Montag, 3. November 2014

[Gastbeitrag] Dramaturgie im Rollenspiel

Ich freue mich, diesen Monat mal wieder der Bitte nachzukommen, Platz für einen Gastbeitrag machen zu dürfen. Der Artikel passt meiner Meinung nach gut in die ewig währende Diskussion über improvisiertes und plotorientiertes Spielleiten, ausnahmsweise von jemandem, der eine fachmännische Meinung dazu beitragen kann. Arno hat Film an der ifs - internationalen filmschule - köln studiert. Auf www.filmschreiben.de bloggt er seit Kurzem über Dramaturgie und Erzählung.

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Als rollenspielender Filmstudent oder filmstudierender Rollenspieler konnte ich kaum anders, als Film und Rollenspiel aufeinander zu beziehen, über Gemeinsamkeiten, Unterschiede, Qualitäten beider Erzählformen nachzudenken. Was mir auf beiden Seiten begegnete, war die Furcht vor Dramaturgie - als Struktur, die Einengung und Unfreiheit bedeutet. Auf beiden Seiten ist diese Befürchtung unbegründet, eigentlich. Auf beiden Seiten liegen die Probleme in der Anwendung, nicht in der Idee. Dafür bin ich hier.
Dramaturgie bedeutet nicht nur nicht Unfreiheit, sie ist nicht einmal eine Struktur. Eine Handlung hat Struktur. Dramaturgie ist das, was der Handlung Bedeutung und ihrer Struktur Sinn gibt. Das Ziel einer Handlung gibt ihr Bedeutung, ist Dramaturgie. Die Motivation hinter einer Handlung gibt ihr Bedeutung, ist Dramaturgie. Die Anstrengung, das Überwinden des Antagonismus gibt ihr Bedeutung, ist Dramaturgie. Der Misserfolg und seine Konsequenzen, der Erfolg und seine Belohnung geben der Handlung Bedeutung, sind Dramaturgie.
Das betrifft den großen Handlungsbogen und kleine Handlungsschritte - und jede noch so unbedeutende Probe im Rollenspiel: Der Spieler äußert ein Ziel, aus der Motivation seines Charakters heraus, das Ausmaß der Anstrengung wird in numerischen Werten festgelegt, der Spieler schafft die Probe, der Charakter wird belohnt, oder er scheitert, dann wird der Charakter bestraft. Desto ambitionierter das Ziel, größer die Motivation, höher die zu überwindende Hürde, reicher die Belohnung, furchtbarer der mögliche Verlust, desto dramatischer die Handlung. Einsatz ist Kern von Spiel und Dramaturgie. Wie viel haben Filmhelden schon aufs Spiel gesetzt um mehr zu erreichen? 
Die Missachtung von Spielerentscheidungen ist Missachtung von Dramaturgie. 
Frei entschiedene Handlungen freier Rollenspieler haben Struktur und Dramaturgie. Ein dramaturgisch denkender Spielleiter gibt diesen Entscheidungen Gewicht in der Erzählung: Die Missachtung von Spielerentscheidungen ist Missachtung von Dramaturgie. Doch wie kann es dann sein, dass Rollenspieler Dramaturgie als Bedrohung ihrer Freiheit missverstehen? Weil es passiert, das Spielleiter Spielerentscheidungen aushöhlen, sie bedeutungslos machen, im Namen einer Dramaturgie. Doch welche soll das sein? Oder besser: Wessen?
Während der Spieler seine Ziele selbst setzt, sind Anstrengungen, Konsequenzen, ja selbst Motivation Aufgabe des Spielleiters. Und alle drei Aufgaben lassen sich zu einer zusammenfassen: Aufgabe des Spielleiters ist der Antagonist. Die Bedrohung durch den Antagonisten bestimmt die Motivation der Spielercharaktere, seine Stärke bestimmt ihre Anstrengungen, sein Ziel die Konsequenzen aus Erfolg oder Misserfolg der Spielercharaktere.
Sein Ziel? Auch die Handlungen des Antagonisten haben natürlich Ziel, Motivation, Anstrengung und Konsequenzen. Auch seine Handlungen haben eine Dramaturgie. Und diese Dramaturgie, nur seine Dramaturgie sollte Gegenstand der Vorbereitungen des Spielleiters sein. Die Vorbereitung einer Dramaturgie des Antagonisten dramatisiert die Entscheidungen der Spielercharaktere, ganz egal welche Entscheidungen sie als freie Rollenspieler schließlich treffen. Die Vorbereitung einer Dramaturgie der Spielercharaktere aber entmündigt sie, weil ihre Entscheidungen dann bestimmte geplante Voraussetzungen erfüllen müssen. 
Ein gut entwickelter Antagonist ist ausreichend für eine dramaturgisch starke Handlung. 
Der Antagonist ist treibende Kraft der Handlung, treibende Kraft des Rollenspiels. Die treibende Kraft einer Handlung hat einen Namen: Protagonist. Im Rollenspiel ist der Antagonist der Protagonist. Und damit ist das Rollenspiel einem Filmgenre wahnsinnig ähnlich, das man vielleicht zunächst nicht damit assoziieren würde: Dem Thriller (um Verwirrungen zu vermeiden, werde ich dennoch weiterhin Hauptfiguren und Spielercharaktere als Protagonisten bezeichnen. Zumal sie sich diesen Titel noch verdienen werden). 
Wobei kann uns diese Erkenntnis helfen? Zunächst vielleicht dabei, zu vertrauen. Darauf zu vertrauen, dass ein gut entwickelter Antagonist ausreichend ist für eine dramaturgisch starke Handlung. Jeder gute Thriller ist dafür Beweis genug. Vielleicht ist es oft Unsicherheit und fehlendes Vertrauen in den selbst entwickelten Antagonisten, der Spielleiter dazu bringt über die Handlungen der Spielercharaktere entscheiden zu wollen. Damit das Abenteuer spannend und reizvoll bleibt, was dann aber Spannung und Reiz verdirbt.
Dann kann der Thriller uns als Referenz helfen. Der Antagonist hat einen Plan, der den Protagonisten, also die Spielercharaktere, bedroht. Diese Bedrohung muss nicht gleich eine persönlich Intrige sein, zu Beginn bedroht sie vielleicht nur Werte der Spielercharaktere oder eine Institution, mit der sie sich assoziieren. Die Bedrohung ist jedoch immer groß genug, dass sie motiviert sind zu handeln. Und spätestens ihr Widerstand macht die Bedrohung dann persönlich und lebensgefährlich. 
Die Aufgabe des Spielleiters ist nicht, die Entscheidungen der Spieler zu lenken. 
Wenn der Protagonist nicht eingreift oder scheitert, wird der Plan des Antagonisten Schritt für Schritt ausgeführt, die Bedrohung steigt mit jedem Schritt. Und entsprechend sollte der Spielleiter reagieren, wenn die Entscheidungen der Spieler den Antagonisten nicht aufhalten. Seine Aufgabe ist dann nicht, die Entscheidungen der Spieler zu lenken, sondern den Plan des Antagonisten laufen zu lassen. Was bei richtiger Vorbereitung dann die Bedrohung für die Spielercharaktere steigert und sie unter Druck setzt: Sie weiter motiviert.
Die Bedrohung steigt also, bis der Protagonist sich Informationen über den Antagonist und dessen Plan erarbeitet hat. Diese Erkenntnis ermächtigt dann den Protagonisten im Thriller oder die Spielercharaktere im Rollenspiel dazu, den Spieß umzudrehen und gegen den Antagonisten vorzugehen. Diese Erkenntnis erst macht ihn zum/sie zu Protagonisten.
Hier wirkt die Dramaturgie auch auf der Spieler-Ebene. Die Erkenntnis mag für die Spielercharaktere die Belohnung für ihre Anstrengungen und ihren Erfolg sein. Aber auch die Spieler haben sich angestrengt, mit Erfolg, und ihre Belohnung ist die Ermächtigung zur Aktion (im Gegensatz zur bloßen Reaktion in der bisherigen Erzählung). Als Spieler liebe ich diesen Moment, weil ich endlich alles an Können und Raffinesse meines Charakters aufwenden und ausspielen kann, für den bestmöglichen Gegenangriff. Als Spielleiter liebe ich diesen Moment, weil mir die Spieler die Spielleitung aus der Hand nehmen, manchmal stundenlang, für den perfekten Plan. Dieser Ausdruck von / Ausbruch an Spielermotivation heißt doch, dass ich alles richtig gemacht habe. Als Filmemacher liebe ich diesen Moment, weil er Beweis für die kreative Stärke des Kollektivs ist.

