Sonntag, 27. Dezember 2009

Es wird Midgard gespielt oder "Das RHS-Syndrom"

Was treibt eine Runde neugieriger, junger, aufgeschlossener Spieler dazu in diesen Tagen ein Rollenspiel wie Midgard anzufangen und dafür pro Spieler 100Euro zu investieren? Eine Runde, die sich neben DSA4 und GURPS4 auch (mal lang, mal kurz) durch schlankes wie D&D3,5, D&D4, Inspectres, Savage Worlds, Unisystem, HeroQuest oder zwei bis drei leichte Eigenbauten getestet und gespielt hat. Wir waren damals in den 80igern auch nicht dabei, wir haben den Beginn der Simulationswelle nicht mitgemacht (allerdings war sie Ende der 90iger noch gar nicht abgeebbt) und trotzdem "tun wir uns das an".

Über welche Rollenspiele redet man da überhaupt?. Auf Neudeutsch sind das die "Rules-Heavy-Systems" [RHS], Regelschwergewichte hört sich aber viel besser an, also Systeme, die mit besonders vielen Regeln ihre Spielwelt simulieren wollen, dabei nicht spannende, verspielte Mechanismen oder Ressourcenverwaltung im Vordergrund stehen, sondern das Darstellen der direkten Aktionen der Figuren. Das kann in sehr kleinen Schritten geschehen, für die es dann alle einzelne Regeln gibt. Als Unterbau dient meist ein sehr einfacher Probenmechanismus, der dann auch immer als Argument herangezerrt wird, wenn es gilt, die Einsteigerfreundlichkeit zu verteidigen. Zusammen mit diesen Regelschwergewichten kommen meist komplexe Spielwelten, mit jeder Menge Details und Konsistenz, die für das tatsächliche Spiel nicht immer wichtig sind.


Im Tanelornforum wird zur Zeit diskutiert, ob Rolemaster noch Zeitgemäß ist, und der Vorwurf trifft sicher auch Midgard. Eine klassische Kritik ist, daß echtes Rollenspiel (?), das heisst Rollenspiel mit Atmosphäre und dem Ausspielen der Charaktere, nur mit schnellen, leichten Regelsystemen möglich ist, die den Spielfluss nicht aufhalten und/oder verspielte Regelmechanismen besitzen.

Nun, bei mir war es immer anders herum und das trifft auch auf viele meiner Mitspieler zu. Wenn es um dieses ominöse "echte Rollenspiel" geht, greifen wir reflexartig immer zu Regelschwergewichten. Denn je weniger Regeln, desto mehr wird diskutiert, wie sie eingesetzt werden, je spannender und raffinierter der Regelmechanismus, desto unwichtiger wird der Spielinhalt und rückt in den Hintergrund, kurzum man spielt ein Metaspiel, man spielt am Tisch mit Freunden anstatt mit seinem Charakter in der Spielwelt.

Um Rollenspiel mit Ausspielen des Charakters und viel Atmosphäre zu betreiben, brauchen wir eine gewisse Ruhe. Und diese Ruhe bringen diese trägen Rollenspieltanker. Es gibt keine spannenden, nervenzerreibenden Mechanismen, die jemanden aus der Spielwelt holen, keine Diskussion, die nicht mit einem Fingerzeig ins Buch beendet werden kann. Man braucht viel Konzentration und Zeit um sich in die Regeln und die Spielwelt einzudenken. Für viele ist das ein Grund zu sagen, daß sie gar keine Existenzberechtigung haben. Doch mit dieser Ruhe kommt auch die Kraft. Man fängt an, sich die Zeit zu nehmen, die braucht man auch, wenn man die ganze Menge an Informationen adequat handhaben will; und damit werden auch Details automatisch wieder wichtig. Der gehemmte Spielfluss verstärkt das ganze sogar. Die Regeln können nicht viel mehr als die Arme und Beine des Spielcharakters zu bewegen oder für den Spielleiter die Spielweltphysik darzustellen, also MACHT man auch nichts anderes. Das Resultat ist ein gemäßigtes Spiel, in dem auch Zeit ist Atmosphäre aufzubauen oder auch seinen Charakter abseits des Plots zu spielen. Durch die große Fülle der Spielwelten ist der Entdeckerdrang auch sehr hoch, da man nur in einem langen Spielraum alles entdecken kann, was die Spielwelt beherbergt, die Details abseits des Weges sind also in keinster Weise "nicht spielrevelant".

