Samstag, 15. Oktober 2011

Die SPIEL und die Gleichgültigkeit

Nächste Woche startet die SPIEL 2011 in Essen (Juhuu) und ich gehe auf jeden Fall wieder hin, das ist für mich wie Weihnachten und Ostern zusammen. Aber dieses Mal ist es wieder etwas anders, etwas, was sich schon im Jahr davor abgezeichnet hat (und davor). Ich gehe aussschliesslich nur noch wegen der Brettspiele dorthin.
Die Rollenspielabteilung gibt mir nur noch wenig, und bei der Größe der Messe gibt sie ein gutes Bild, was Allgemein im Rollenspielland vor sich geht. Nicht nur, daß ich die Kisten mit den abgegriffenen alten Büchern, die mich nicht interessieren, fast auswändig kenne, nein, auch die neueren Rollenspiele interessieren mich wenig bis gar nicht. Entweder sind sie mir zu abstrakt (Malmsturm) oder zu regelleicht (Aborea) und halbgar (Dungeonslayers). Es werden einfach nicht mehr die Rollenspiele gemacht, an denen ich Interesse habe, ich bin als Zielkunde irrelevant geworden.

Meiner bescheidenen Wahrnehmung nach haben beschreibende, naturalistische, "simulationistische" Systeme, also die, die mich interessieren, in den letzten Jahren einen schweren Stand, unabhängig von der Qualität. Das heisst nicht, daß sie nicht erfolgreich wären, wie zum Beispiel Das Schwarze Auge, das beste Beispiel für ein qualitativ minderwertiges, naturalistisches System. Es heisst aber, daß sich in dem Sektor nichts Neues mehr tut. Man sieht dies auch an der geringen Zahl der etablierten, komplexeren Rollenspiele. Wer sich für "Rules-Heavy-Systems" interessiert, hat nicht wirklich viele Alternativen. Herrje, selbst bei den WARGAME Brettspielen tut sich aktuell mehr, als im klassischen Rollenspielsektor.
Wo sich seit langen Jahren eine Menge Neues tut, ist bei spielmechanisch raffinierten Systemen. Rollenspiele, in denen die Spielregeln für einen schnellen, spassigen, fairen Abend sorgen sollen, wenn man sie einfach nur anwendet, die aber auch den Spieler direkter ansprechen und zur Mitarbeit motivieren. Regeln, bei denen die konsistente Spielweltdarstellung zweitrangig ist. Die Gruppe selbst hat dort weniger Eigenverantwortung einen erfolgreichen Spielabend zu gestalten, wohingegen es bei regelschweren Rollenspielen viele soziale Stolpersteine und nur wenig Hilfen gibt. Probleme, an denen viele Rollenspielrunden zu Grunde gegangen sind und die von der Spielrunde selber gelöst werden müssen (und daher auch bewusste, informierte, aufmerksame, interessierte Mitspieler benötigen). In diesen neuen Spielen kann man jedoch nicht im Kampf "einfach mal so stehen bleiben" während sich ein anderer Mitspieler langweilt, unabhängig davon, ob das nicht vielleicht sogar die sinnvollste Entscheidung wäre, die eine Spielfigur in dieser Situation treffen könnte. Denn das widerspricht der Einbindung und Dauerbespassung. Ein Spiel darf heute keine Minute mehr Leerlauf haben, weil die Leute sonst das Interesse verlieren, so die Meinung. Und die Spiele funktionieren so hervorragend in dem was sie tun. Ein gutes Beispiel ist D&D4, schon fast ein Paradigma der ganzen Bewegung.