Montag, 1. September 2014

I reject your reality and substitute my own, Part II

Ich habe mich in letzter Zeit oft darüber geärgert, dass im Bereich Rollenspielentwicklung nichts nennenswertes mehr passiert. Zu beschäftigt sind die Verlage, ihre bunten Boxen zu "promoten", zu beschäftigt die Konsumenten, sie auszupacken und zu bestaunen.
Was mich in diesem speziellen Fall frustrierte, war die Vermutung, dass es keinen "Regelansatz zur Verhandlung und Konsensfindung bei der Bewertung von Spielsituationen" gibt. Ich schrieb, dass gescheiterte Verhandlungen der Grund für eine gescheiterte Spielrunde sind. Was mir jedoch fehlte, war ein Ansatzpunkt, nämlich der eigentliche Gegenstand der Verhandlung.

Und fast im Verborgenen hat bei den deutschen RPG Bloggern nun m.E. eine wichtige Diskussion über Rollenspielentwicklung gezündet. Eine Diskussion, die mindestens implizit seit dem Scheitern (?) von D&D 4 und dem Entwicklungsstart von D&D Next als Taktgeber der globalen Rollenspielcommunity mitschwingt, sei man nun ein Spieler derselben oder nicht. Nämlich die Diskussion, wie Spielinhalte ihren Weg in das Rollenspiel finden. Und mit der Diskussion werden Fragen aufgeworfen, die darüber hinausgehen, ob eine +4 Modifikation nun gestalterisch sinnvoller ist, als ein Nachwürfeln, oder ob das Würfeln von 3W20 gegenüber 1W20 nicht vielleicht doch eher "komplizierter" anstatt "einfacher" ist.

Andreas von RPGnosis hat hier mit einer wundervollen, perspektivischen Verschiebung einen großen Teil alter Zöpfe abgeschnitten und Inspiration für neue Ansätze geschaffen. Im Wesentlichen ist die Grundlage, dass der sogenannte "Gemeinsame Vorstellungsraum" (http://ptgptb.org/0026/theory101-01.html) nicht existiert und für das Rollenspieldesign auch gar nicht benötigt wird. Stattdessen ist der Rollenspielprozess abhängig von den individuellen Gedanken eines jeden Mitspielers. So weit, so einleuchtend. So gesehen gibt es am Spieltisch nicht "das Rollenspiel", sondern jeder spielt dementsprechend sein eigenes Rollenspiel und versucht dieses seinen Mitspielern zu vermitteln und deren Rollenspielversionen aufzunehmen (soweit ihm das durch unwillkürliche Annahmen in seinen Vorstellungen überhaupt möglich ist). Daraus können diverse Unstimmigkeiten und Missverständnisse erwachsen, die das gemeinsame Spielen stören oder unmöglich machen können. Craulabesh merkt hier außerdem an, dass diese Störungen der kreative Motor des Rollenspieles ist (der Beitrag ist überhaupt ein guter Einstiegspunkt für die Leser, um wieder in das Thema zu kommen).

