hatte immer Probleme damit das Spiel allzu abstrakt zu handhaben. Unter simulatorisch verstehe ich den physikalischen Ablauf von Handlungen, wie er in unserer Welt passieren würde, nur über andere Regeln in die Spielwelt übersetzt.
Warum es sich mit dem dechiffrieren von kryptischen Konfliktauflösungen und Einsatzmechanismen und vielen Anderen (“ich besiege den Finstermagier mit Kochen”) unnötig schwer machen und sich für Minuten auf die Metaebene ziehen lassen, wenn eine angesagte Geschicklichkeitsaktion auch einfach mal mit einer Geschicklichkeitsprobe gelöst werden kann? Und wie kann es das Spiel schädigen, wenn man das Darstellen von Berufsfähigkeiten konsequenterweise mit ein paar (einfachen) Handwerksregeln versieht?
Das hat auch einfach damit zu tun, daß ich lieber eine Figur in einer Spielwelt spiele, als von Aussen Co-Regie bei einer Geschichte zu führen.
Aber auch hier gilt, nur dort, wo es angebracht ist. Besonders Aktionen in großen räumlichen oder zeitlichen Abständen sind simulatorisch kaum zu bewältigen, in diesem Fall sind abstrakte Handhabungen durchaus von Nutzen.

Dramamechanismen
Beim Rollenspiel ziele ich natürlich über kurz oder lang darauf ab, daß ich Dinge erspiele, die im Nachhinein eine spannende Geschichte ergeben. Aber Moment mal? Wieso macht er es sich dann mit simulatorischen Regeln unnötig schwer und überlässt es dem Zufall?
Ich sehe keinen Grund der Spannung nicht ein klein wenig auf die Sprünge zu helfen, so lange – Bedingung - es den Spielverlauf nicht stört. Dies ist mit Dramamechanismen möglich, also Regeln, die sich nicht direkt auf die Handlungen von Charakteren, sondern primär auf die Steuerung der Handlung konzentrieren (d.h. Sie beeinflussen die Handlungen der Charaktere oder Ereignisse unter dem Gesichtspunkt von Spannung). Schicksalspunkte in jedweder Form oder Sonderrollen für Spielercharaktere sind dafür ein hervorragendes Mittel.

Dies beisst sich in keinster Weise mit simulatorischen Regeln, fügt sich gar harmonisch zusammen, denn durch ihre begrenzte Anzahl und/oder unsicheren Erfolg sind die Dramamechanismen, die ich nutze, lediglich eine Unterstützung bei der Entstehung spannender Geschichten in dem sie den Zufall beeinflussen, der durch rein simulatorische Regeln über kurz oder lang sowieso zu einer spannenden Geschichte führt. Dramamechanismen verkürzen nur die Wartezeit ohne Beliebigkeit, Willkür oder andere Spielereinfluss entwertende Handhabungen ins Spiel zu bauen.


Gemütlichkeit
Ich bin es Leid geworden Rollenspiel ausschliesslich als Leistungssport zu betreiben. Man tut dem Spielspass keinen Gefallen wenn man sich Vorgaben setzt, die es für den Abend zu erfüllen gilt. Es lenkt vom Spiel ab und führt zu enttäuschten Erwartungen, was den Anspruch an den nächsten Abend konsequenterweise ein Stück nach oben hebt, bis die Kluft soweit auseinander ragt, daß man sie nicht mehr überbrücken kann und das Spiel somit zur Qual wird.
Es gibt viel mehr Möglichkeiten seinen Charakter in das Spiel zu bringen als man meint. Vor allem, man hat mehr Einfluss auf die Ereignisse der Spielwelt als man meint. Aber selbst wenn man nicht im Mittelpunkt steht, kann man unter guten Bedingungen die Ruhe des Moments genießen. Die einzige Voraussetzung für mich vom Gas gehen zu können sind ein regelmäßiger, wöchentlicher Spieltermin und eine gut eingespielte Runde.

Figuren und Spielmaterial
Spielsteine und Karten für den Tisch beschleunigen das Spiel in immenser Weise, vermitteln ein vielfaches der Informationen von verbaler Kommunikation und behindern, wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat, die Vorstellung in keiner Weise. Spieler, die in der Lage sind sich die Würfel, Zettel, Süßigkeiten und Mitspieler wegzudenken und sie durch eine phantastische andere Welt zu ersetzen, sollten kein Problem damit haben Spielsteine in diese Welt zu transferieren. Ich kann dieses Gegenargument daher nicht mehr ernst nehmen.
Mein Erstkontakt mit Figuren und Spielmatte war nach jahrelangen, vergeblichen Erzähl- und Skizzenversuchen und Vorurteilen durch den Kontakt mit den falschen Spielen und Leuten mit D&D3.5 wie eine Erleuchtung. Mit Spielmaterialien sind allerdings nicht ausschliesslich diese beiden Klassiker gemeint. Spielmarker für Ausrüstung und Zeit, Handzettel oder gar Requisiten können auch dazu gezählt werden. Während die letzteren Beiden vor allem konkrete Vorstellungen schaffen, vermitteln Erstere ein gutes Verständnis für Mengenabschätzungen und Vorrausplanung.


Dies sei nur als Anreiz gedacht sich einen eigenen Satz zusammenzustellen. Kein Grund sich als Retro oder sonstwas-Spieler von Anderen abzugrenzen. Die Kategorien einer Spielweise, die im Internet umherschwirren können entweder immer nur eine sehr grobe Annäherung sein, so daß sie bedeutungslos sind, oder so eng gefasst, daß sie bereits eine Zusammenstellung einer einzelnen Spielrunde sind, die es zu gewisser Prominenz gebracht haben, was natürlich bedeutet, daß 99,99% aller real existierenden Spielweisen gar nicht erfasst werden und man ebenso häufig ein blaues Wunder in einer neuen Spielrunde erlebt, wenn man darauf vertraut. Rollenspiel ist viel zu empfindlich und fragil, als das eine Spielweise jenseits einer Spielrunde Gültigkeit besäße, obwohl es zweifelsohne Überschneidungen gibt. So mache ich mein Wohlgefallen immer von einzelnen Aspekten oder an einer Komposition einer Spielrunde abhängig.


Ende Teil 1
Im Folgenden vervollständige ich meine Spielschlagworte mit

Ergebnisoffenheit

Hausregeln

Taktik und Strategie

unter Anderem