Aber das Alles entfernt sich von dem, was ich als klassisches Rollenspiel bezeichne. Für mich steht bei den Regeln im Vordergrund, was die Spielfigur tut, welchen Grund sie hat irgendetwas zu tun und das dann in der Spielwelt durchzuführen, nicht welcher Mitspieler nun wieviel Zeit geredet hat oder das jeder Charakter dreimal am Abend etwas Spannendes tut, um die Spassformel zu erfüllen. Ich habe dann auch mittlerweile kein Problem mehr damit, wenn es mal streckenweise etwas langatmiger wird, eine Sache, die mich früher wahnsinnig gemacht hat. Das heisst bei mir heute dann "Gemütlichkeit". Das, meiner Erfahrung nach, wird als altmodisch angesehen, flotter, schneller, gleichberechtigter "instant"-Spass, wird als modern angesehen.
Der Grund ist meiner Meinung nach die Art und Weise, wie "simulationistische" Rollenspiele angesetzt sind: Man spielt damit nicht zwischendurch an drei Abenden eine Kampagne durch und wechselt dann zum nächsten Rollenspiel samt neuer Spielwelt. Man spielt es langjährig, man hängt sich richtig tief rein. Manche komplexeren Rollenspiele benötigen erst einmal ein halbes Jahr Vorwärmzeit, bevor die Spielregeln überhaupt reibungslos laufen, während man sich gleichzeitig durch hunderte Seiten Spielweltbeschreibung arbeitet. Und die Leute wollen das so. Sie werden damit mit einem umfassenden Gesamterlebnis "Rollenspiel" belohnt.
Und das ist das Problem: Es besteht keine Notwendigkeit, neue, komplexe Rollenspiele zu schreiben, denn die Spieler haben diese langjährig betriebenen Rollenspiele schon. Wer soll die neuen denn spielen und woher sollen sie die Zeit nehmen? Es ist auch nicht so einfach, ein bestehendes, komplexes Rollenspiel neu aufzuziehen, denn meistens geht damit auch die Kompatibilität verloren. Also begnügt man sich mit den undurchdachteren, mindertwertigen Vorläuferversionen. Die etablierten sind in ihrer eigenen Masseträgheit gefangen.
Es ist nicht so, als gäbe es kein Entwicklungspotenzial. All die Erkenntnisse, die man aus der Reflexion aufs Rollenspiel in der Theorie gewonnen hat, warten nur darauf auch in komplexen Rollenspielen verarbeitet zu werden. Leichte Spiele und Erzählspiele profitieren schon lange davon. Meiner Beobachtung nach scheinen diese Rollenspiele aber als Ersatz für die "alten, verbrauchten Schwergewichte" vorgeschoben zu werden und nicht als Gewinn.
Eine Kunst ist es, die Rollenspiele so zu gestalten, daß sie beides vermögen, spielerisch interessant sein und trotzdem eine komplexe, glaubwürdige Spielwelt darstellen. Und da wird es dann ganz schnell ganz dünn, wenn man nach geeigneten Autoren und Produkten sucht, weil... das ist ja richtige Arbeit.

Sicher, das sind alles nur Trends und man darf es nicht verallgemeinern. Natürlich gab es auch schon vor 20 Jahren virtuose Spielmechanismen, aber die allgemeine Wahrnehmung und die Schwerpunkte haben sich meiner Ansicht nach schon gewandelt.
Aber so lange sich in der Spielerschaft nichts tut, diese mit dem was sie haben zufrieden sind, wird das wohl auch so bleiben. So lange sind dann für solche Leute Fragen interessanter, ob nun die neue Quellenbuchreihe einen blauen, grünen oder roten Streifen am Einband hat.

Und so lange ist mein Interesse an Fertigrollenspielen auch gleich Null und ich schaue nur flüchtig über die Rollenspielstandboxen der SPIEL.

Was gibt der Fertigrollenspielmarkt für euch heuztutage her?
Der Thread im Rollenspielblogforum
http://forum.rsp-blogs.de/index.php/topic,997.msg4312.html#msg4312

4 Kommentare:

  1. Wie meistens kann ich dir ziemlich vorbehaltlos zustimmen.

    Ich denke auch, dass das Hauptproblem ist, dass sich "die Szene" bzw "der Rollenspielmarkt" in den letzten 10 Jahren oder so zu sehr dem Zeitgeist (schnell, bunter, lauter etc.) angepasst hat. Mit hinein spielt das Generationenproblem: als Neueinsteiger im Teenageralter ist es vielleicht keine schwere Entscheidung, ob man sich an das Monster DSA heranwagen will (25 Bücher á 200 Seiten und 30 Euro), oder ob man nicht lieber zur Arborea- oder Dungeonslayers-Box greift, die für 25 Euro das scheinbar gleiche ("Rollenspiel") versprechen. Auf der anderen Seite stehen die Altrollenspieler, die vielleicht vor 20 Jahren mit DSA angefangen haben, aber aufgrund von Beruf und Familie z.B. nicht mehr die Zeit haben, genug dranzubleiben (Publikations- und Regeldichte), um das volle Erlebnis zu haben.

    Man muss aber auch sehen, dass gerade die Option von McRollenspiel (wieviele Sternschnuppensysteme sind in den letzten zehn Jahren gekommen und wieder untergegangen?) und die gestiegene Anzahl von Verlegern (und die Option, per Internet und book-on-demand inzwischen ja recht günstig zur Not auch allein sein eigenes Ding zu veröffentlichen) heute viel mehr Möglichkeiten bietet, auch halbgare Dinge auf den Markt zu werfen, eben weil es zum Zeitgeist von neuer-schneller-einfacher passt.
    In meinen Augen wirklich eine Teufelskreis - "anspruchslose" Konsumenten und eine steigende Selbstveröffentlichungsmentalität (in meinen Augen mitbeeinflusst vom hippen Internet-Exhibitionismus) schaukeln sich gegenseitig hoch. Denn gerade, weil viele Instantsysteme unbefriedigend sind, zieht man schnell zum nächsten weiter - und zum nächsten und wieder zum nächsten. Was dann so aussieht, als wären diese Kleinsysteme erfolgreich.