Warum ist das nun wichtig? 
Das eine Spielrunde gemeinsame Absprachen treffen muss oder die Inhalte so überschaubar wie möglich halten soll (K.I.S.S. = keep it straight and simple) oder im Zweifelsfall "der Meister immer Recht" hat, ist keine neue Erkenntnis und ergibt sich quasi als Notwendigkeit daraus, dass am Spieltisch nichts handfestes geschieht, wie z.B. bei einem Brettspiel oder Computerspiel. 
Es ist wichtig, weil dieses "Absprechen" im Rollenspieldesign häufig nicht verankert wird, sondern vielmehr diese Absprachen als Maßnahme gegen das Regelsystem genutzt werden müssen, welches die Spielrunde meist einschränkt oder ausbremst.

Bei einem klassischen Regeldesign stehen die Regeln als Steuerung des gemeinsamen Konsens im Vordergrund. Mit anderen Worten: Die Spielregeln geben vor, wie sich die Mitspieler bestimmte Situationen vorzustellen haben. Es gibt komplexere Systeme und abstraktere Systeme, aber meist haben sie den Anspruch, alles oder "alles Wichtige" vorweg zu verregeln (also bevor es überhaupt im Spiel auftritt). Diese Systeme lassen sich abermals unterteilen in solche, welche die Funktionen der Spielwelt und solche am Spieltisch zwischen den Mitspielern regeln. Und natürlich alles dazwischen.

Entgegen der irrigen Annahme, ist Rollenspiel allerdings kein "Spiel" (im Sinne von "Game"), sondern Verhandlungssache und das bemerkt man ziemlich schnell in der Praxis. Unter dieser Annahme stößt man erfahrungsgemäß nämlich sehr schnell an die Grenzen des "Spiels", da zum Einen die Vorstellungen eines Spielers (gar nicht zu reden von gleichzeitigen, unterschiedlichen Vorstellungen mehrerer Spieler!) um einiges vielfältiger und detaillierter sein können, als jeder Regelkatalog vorgibt. Sich an vorgegebene Regeln zu halten, ist also immer eine Einschränkung der Optionen. Zum Anderen berücksichtigen diese Spielregeln selten (insbesondere solche des Spieltisches selbst, Erzählrechte und Player Empowerment, ich schaue auf euch), dass kein Spieler eine Regelung akzeptiert, nur weil sie da ist. Auch hier mit anderen Worten: Man muss nicht alles hinnehmen, was in einer Spielrunde gesagt wird, nur weil in einem Moment ein Spieler ein "Erzählrecht", "immer Recht" oder ähnliches hat. Man muss seine Mitspieler überzeugen.

Damit jemand diesen "Regel überschreibt Vorstellungswelt"-Ansatz überhaupt für Voll nimmt, hat man sich viele argumentative Strohmänner erarbeitet, wie den "guten und schlechten Rollenspieler", die "goldene Regel" (ignoriere Regeln, die dir nicht gefallen) oder "Spaß ist wichtiger als Regeln" (ich weiß immer noch nicht, was das eine mit dem anderen zu tun hat). Diese Tricks implizieren bereits den eigentlichen Vorgang, den Andreas nun übersichtlich dargestellt hat:

Nämlich das Verhandeln und das verständlich Machen des Spielinhalts. Das die Vorstellungen der Spieler der Kern des ganzen Rollenspieles ist und nicht andersherum ihre Vorstellungen anderen Spielaspekten (wie Regeln) untergeordnet sind. Es geht im Regeldesign nicht darum, Probleme bei unterschiedlichen Spielervorstellungen zu vermeiden, sondern sie möglichst effektiv zu lösen. Das ist das, was wir alle im RPG tun, was uns die meisten Regelsysteme aber nicht tun lassen.

Spielregeln und Hilfsmittel (Spielfiguren, Skizzen, Hintergrundbücher) können hierbei eine Sprache sein, aber kein eigenständiger Spielmechanismus. Eine Spielregel wie "Stromschnellen erschweren das Schwimmen um X" benötigt vor der Anwendung eine Beurteilung darüber, wann man überhaupt von Stromschnellen spricht. Die Vorstellung steht also an erster Stelle und dann kommt erst die Regel. Regeln und Hilfsmittel können die Spielrundenkommunikation nicht starr steuern, sie sind ein Teil oder Werkzeug derselben. Zum Beispiel garantiert kein Hintergrundbuch einer Spielwelt, dass die Spieler alles darin auch gleichartig in ihre Vorstellungen einbauen. Aber sie können sich darauf als Vokabular berufen ("aber auf Seite X. steht doch...").
Das ist ein eklatanter Perspektivwechsel bei der Gestaltung von Spielregeln und -inhalten und was sie zu leisten haben. Wichtig ist nun nicht mehr, dass ein Rollenspiel z.B. mit seinen 235 Kampfmanövern thematisch alles abdeckt, was existiert, sondern aus welchen Bausteinen (auch begrifflichen!) diese bestehen, damit sich die Spieler möglichst eindeutig verständlich machen können. Auch ist nicht wichtig, wie die einzelnen Regeln miteinander in Zusammenhang stehen, sondern dass sie leicht und übersichtlich in Zusammenhang gebracht werden können.

Ist mit einem Regelsystem und den Hilfsmitteln einmal ein Vokabular geschaffen, so können diese zur Verhandlung eingesetzt werden, also dem eigentlichen Rollenspielprozess. Eine Verhandlung setzt voraus, dass alle Verhandlungsseiten gegensätzliche Interessen haben und diese durchsetzen wollen. Als Ergebnis kann ein Regelmechanismus entstehen oder auch eine Abstimmung und vieles andere. Old-School Spiele gehen so schon seit Langem (halbherzig) vor.
Doch zunächst ist zu klären, was die Interessen in der Verhandlung eines jeden einzelnen sind. Auf Seiten der Spieler sehe ich hier zum Beispiel ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
- situative Spannung
- gestalterische Gewalt
- Eskapismus / Entspannung
- seine Mitspieler zu unterhalten

Und auf der Spielleiterseite (SL)? 
Beim Hofrat las ich vor Urzeiten einmal, dass ein SL keine Interessen haben darf. Er muss absolut unparteiisch sein (zwischen Spielwelt und Spielern). Eine Spielwelt hat aber keine Interessen. Ohne gegensätzliche Interessen aber gibt es keinen Verhandlungsgrund und demnach kann auch die Verhandlung der Spielvorstellungen nicht in Gang gesetzt werden. Offensichtlich passiert dies aber. Welches Interesse also hat der Spielleiter? Das offensichtlichste Interesse wäre eine Art Wettbewerbsposition, in der der SL tatsächlich der Gegner der Spieler ist. Das schließt sich allerdings dadurch aus, dass die gestalterische Gewalt zu einem großen Teil in seinen Händen liegt und er sämtliche Inhalte beurteilt und bewertet. Ist Unparteilichkeit ein Interesse, aber welche Parteilichkeit, wenn es dann doch nur noch die Partei der Spieler gibt?