Wenn dagegen Plot, Rasanz und Dramatik im Vordergrund stehen, also ein Spielgefühl, daß man damit vergleichen kann, das Kumpels zusammen am Tisch sitzen und einen Film planen, greifen wir eher zu den leichten Metasystemen. Zusammen mit diesen Systemen kommen dann auch eher oberflächliche Spielwelten, die meist nicht viel mehr bieten, als das, was wirklich gerade gespielt wird und wenig Langzeitmotivation bieten. Für unsere Runde gibt es also tatsächlich Dinge, die schlanke, schnelle Systeme gar nicht können und die Regelschwergewichten in bestimmten Spielaspekten nicht das Wasser reichen können.

Es ist zu schade, daß sie als nicht mehr zeitgemäß gesehen werden, anstatt, daß sich jemand daran setzt, sie wirklich mal zu verbessern. Denn eines sind die Autoren solcher Systeme oft, stockkonversativ und unflexibel, in 15-20 Jahren tut sich bei diesen Systemen häufig nur sehr wenig. Das ist ein Verhalten, daß ich ganz und gar nicht gutheiße. Regelschwergewicht und Innovation, und damit Zeitgeist, MUSS sich nicht ausschliessen.



p.s.:

Ulkigerweise sehe ich Midgard dabei noch nicht mal als Regelschwergewicht. Es hat zwar viele Positionsregeln, ist aber in fast jeder anderen Beziehung oberflächlich und leichtgewichtig. Es kennt ja nicht mal Trefferzonen! Es beinhaltet aber insgesamt eine große Menge an Information und viele Rollenspieler werten es als Regelschwergewicht, deswegen sträube ich mich nicht dagegen.
Demnächst also auch vielleicht etwas mehr zu Midgard im Blog.

10 Kommentare:

  1. Falls Du Spiele aufwändigeren Regelsystemen suchst, davon gibt's auch heute noch einige. The Burning Wheel gehört dazu, oder auch D&D4. Aus der Mode gekommen ist lediglich der Ansatz, zusammengewürfelte Fiktionsbrocken (vor allem solche, die mit der physischen Situation der Charaktere zusammenhängen) mit zusammengewürfelten Regeln abzubilden. Dieser Ansatz war eine Reaktion auf die erste Generation der Rollenspiele, deswegen wurden auch viele Elemente dieser ersten Generation weiterverwendet. Heute sind die Erfahrungen der Spieler andere und auch die Mechaniken haben sich weiterentwickelt.

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  2. Roland hat schon gewichtiges gesagt - heute sind einheitliche Mechanismen für unterschiedliche Tätigkeiten "in" - und das ist auch sehr nützlich.

    Das es mit rollenspielschwergewichten besser sein soll, in eine rollenspielwelt einzutauchen, kann ich mir nicht vorstellen - auch wenn ich mir vorstellen kann, dass einem Metagamemechanismen wie in der DnD 4 einen rausholen können.

    Ich selbst habe heute gar keine Zeit mehr, so langatmig zu spielen - wenn ich mich hinsetze, möchte ich auch was erreicht haben und nicht nur in der taverne gessesen und einmal eingekauft haben.

    Zuguterlewtzt: "Diskussionen können mittels buch beendet werden". Das ist doch genau etwas, was einen rausholt. Wichtiger ist hier eine gewisse regelsicherheit des SL, egal on Rules light oder rules gheavy.

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  3. Hallo Roland, Greifenklaue,
    D&D4 zähle ich persönlich nicht zu den Regelschwergewichten, habe ich ja auch geschrieben. So etwas kann mich nicht schrecken.
    Ich lege bei solchen Spielen schon wert auf die "physische Situation der Charaktere", und da kenne ich wenig modernes, das etwas taugt und sich weiter entwickelt hat abseits von GURPS4, das mir wiederum zu steril ist (weil es "Universell" sein soll).