    Ich denke auch, dass die Erlebnisqualität eine ganz andere ist, wenn man ein ausreichend tiefgängiges System hat, das wirklich jahrelange Kampagnen und Charakterentwicklung ermöglicht, als ein regelleichtes Spaß- oder Storytelling-only System, zu dem man sich halt immer mal wieder trifft, und wenn nach einem halben Jahr jemand keine Lust mehr hat, einfach auf ein anderes wechselt.

    Aber ich meine, dass das nicht nur ein Problem ist, dass die RP-Sparte selbst produziert hat, sondern in dem sie sehr stark von den veränderten Lebensumständen der heutigen Zeit im Vergleich von vor 20 Jahren beeinflusst ist. Nur: wenn das Rollenspiel sich dem nicht irgendwie anpassen würde, ist es dann auf Dauer jenseits einer kleinen dreistelligen Community überhaupt überlebensfähig? Denn eine richtige, wie du schön gesagt hast, "klassische" Rollenspielrunde bedeutet tatsächlich Arbeit und Aufwand von allen Beteiligten.

    Diese Mühe bringt, glaube ich, nur jemand langfristig auf, der schon weiß, dass es das wirklich wert sein kann - nur, soweit kommen die meisten Leute wahrscheinlich gar nicht mehr, wenn es nur die Alternativen DSA (zu kompliziert), Dungeonslayers (zu flach?) oder WoW (kein P&P) gibt.

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  2. Ich meine, Heartbreaker aka selbst/klein produzierte Rollenspiele gab es ja schon immer, früher gefühlt sogar mehr, da habe ich heute eigentlich wenig bedenken. Man tut ja keinem Weg sein Homebrew zu präsentieren. Aber meist gingen die ja nicht über die eigenen Runden hinaus und die Internetpräsentation war natürlich meist so hässlich, daß es auch keinen interessiert hat.
    Das Problem heute ist, daß jetzt selbst Heartbreaker aussehen aus wie hochprofessionelle Glanzprodukte und man sie damit verwechselt, man sehr leicht Werbung mit Forum, Blog, Twitter, blah.. machen kann. Da wird vermutlich vielen Rollenspielen Lebendigkeit unterstellt, die ausser 5 Leuten eigentlich gar keiner spielt.

    Das das Wechseln möglicherweise Erfolg vortäuscht ist ein guter Hinweis. Als wir im Trend auch keinen Bock mehr auf komplexe RPGs hatten sind wir auch immer weitergezogen. Das hat aber alles nicht satt gemacht. Was wird jetzt gespielt? D&D3.5 und DSA.

    Es will die moderne Spielmentalität ja keiner Verbannen. Wenn das Anpassen an den Zeitgeist gut fürs Hobby ist, umso besser. Aber man muss die aufwändige Herangehensweise ja nicht gleich komplett fallen lassen.

    und DSA ist natürlich nochmal eine Sache für sich. Ich kann schon verstehen, wenn man als "Familienmensch" dafür keine Zeit hat, weil man "Wichtigeres(tm)" zu tun hat, aber ein ~400 Seiten Rollenspiel (Regelwerk, kein Quellenbuch) kann man jeden interessierten zutrauen. Vor allem,wenn es nicht darum geht, die leichten RPGs in Geschwindigkeit zu schlagen (das scheint ja jeder unwillkürlich Vorausszusetzen)
    Es gibt vielbeschäftigtere Leute, die Stundenlang an ihrer Modelleisenbahn bauen können.

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  3. Die Entwicklung habe ich auch beobachtet. Wenn ich daran denke, wie groß das Angebot vor ein paar Jahren (oder auch ein paar mehr...)an Rollenspielen war, die mich interessierten und wenn ich es mit heute vergleiche, liegen da Welten zwischen. Nun muss ich aber auch sagen, dass ich "meine" Systeme gefunden habe und damit auch glücklich bin. Der Drang, etwas neues auszuprobieren hält sich bei mir in Grenzen bzw. meine Neugier wurde bisher von keinem neuen System der letzten Jahre gekitzelt. Ich gehe auf jeden Fall zur SPIEL, aber auch nicht hauptsächlich wegen des Rollenspiels. Der Gang durch die RP-Halle ist Pflicht, aber kaufen werde ich sehr wahrscheinlich nichts. In der Brettspielhalle siehts da schon anders aus :)

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  4. @Klar, Halle 6 ist Plficht, wenn nur, um den Feind zu kennen ;)

    Wenn man "sein" System gefunden hat, ist man natürlich aus dem Schneider. Aber nehmen wir an, "mein" System wäre DSA, dann würde ich trotzdem wert darauf legen, daß es gepflegt und weiterentwickelt wird.
    Wo steht eigentlich geschrieben, daß man mit "seinem" Rollenspielsystem bei einer Edition stehen bleiben muss, um Spass zu haben?

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