Ich denke, dass die Diskussion über das Thema erst am Anfang steht und schlage daher vor, zunächst einmal zu klären, warum der Spielinhalt überhaupt untereinander ausgehandelt werden muss und welche Rolle dabei die Position der Mitspieler einnimmt (Spieler/Spielleiter).

Befeuert die Diskussion, so lange sie heiß ist. Am Besten an einem gut überschaubarem Ort, wie dem RSP-Blogs-Forum.
http://forum.rsp-blogs.de/diskussion-und-kommentare/httphochistgut-blogspot-de201409i-reject-your-reality-and-substitute-my-ht/msg13806/#msg13806

Sonntag, 29. Juni 2014

RSP-Blogs Karneval [Jun2014] - "Dein Rollenspiel - jetzt mit verbesserter Rezeptur"

Mit neuen Rollenspielversionen, dem Thema des Juni RSP-Blogs Karnevals, habe ich so meine eigenen Erfahrungen gemacht.

Ich denke, viele Leute haben eine natürliche Affinität zu dem Wort "neu". Was neu ist, muss gut sein, weckt Interesse, Aufmerksamkeit und Erwartungen. Neu wird hier gleichgesetzt mit "besser".
Zumindest ist das bei mir so. Ich habe diverse Editionswechsel in Rollenspielen mitgemacht, darunter unter Anderem
GURPS 3 zu GURPS 4
DSA 3 zu DSA 4
D&D 3 zu D&D 4
SR 3 zu SR 4
Savage Worlds Revised zu Gentlemen's Edition.
Earthdawn classic zu Earthdawn 2 (evtl. auch andersherum und wieder zurück) 
und einige mehr.

Und das zu einem nicht geringen Teil, weil sie neu waren. Und immer auf der Suche nach einem besseren Rollenspiel für meine Ansprüche. Tarin vom Goblinbau wies richtigerweise darauf hin, dass das nicht immer in Erfüllung gehen muss.
Denn je mehr Editionswechsel ich mitgemacht habe, desto öfters ist auch mir aufgefallen, dass die Erwartungen nicht erfüllt und/oder Versprechungen nicht eingehalten wurden. Im Grunde blieb alles immer beim Alten. Die unvermeidlichen Hausregeln glichen die Versionen dann weiter aneinander an. Ja, manchmal hat man sogar den Verdacht, dass einfach der alte Wein in neue Schläuche gefüllt wird, wenn die Publikumsaufmerksamkeit langsam nachlässt. Einfach, um neuen Schwung in die Bude zu bringen. Das, was teilweise als "Neue Version" der Community vorgeworfen wird, geht im Buchhandel gerade mal als neue Auflage durch.
 

Meine Erfahrung zeigt, dass - nicht selten von Seiten der Fanbasis - viel Energie investiert wird, um dem unbedarften Rollenspieler weis zu machen, dass jede X-beliebige Version eines RPGs schon gut so ist, wie sie ist und jede Herangehensweise ja ohnehin reine Geschmackssache sei, also gar kein Platz für Verbesserungen wäre (eine Behauptung, die allein schon einen RSP-Blogs Karneval wert wäre). Das mag so sein. Das beißt sich jedoch mit der aktuellen Praxis der neuen Versionen. Denn in diesem Falle würde gar keine Notwendigkeit bestehen, eine neue Version herauszubringen, wenn sie vom Entwicklungsziel so gut wie alles genauso löst, wie die Vorhergehende. Es würde dann ja nur Sinn ergeben, in einer neuen Version alles anders, eben neu, zu machen, um auch andere Personenkreise anzusprechen. Und diejenigen, die bei Version 1 blieben, wären dann mit neuen Auflagen - nicht Versionen - für die gerinfügigen Korrekturen vollauf bedient (zum Teil werden diese in Erratas auch angeboten).


Genau das wird aber oft nicht gemacht. Es werden im Grunde dieselben Rollenspiele mit einer neuen Ziffer noch einmal herausgebracht im Versuch, sie zu verbessern (was angeblich ja nicht notwendig ist). Perfektioniert haben dies größere Verlagsrollenspiele, aber in etwas selbsttäuschender Weise auch viele, sogenannte "Old School" Rollenspiele (die anstatt einer Versionsnummer gleich einen anderen Namen verwenden). Und man legt großen Wert darauf, dass diese "neue" Version auch bitte möglichst alles genauso macht, wie die "alte" Version. Also, entweder weiß die Spielerschaft oft selbst nicht, was sie eigentlich will (gerade als Käufer kann man eine fehlerfreie Version erwarten, die auch keine neue Version erfordert), oder die neue Version ist nur ein Taschenspielertrick vom Entwickler, um die Aufmerksamkeit neu zu entfachen, ohne allzuviel Arbeit in das Rollenspiel stecken zu müssen.


Neue Versionen wecken auch heute noch mein Interesse, jedoch nicht wegen des Inhalts. Am ehesten interessiert mich dabei noch das neue Layout oder ein neuer Aufbau. Ob ein "steiler Schusswinkel" nun +4 anstatt +2 Probenerschwernis einbringt oder ein Schurke bei 1350 Erfahrung, anstatt bei 1250 Erfahrung eine neue Stufe bekommt, das erzeugt bei mir keine freudigen Erwartungen mehr. Und es täte der Spielerschaft und dem Hobby im Allgemeinen meines Erachtens gut, wenn sie für sich und von Entwicklern gelegentlich etwas mehr erwarten würden.