    Die Aussage ist meine ureigene Spielerfahrung fast jedes Rollenspielers, mit dem ich längere Zeit gespielt habe, und ich glaube aufs Wort, daß es Leute gibt, die von D&D4 oder WesternCity Mechanismen nicht rausgerissen werden oder keinen Einstieg bei Regelschwergewichten finden. Bei uns ist das eben so.

    und ich glaube auch bei vielen, die schon seit 20Jahren in ihrem Rolemaster/DSA/Midgard/Runequest festhängen.

    also ICH kann es mir vorstellen, weil ich ähnliches erlebt habe.


    Regelsicherheit bei Leichtgewichten oder viel Abenteuer in wenig Zeit und immer alles korrekt machen ist sicher auch erstrebenswert aber nicht das, was wir zur Zeit wollen. Aber das ist ein anderer Anspruch. Das ging bei uns umgangssprachlich als "Leistungsspiel" ein, und ist eben jenseits von gemütlich entspannte Rollenspielabenden.

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  4. Hehe, Leistungsrollenspiel... Mich ärgert solch Langsamrollenspiel immer dann, wenn ICH was erleben will, aber einzelne in der Gruppe das gnadenlos verzögern, dass letztlich nix passiert. Wenn alle langsam spielen wollen, bitte! Aber die situation nicht mehr 3 mal pro Woche sondern alle drei wochen einmal zu spielen, hat auf meine wünsche deutliche Auswirkungen. Keine jahrelange Kampagnen, sondern leichtzugängliches. Bei Western City bin ich z.B. fast sofort drin und brauch keine drei abend langen Preludien.

    @SL auskennen: Ich meine das im Sinne einer gewissen Diskussionshoheit. Wenn ich bei Pathfinder etwas zu den regeln sage, stimmt das üblicherweise auch. Wenn nicht, dann sag ich halt, "OKay, müssen wir kurz nachgucken." Aber es ergeben sich keine minutenlangen Diskussionen.

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  5. Hmmm... was fällt mir zu Rollenspielschwergewichten ein?

    Eine Stunde für Charaktererschaffung.

    Taschenrechner zum Aufsteigen.

    Drei oder vier Seiten Charakterbogen.

    Hoher Lernaufwand.

    Häufiges Nachschlagen.

    Trocken zu lesen.

    Öhm... nein. Das muss ich nicht (mehr) haben. Das Spielerlebnis ist super, wenn das Spiel mal läuft. Aber man muss schon eine gewisse Leidensfähigkeit mit sich bringen, damit es läuft. Sorry. Ich bin übergelaufen zu den Leichtmetallspielern.

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  6. Für mich sind das Vorurteile.

    Das Rollenspiel wird einfach nur zu einem Hobby im Hobby. Deswegen halten es viele Runden ja so lange aus ;)

    Es geht meiner Erfahrung nicht weniger Zeit verloren, wenn man sich dann stattdessen bei Leichtgewichten mit den nötigen Konzepten von R-Maps, Spielweisen, Dramastrukturen, der Interpretation oberflächlicher Regeln usw. beschäftigen muss, bis es flüssig läuft.

    aber wie gesagt, es gibt ja RHS, die ihr Ziel elegant lösen oder auch nicht. Die weren einfach nur in eine Topf geschmissen. Und theoretisch dran arbeiten tut schon lange keiner mehr. Stattdessen kommen so unsägliche Aktionen wie ein 20Jahre altes Rolemaster unverändert wieder aufzulegen.

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  7. "es gibt ja RHS, die ihr Ziel elegant lösen"

    Welche wären das denn?

    Die "neuartigen Konzepte" mit denen man bei leichter erschließbaren Rollenspielen Deiner Meinung nach Zeit verliert, kann man auch bei komplexeren Systemen benutzen, genau so wie Schwierigkeiten bei der Interpretation von Regeln bei beiden Gruppen vorkommen. Viele Regeln bedeutet nicht gute oder eindeutige Regeln.