Der Link zur Forendiskussion

Mittwoch, 25. Juni 2014

RSP-Blogs Karneval [Jun2014] - Deine Version, meine Version

Im RSP-Blogs Forum wurde kürzlich von Zornhau verwundert festgestellt, dass der Diskussionsbedarf zum Thema "Neue Version" in Rollenspielen (RPG) keinen allzu großen Anklang findet, wo doch im Allgemeinen viel über neue Versionen zu diskutieren wäre.
Nun, diskutiert wird außerhalb des RSP-Blogs Karnevals zum Thema "Neue Version - Was nun?" tatsächlich viel, aber niemand zweifelt wirklich die bekannten Vor- und Nachteile einer neuen Rollenspielversion an. Diskutiert wird nur konkret über die kommende Version irgendeines X-beliebigen RPGs. Und die gibt es immer. Damit ist von der Diskussion im Grunde nicht viel zu erwarten, es sei denn, man interessiert sich für ein spezielles RPG.

Was ich nicht tue.
Was bleibt, ist etwas aus dem Nähkästchen der eigenen, praktischen Erfahrung zu berichten.

Neue Spielversionen, sei es die Veränderung der Spielregeln und/oder der Spielwelt, verfolgen i.d. R. zwei Ziele oder eine Kombination davon:
  1. Das RPG soll eine bestimmte Funktion erfüllen und mit einer neuen Version versucht man, sich dieser weiter anzunähern
  2. Man hat sämtliches Spielmaterial einer Version an den Mann gebracht und versucht nun, dasselbe Material noch einmal an dieselben Abnehmer und im günstigsten Falle weiteren Abnehmern zu verkaufen
In diesem Beitrag möchte ich mich nur auf das erste Ziel beziehen, also den tatsächlichen, entwicklerseitigen Willen, sein Werk zu optimieren. Ich möchte versuchen zu zeigen, warum die (Weiter-)Entwicklung und das Spielen eines RPGs ein Hobby an sich und untrennbar ist.

Die Frage, ob ein RPG eine neue Version benötigt, hat sich mir nie gestellt. Natürlich benötigt ein Rollenspiel neue Versionen. Vornehmlich deswegen, weil RPGs in den seltensten Fällen handwerklich gut gemacht sind und mehr der Liebhaberei zuzuordnen sind.
Aber das ist ja gar nicht schlimm, denn je mehr man sich mit dem Hobby beschäftigt, desto mehr lernt man dazu und desto stärker wird der Wunsch, ein RPG auf die nächste - bessere - Version zu heben. Jemand, der euch ein Rollenspiel als fertige Version verkaufen (oder schenken) will, lügt wahrscheinlich nicht nur euch, sondern auch sich selbst etwas vor. Ein RPG ist kein Produkt, sondern ein Prozess und benötigt Pflege und entwickelt sich weiter, genauso wie das Hobby als Ganzes sich, wenn auch langsam, weiterentwickelt.
Ein Rollenspiel ist niemals fertig.

Die neue Version eines Rollenspieles beginnt mit dem ersten Abend seiner Anwendung. Nicht nur können hier Legionen an Verständnisfragen zu bestimmten Formulierungen auftreten und Fehler auffallen, sondern die Resonanz der Spieler bringt jeden Abend neue, weitere Ideen. Selbst lange nach den Testspielen. Und dann bringt dieser Entwickler sein Spiel in eine neue Spielrunde und diese sieht wieder alles vollständig anders, ganz zu schweigen davon, wenn nicht der Entwickler, sondern eine ganz andere Spielrunde das Rollenspiel verwendet! Und oben drauf gesellen sich in manchen RPG-Konzepten die Entwicklungen innerhalb der Spielwelt hinzu, die sich durch das Bespielen ganz natürlich ergeben und die gerade ältere Spielweltinformationen obsolet machen (das Metaplot-Problem).
Und wenn alle diese Beobachtungen eine persönliche, kritische Masse erreichen, dann wird der Rollenspielentwickler vernünftigerweise dem Drang nachgeben und eine aktuelle Version seines Rollenspieles aufbereiten.

So ein Wechsel sollte mit Bedacht, aber konsequent abgewickelt werden. Im Vordergrund eines Versionswechsels darf nicht die Spielmechanik als Solches stehen, auch nicht die Spielwelt und schon gar nicht die Erwartungen etwaiger, langjähriger Spieler (oder Kunden), sondern das angepeilte Spielerlebnis und die damit verbundenen, erzählerischen Gesetzmäßigkeiten des gewählten Genres. Wie bestimmte Spielmechanismen, sind auch die Spielwelten schlussendlich nur das Mittel zum Zweck.

Angenommen, ein Entwickler erschafft ein Rollenspiel im Genre des Horrors, das von Werwölfen und Vampiren handelt und legt fest, was die Spieler darin zu tun haben, dann kann sich der Entwickler dabei zwar nicht allzu weit von den Genre-Standards des Horrors entfernen, wenn er sein angepeiltes Spielerlebnis nicht verwässern will, jedoch spricht gar nichts dagegen, diese Standards in Folgeversionen mit unterschiedlichsten Spielmechanismen und Spielweltinhalten umzusetzen. Es gibt keine Horror-Konvention, die besagt, dass ein Rollenspiel nur gruselig ist, wenn man einen W10 einsetzt (wobei das für mich persönlich durchaus "furchterregend" ist).
Es kann für das Designziel also durchaus notwendig sein, konkrete System- und Spielinhalte zu ändern (Würfelmechanismen, Monsterbeschreibungen etc.pp.) und man muss dabei im Blick haben, ob aktuelle Trends dieses fördern - was vor 30 Jahren gruselig war, muss heute längst nicht mehr so sein.
So lange man den Blick auf das Designziel hält und dieses klar dem Spieler kommuniziert, so lange behält ein Rollenspiel auch seinen Widererkennungswert bei und überhaupt den Sinn mit weiteren Versionen denselben Namen zu tragen. Nicht deswegen, weil man in allen Versionen mit W10 würfelt. Der Entwickler muss hierbei nicht nur sein Rollenspiel kennen und über lange Zeiträume für die Entscheidungen einstehen, die er bei bestimmten Inhalten in der Vergangenheit getroffen hat, sondern auch die Entwicklung des Hobbys um ihn herum im Blick haben und die Konzepte verarbeiten, die seiner Vision am ehesten nutzen.

Das alles kostet viel Arbeit und ist ein nicht enden wollender Prozess. Einige wenige Entwickler, wie Wizards of the Coast haben das verstanden mit dem vom Brettspiel aufgegriffenen Konzept der "Living Rules" (Lebendige Regeln). Hierbei wird die Resonanz und die öffentliche Testphase über eine nicht terminierte Zeitspanne verarbeitet und immer wieder in das Rollenspiel eingepflegt.

Allein aus diesem Grunde ist die Druckform die denkbar schlechteste Form für ein Rollenspiel. Vielleicht eignet sich Rollenspiel an sich auch nicht, um als abgeschlossenes, später nicht mehr nutzbares Produkt irgendwo in einem Sammlerschrank zu verstauben (außer als Kuriosum). Es gibt wohl kein "Fertigprodukt" eines Rollenspieles, dass nicht durch unzählige Notizzettelsammlungen ihrer Anwender (Spielleiter) gestützt wird.

Aber muss es das überhaupt sein? Der nächste Schritt ist, sich die Frage zu stellen: Bin nicht ich selbst (der Anwender) der Entwickler? Kann mir jemand anderes diese Arbeit überhaupt abnehmen? Rollenspiel ist ein neues Medium, es ist kein Buch oder Bild oder Film. Rollenspielen tut man. Vielleicht ist "neue Version" ohnehin das falsche Wort für einen kontinuierlichen Prozess. Zeichnen sich Rollenspielwelten und -regeln nicht dadurch aus, dass sie immer wieder an die individuelle Spielrunde angepasst werden? Und aus welchem Grunde sollte man das in einer Version verallgemeinern, was sich nicht verallgemeinern lässt? Wenn es eine "neue Version" gibt, dann muss es auch eine "alte Version" geben. Aber welche soll das sein, wenn sich keine zwei Rollenspiele in zwei Spielrunden ähneln?

Auf diese Anforderungen kann sich ein Rollenspielersteller (nicht Entwickler) einstellen, um einen Startpunkt für ein Rollenspiel zu setzen, in dem es jeder Anwender als Selbst-Entwickler möglichst einfach hat. Denn Abnehmen kann ihnen diese Aufgabe niemand!

Das nur als Anregung, ob ihr überhaupt eine "neue" und nicht vielmehr eine "eigene" Version braucht.

ihr könnt euch im RSP-Blogs Forum bei der Diskussion beteiligen, um eurer RPG weiterzuentwickeln

Mittwoch, 9. April 2014

RPS-Blogs Karneval [Apr2014] - Es ist nicht deine Schuld...

... dass das Rollenspiel ist, was es ist. Es wär' nur deine Schuld, wenn es so bleibt."
- frei nach den Ärzten

Der diesmonatige Karneval der Rollenspielblogs befasst sich mit dem Thema Tabus. Und das ist insofern ein treffendes Thema, denn als ich in den 90igern mit dem Rollenspielen (RPGs) anfing, hätte ich mir noch nicht vorstellen können, dass ich mal wie momentan vor einer mittelalterlichen Tabuwand ende, welche die Rollenspielgemeinschaft vor sich hochgezogen und auf ihr Fundament abgesetzt hat. Und diese Tabus sind Glaubenswahrheiten, so wie die Glaubenswahrheit, dass eine "gute Geschichte" über den Spielregeln steht oder Spass über den Regeln steht oder willkürliche Entscheidungen oder der lauteste Mitspieler ... oder eben alles, was in einem Moment nicht zufriedenstellend verregelt ist. Also eben, dass unverregelte Situationen nicht in dem Verantwortungsbereich des Rollenspielentwicklers liegen, so paradox es klingt.
Und wer dabei nicht mitgeht, der spielt eben "falsch" oder "hat es nicht verstanden". Dabei müsste es heissen: Er glaubt nicht daran. Es ist das Dogma der "Besserspieler".

Lass uns diskutieren
Denn in unserem schönen Land
Sind zumindest theoretisch
Alle furchtbar tolerant

Ich für meinen Teil: Ich weiss es nicht. Das hindert mich aber nicht daran bzw. spornt mich an, die Konventionen ständig zu hinterfragen und zu versuchen, die Fragen neutral zu beantworten.
Und ich fragte mich kürzlich, wie wohl heute ein absoluter Neuling, der aber durchaus Interesse an und auch Erfahrung mit Spielen und Spielregeln im Allgemeinen hat, an diese Spielleiterwillkür-Geschichte herangehen würde. Ihr wisst schon, diese Zahlen, die sich ein Neuling aus dem Regelwerk zieht und sich dabei denkt, "Wow, hiermit bekomme ich +12 Bonus auf Kuchen backen, das nehme ich" - und er dann in 8 von 10 Kuchenbackfällen mal gar nicht, mal ohne Bonus und mal "ok, weil du es bist, aber nur mit Malus" würfeln darf, seine +12 also in Wirklichkeit irgendwo bei einer + 7,56532 landet. Was er natürlich nicht nachhalten kann und dementsprechend nur insofern mitbekommt, dass irgendetwas nicht so läuft, wie er sich das vorgestellt hat.
Und wenn er beim ersten Mal die Veteranen und Gurus in der Spielrunde fragt: "Wieso muss ich jetzt darauf würfeln?" oder "Warum denn +7 und nicht +12?", wieviele würden die Antwort "Is' halt so" so hinnehmen und wievielen käme das komisch vor? Und wie lange musste es dauern, bis der Satz "der Meister hat immer Recht" seinen Weg in den Rollenspiel-Jargon gefunden hat?