    Wenn ich Dich richtig verstehe, braucht ihr den Regelklotz am Bein um das Spiel nicht zu zielgerichtet werden zu lassen. Etwas ähnliches habe ich in eine DSA Runde vor ein paar Wochen beobachtet - zwischen den "Abenteuern" gab es ein längere Einkaufsession, in der die Regeltüftler und Powergamer sich an den "mechanischen" Möglichkeiten des Spiels erfreuen konnten, während die kommunikativeren Spieler sich Ansprache beim Ausspielen des Einkaufs holen konnten. Ein ähnliches "Buffet" gab's in den Gefechten, nicht zu schwer, damit die schwächeren Charaktere nicht zu sehr in Bedrängnis gerieten, schwer genug, um die Kampfschweine ein wenig zu fordern und (oft durch äußere Einflüsse) zu Ende, bevor es zu langweilig wurde. Dieses Spiel auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner hat mir nicht sonderlich viel Freude gemacht.
    Ich bevorzuge Runden, die mit zielführenden, zügigen Systemen spielen, und möglichst breite Gemeinsamkeiten haben. Die Zeit, die durch einfache Regeln eingespart wird, kann man gut verwenden, um die Ränder zu bedienen, was dann wiederum nicht so lange dauert, dass Mißfallen bei den Mitspielern aufkommt.

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  8. nein, ich meinte nicht, daß man mit RHS schneller spielt. Ganz und gar nicht.
    Bei Savage Worlds (schlanke Regeln) z.b. kommt viel eher diese "mehr Abenteuer in weniger Zeit"-Gefühl auf. Aber das will man eben auch nicht immer. Ja, in Gewissen Maße ist das dann auch ein wenig anstrengend zu spielen.

    ein paar Verhältnismäßig(!) elegante Lösungen im Vergleich zur Detaildichte hat imho GURPS gefunden. Gerade wühle ich mich durch Midgard und finde hie und da auch ein paar elegantere Lösungen bei viel Dichte. Wobei mein Maßstab immer DSA ist ;)

    Meine Ansprüche schwanken auch extrem. Im Moment gehe ich eher ins Kino wenn ich Action und Dramatik haben will.
    Der Motivationsanker im RPG ist hingegen der eigene Charaktere, und den kann man eben immer darstellen, egal wo er gerade ist. Da stören Metaregeln natürlich extrem, weil man nicht durch seine Augen sieht. An unserem letzten RPGAbend haben wir in einer Taverne einen kurzen Wurfpfeilwettbewerb ausgewürfelt/gespielt und es hat mich gar nicht gestört.

    Das zieht sich aber nicht nur durch Regeln, sondern auch durch Spielwelten. Dazu schreibe ich evt. seperat etwas. Sobald unsere Midgardkampagne etwas anläuft.

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  9. Sehr schöne Darlegung eures Spielstils/eurer Ansprüche, aber ich glaube irgendwie nicht das ihr mit Midgard wirklich glücklich werdet.

    Midgard ist zwar Stellenweise sehr fein-granular, aber an Stellen die euch wichtig scheinen (also was auf deinem Blog so durchscheint, z.B. was euch an D&D4 nicht gefallen hat: Gegenstände basteln, konsistentes Wirtschaftssystem, Glaubhafte Welt (letztere beide gehen ja schon beim Goldwert und der Steigerung der Fertigkeiten hopps)) lässt euch Midgard recht extrem im Regen stehen.

    Auch wenn ich den Artikel eigentlich nicht mag, wenn man vom Metagedanken weg will ist, glaube ich, das von Matt Finch vorgestellte Modell (http://www.lulu.com/content/3019374) eines "gnädigen Diktatoren" als SL, mit einem System das nur dieser wirklich kennt/anwendet, besser als Midgard geeignet und auch mit leichtgewichtigerem wie D&D<3 oder Runequest gut zu bewältigen.

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  10. Danke für die Warnung.
    Ich habe mittlerweile auch den Eindruck, daß da viel Arbeit auf uns wartet, zum Teil hat die auch schon begonnen (Lernkosten sind korrigiert).
    Der Hintergrund ist auch nur dünn beschrieben.

    Jetzt hoffe ich, daß meine Spieler dazu wenigstens etwas kreativer werden und eigenständige Ideen einbringen und die Welt gestalten.

    den Primer kennne ich schon, trotzdem danke. Das war auch nicht so ganz meine Welt.

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