Ich habe jedenfalls damals so da gesessen und habe es nicht hingenommen und habe mich gefragt, was denn da nicht so läuft, wie ich es mir vorgestellt hatte. Aber ich war ja auch so naiv und dachte zunächst, in dieser Schwerter&Helden-Box stehe alles drin, was man bräuchte, um Abenteuer zu spielen, ohne großartig viel selbst dazuzutun, man müsse sich nur an die Spielanleitung halten. So kannte ich das auch von Brettspielen und Tabletops. Gleichzeitig hätte man aber die Freiheit, sich kreativ auszutoben. Ein idiotensicheres, ein ultimatives Spiel sozusagen.
Leider war es nicht iditionsicher und ich habe gerade in den ersten Jahren deswegen viele Spielrunden getrennte Wege gehen sehen. Und obwohl ich mich bis heute an kein Spielsystem erinnere, an dem ich uneingeschränkt Spass hatte, habe ich nie aufgegeben, dieses theoretische Potenzial der Verregelung aufzudröseln. Wenn ich dieses Ziel nicht gehabt hätte, hätte ich vor Jahren aufgehört zu spielen. Und ich habe den Fehler stets im Regelsystem gesucht, da ich nicht davon ausgehe, dass Mitspieler von Natur aus Ansprüche Anderer vor die eigenen stellen müssen - hierbei für Ausgleich zu sorgen, ist ja ein Sinn und Zweck von Regeln.
Was brächte mir also ein Rollen"spiel", das ich nur mit Leuten spielen könnte, mit denen ich auch ohne die Grenzen dieser Spielregeln Geschichten erfinden könnte?

Diese Makulatur von Rollenspielsystemen, welche die Einigung der Spieler unteinander voraussetzt, um zu funktionieren, ist vermutlich die am weitesten verbreitete Designgrundlage und größtes Tabu von Rollenspielern. Echte Spannung und Ergebnisoffenheit kann hier nicht entstehen. Auch Lösungsversuche, wie die Regel "der Meister hat immer Recht" oder "Erzählrechte" ändern nichts daran, dass es nicht vorran geht, wenn ein Spieler mit einer Situation nicht einverstanden ist. Aber zugegeben, es sind Ansätze.

Jede Spielrunde kann sich für irgendwelche Zahlenwerte entscheiden, z.B. Prozentwerte für eine bestimmte Spielsituation, und dann darauf würfeln. Dazu bedarf es keines komplexen RPG-Systems. Jedes weitere Detail auf diesem Grundsatz ist lediglich eine Verschleierung dieser Beliebigkeit und damit unnötig. Aber was passiert, wenn mindestens ein Mitspieler mit einer Entscheidung unzufrieden ist oder nicht gehört wird? Und was passiert, wenn ein detaillierteres Rollenspielregelwerk als das oben genannte "Prozentsystem" seine Grenzen erreicht? Auf diese wichtigen Fragen geben Rollenspiele keine Antworten. Die Spielrunden müssen die Probleme lösen, die Rollenspielregelwerke erst hervorrufen.

Um dieses Dilemma zu lösen, habe ich das RPG aus allen erdenklichen Perspektiven betrachtet, bis hin zu Spielmechanismen, bei denen man sich an den Füßen spielen muss (dieses zum Glück nur in der Theorie, die spinnen, die Skandinavier). Ich habe auch durchgehend die Seiten gewechselt und fühlte mich auch keiner RPG-Glaubensrichtung zugehörig, obwohl ich in fast jedem Systemkrieg dabei war. Aber das RPG scheint sich jeder Rationalität zu entziehen, stellt man eine Frage, wachsen zwei neue Rechtfertigungen aus dem Hydrakopf. Unterstützung findet man bei der Suche nach Antworten selten, denn die Willkür ist und bleibt ein Tabu, das unangetastet bleiben muss.
Schlussendlich heisst es: Entweder man glaubt daran, dass RPG funktioniert oder man glaubt nicht daran. Glauben kann ich nicht, ich kann allenfalls Vermutungen anstellen. Und ich habe die Vermutung, dass RPG nie das Spiel sein kann, was manche Wenige von uns sich davon erhofften. Manche, dass sind die, die Regelsysteme mit hunderten bis tausenden von Seiten geschrieben haben, in der Hoffnung, eines Tages wäre "alles" verregelt oder die, die "Erzählrechte", "Dramapunkte" und "Vetoregeln" erfunden haben, als würde das in irgendeiner Weise die rundeninterne Kommunikation steuern können.

Die große RPG-Evolution ist leider ausgeblieben, das strikte Tabu der Systemmakulatur herrscht vor. Technologisch, also software-technisch, blieb man auch auf der Strecke, dafür haben die Papierwütigen und Ewiggestrigen gesorgt. Das RPG keine Computertechnik bräuchte, ist ein weiteres dieser zahlreichen Tabus der Rollenspielentwicklung. Computerrollenspiele hingegen haben sich dabei von ihrem Ursprung beinahe vollständig gelöst und gehen ihren eigenen, erfolgreichen Weg. Tablets und Smartphones fehlt es noch an kompetenten RPG Designern (ein RPG schreiben meint jeder zu können, aber eines programmieren?). In über 40 Jahren hat sich keine für mich nennenswerte Weiterentwicklung des einst genialen Grundgedankens ergeben, dafür jede Menge Sackgassen und Ausprägungen. Ich rechne auch nicht damit, dass die nächsten Jahre ein neuer Rollenspielregelansatz entsteht, da die Rollenspielentwicklung von meiner Warte aus zurzeit den Schlaf des (Selbst)Gerechten führt.

Aber wohin sollte sich RPG auch entwickeln? Jeder Rollenspielmechanismus, jedes Spielleiterkapitel und jede interne Rollenverteilung beläuft sich schlussendlich immer wieder auf den Punkt der persönlichen Evaluierung einer Spielsituation. Und diese kann man entweder vor seinen Mitspielern erfolgreich rechtfertigen oder halt eben nicht. Mit anderen Worten: Niemand wird gezwungen mitzuspielen, bist du nicht für uns, bist du gegen uns.

Also stehe ich noch exakt an dem Ort, wo ich vor ca. 18 Jahren angefangen habe bzw. jetzt habe ich das Gefühl, an diesen Ort zurückgekommen zu sein. Ich bin zwar der Meinung, dass sich das Ganze trotzdem gelohnt hat, aber ebenso hat der Hydra-Götze in der Kirche der Besserspieler mittlerweile so viele Rechtfertigungen am Kopf, dass ich im Moment nicht weiß, wie man ihn noch erschlagen kann. RPG ist und bleibt wohl Verhandlungssache und kann kein herausforderndes, ergebnisoffenes Gesellschaftsspiel sein.

Und das ist die Krux.
Was weiterhin fehlt, ist ein Regelansatz zur Verhandlung und Konsensfindung bei der Bewertung von Spielsituationen (ist kein fancy Theoriebegriff, ich weiß), möglicherweise auf diskurstheoretischen Grundlagen, und Rollenspielentwickler, die ernsthaft daran arbeiten. An Etwas, dass alle Teilnehmer wirklich als gleichberechtigte Mitspieler, mit gleichen Möglichkeiten ihre Ansprüche einzubringen, behandelt.
Ich habe hier keine Patentlösung, aber ich bewundere weiterhin das Problem. Es ist lediglich ein Denkanstoß für Rollenspielentwickler, die bereit sind, die Willkür am Spieltisch mit einzubeziehen und nicht zu tabuisieren.

Glaub' keinem, der dir sagt
Dass du nichts verändern kannst
Die, die das behaupten
Haben nur vor Veränderung Angst

frohes Schaffen.

Donnerstag, 3. April 2014

Stats Without Numbers


See the new (first!) edition of Sw:N (read 'swinn') by the acclaimed author and design genius of Elaborate Lord (EL), Caprice & Calculations and Slayers of GoodSensia: James S. "Nold" Carter III.
As Nold told me there will be no sacred cows in his upcoming edition of Sw:N not to speak of artwork or layout of any kind. Stats Without Numbers' deep laid mechanic enables the gaming group to implement ideas and concepts like never seen before in any classical or story game and without struggling with understanding the math. Nold drives the old-school renaissance to it's indie revolution as he combines nostalgic arbitrariness with modern whateverism.

The Old School
Sw:N is as easy as publishing a retro clone. In case of a game event with uncertain outcome (like who has to get the beer from the fridge) one player casts a D20 adds a stat bonus (see below) and compares it to the difficulty level (DL). A result at least equal to the DL means success for the players, otherwise failure. This is called a test (even if it is not a test in a strictly sense of the word). The referee (he controls the game world) determines the height of the DL depending on the propability of one test outcome he considers to be of any importance for the gaming group. A low DL is easy to achieve and a high number might be quite a challenge. The referee may elaborate his decision but the other players have to live with his judgement anyway. At this point the players may not leave the game table yet (see below) otherwise the game can not commence.

The New School
Sw:N is progressive as it is down-to-earth. The aforementioned 'players' (see chapter 3.2 to 3.2.3.4 in the full document for precise definitions) each controls one character in the game world described by so called 'stats'. The players name these stats in any number as they see fit to portray their own character in an entertaining manner (there is no obligation to change a stat if no one is entertained, though). Then they distribute numbers among the stats, beginning from a low digit. A high number means the character is good at something in a way.
After the referee set up the DL the player/s try to overcome the said DL to accomplish the outcome at stake. To do this one player involved in the 'conflict' (any game event) chooses one of his character stats and adjusts the stat number like he thinks his character would hold up. Again, a higher stat means a more likely success (don't wonder how, it's true!). After the test the stat reverts to its former number.

The Nold School
After the DL and stat number are set one, few (or each?) of the players/referee might be discontented with the situation. At this point each person at the gaming table has a veto against the set up (though someone can insist that his veto is 'double important', see full document for explanations). The game mechanic opens to the negotiation phase: As no one may alter the numbers set beforehand everyone involved (or uninvolved) tries to make a compromise on a new number, called bonus. The bonus alters the die result and depicts some kind of luck, fate, heroic incentive or just the opposite if it is negative (it is still called bonus).
At this moment a participant may point out again that he is still not entertained by some of the stats of other player's characters. This may affect the negotiation. If still no agreement is coming up there are three options:
1. every participant except the host has the option to leave the table and go home at any time thus optimizing the conflict resolution [CR] (this is not a game term)
2. every participant may demand that the outcome in question has to change to an outcome with which the group more easily agrees on a bonus
3. if there is still no agreement about the final numbers or outcomes the negotiation phase is concluded as a success as any participant is playing together for 'fun' [FU] (see definition in full document) and not against each other (and otherwise the game mechanic would not work).

Bringing it all together (or 'what 50+ years of gaming brought us.. in a nutshell')
If the test with D20 + stat +/- bonus comes up with a number the player who rolled the die or the referee may narrate something (every other player may talk as well in the course of the whole game of course and even talk their fellow players into contents they prefer). Everything someone narrates is true (hence narrative truth, d'uh!) unless he is lying and success and failure is a matter of perspective anyway.
When the gaming group end the adventure (this means narrating over the course of several tests and in between) the players may raise their stat numbers and/or change their stat descriptions. If one player had no fun, he is playing the game WRONG! (for full explanations see wikipedia or any RPG discussion board).

- J.S."Nold"C.III.



Habt ihr Fragen zu Sw:N? Dann stellt sie doch im RSP-Blogs Forum und ich leite sie weiter. Verbesserungsvorschläge sind jedoch aus offensichtlichen Gründen unnötig.
http://forum.rsp-blogs.de/diskussion-und-kommentare/(hoch-ist-gut)-stats-without-numbers/msg13115/#msg13115